Die Geburtsstunde des Haflingers
Autor: Walter Blasi
Im Jahr 1945, kurz nach Kriegsende, gab es in Steyr eigene Pkw-Entwicklungsaktivitäten. In dieser Zeit wurden mehrere Studien in Auftrag gegeben, mit dem Ziel, ein eigenes Mittelklasseauto zu fertigen. 1949 schloss man jedoch mit Fiat in Italien einen Kooperationsvertrag auf dem Pkw-Sektor ab. Aufgrund der positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Fiat ließ die Werksleitung die Zukunftspläne über die Fertigung eines eigenen Mittelklasseautos in Steyr wieder fallen. Stattdessen sollte nun ein Kleinwagen entwickelt werden.
1950 trat Diplom-Ingenieur Erich Ledwinka in die Steyr-Werke ein, 1952 übernahm er die Leitung der Versuchsabteilung. Neben dieser Tätigkeit wurde er mit der Entwicklungsarbeit an dem neuen Kleinwagenprojekt beauftragt. Aus diesen Arbeiten ging ein luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, das spätere „Herz“ des Haflingers, hervor.
1955 trat der junge Diplom-Ingenieur Egon Rudolf als Konstrukteur in die Werke Graz der Steyr-Daimler-Puch AG ein. Da man damals am Anfang der Vierradentwicklung in Graz stand (Puch 500) und die wirtschaftliche Fertigung einer eigenen Karosserie nicht möglich war, griff man auf die Zusammenarbeit mit Fiat zurück. Man erhielt eine Karosserie (jene des Fiat 500), in die der von Puch entwickelte Boxermotor eingebaut wurde. 1957 wurde die Serienfertigung aufgenommen.
Bereits 1956 stellte man die Weichen für den Haflinger. Bei einer Vorführung von Puch-Motorrädern vor Angehörigen des Österreichischen Bundesheeres wurde ein Prototyp des Puch 500 mit einer Kübelkarosserie gezeigt, wie Egon Rudolf in seinem Buch über Puch schreibt. Dieses Fahrzeug (Bezeichnung Puch 600 M) war ursprünglich als Rikscha-Ersatz für asiatische Länder gedacht gewesen. Während einer improvisierten Berg-und-Tal-Fahrt begeisterten die Wendigkeit und die Geländegängigkeit dieses Fahrzeuges die Militärs. Nach Ansicht aller Beteiligten war der Bedarf nach einem kleinen Allradfahrzeug mit einer Nutzlast von etwa 500 Kilo gegeben.
Das Bundesheer präzisierte seine Vorstellungen und Forderungen an ein solches Fahrzeug in Bezug auf Größe, Tragfähigkeit und Fahrleistungen. Nach der Erstellung eines diesbezüglichen Pflichtenheftes dauerte es allerdings noch Jahre, bis aus dem Vorführmodell ein alltagstaugliches Fahrzeug wurde.
Aus Ersparnisgründen sollte bei der Entwicklung des neuen Automobils die Verwendung von Motor- und Antriebsaggregaten des Puch 500 berücksichtigt werden. Ende 1956 zeichnete Egon Rudolf einen ersten Entwurf für ein „Multicar“, welches bereits die Grundzüge des späteren Haflingers auswies: leichter Plattformaufbau, Frontlenker, Zentralrohrfahrgestell mit Pendelachsen vorne und hinten und ein luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, zunächst noch als Frontmotor. Für die Frontmotoranordnung waren Erfahrungen mit der Staub- und Sandbelastung beim VW Kübelwagen, bei dem der Motor im Heck war, in Nordafrika während des Zweiten Weltkrieges verantwortlich.
Nach verschiedenen Ausführungsstudien ging ein erster Prototyp mit Frontmotor in Versuchserprobung. „Erste Fahrversuche zeigten“, schreibt Egon Rudolf, „dass bei der gewählten Frontlenkerausführung diese Motoranordnung für den extremen Geländeeinsatz nicht zielführend war.“ Für die geplante Nachfolgegeneration des Haflingers (mit stärkerem luftgekühlten Vierzylinder-Benzinmotor und höherem Leer- und Gesamtgewicht) wurde unter anderem aufgrund von Erfahrungen in Wüstenregionen überlegt, den Motor in Mittelmotor-Bauweise unter der Plattform anzuordnen. Es kam jedoch zu keiner Verwirklichung.
1957 wurde ein „offener Allrad angetriebener Personen-Kleinwagen“ angedacht. Der für den Einbau vorgesehene Motor des Puch 500 (nunmehr mit 600 cm³ und 19 PS) sollte vor der Vorderachse liegen. Als Fahrgestell war ein Zentralrohrfahrgestell mit Pendelachsen vorne und hinten vorgesehen. Den Hinterachsantrieb hätte man zuschalten können. Von dem als Puch 600 AM bezeichneten Entwurf existiert eine Zeichnung in einer Heckmotorvariante. Dieses Projekt wurde allerdings nicht weiterverfolgt.
Ende 1957 zeichnete Egon Rudolf einen Entwurf für einen Plattformwagen als Vorstudie für ein leichtes Geländefahrzeug (Bezeichnung „Plattformwagen 2 x 4“, das heißt mit nur zwei angetriebenen Rädern). Dieser Entwurf hatte noch keinen Zentralrohrrahmen. Weitergehende Überlegungen führten zur Entscheidung, die Serie in der Ausführung 4 x 4 mit einem Zentralrohrfahrgestell auszuführen. Ein Zentralrohrfahrgestell mit extremer Steifigkeit bietet Vorteile im schweren Geländebetrieb, wodurch der Aufbau in Leichtbauweise erfolgen kann. Egon Rudolf dazu: „Für Ledwinka war klar: Es sollte ein einfaches, leichtes Fahrzeug werden. Natürlich als Basis ein Zentralrohrrahmen, Pendelachsen – und von dem war er auch nicht abzubringen, bis zum Ende seines Lebens nicht – und der luftgekühlte Motor. Damit hat es natürlich Probleme gegeben – in Afrika war das ein bisschen problematisch –, haben wir aber in den Griff bekommen.“
1957 wurden die ersten Prototypen gebaut. Der Heckmotor mit 643 cm³ leistete 24 PS bei 4500 U/min. Das Eigengewicht des Fahrzeuges betrug 600 Kilo bei einer Nutzlast von 500 Kilo. Allradantrieb und Differentialsperren vorne und hinten konnten während der Fahrt und unter Last zugeschaltet werden. Für den Einbau war ein vollsynchronisiertes Viergang-Getriebe mit wahlweisem Kriechgang sowie Nebenabtrieb vorgesehen. Je nach Übersetzung betrug die Höchstgeschwindigkeit zwischen 52 und 64 km/h. Die Steigfähigkeit bei voller Beladung lag 50–65 %.
Wie Egon Rudolf schreibt, waren die Testfahrten der Grazer Versuchsabteilung von großem Interesse der Bevölkerung begleitet. Aber nicht nur die Zustimmung der Bevölkerung zum neuesten Produkt der Steyr-Daimler-Puch AG war groß, Josef Graf Stubenberg, ein begeisterter Anhänger des Haflingers, stellte zu vernünftigen Konditionen ein Testgelände auf seinem Grund und Boden am Schöckl bei Graz zur Verfügung, wo alle Geländeformen zu finden waren. Eine der Testfahrten führte sogar auf den Zirbitzkogel (2396 Meter) bei Judenburg.
1959 ging dieses Geländefahrzeug unter der Bezeichnung „Haflinger Typ 700 AP“ („AP“ stand für Arbeitsplattform) schließlich in Serie. „700“ stand für den kurzen Radstand, „703“ dagegen für den längeren Radstand. Vom beim Bundesheer bestens bewährten Gebirgspferd leitete sich der Name „Haflinger“ her, der spontan bei einer Vorführung entstand.
Aufgrund von Kundenwünschen sollten sich während der Bauzeit des Haflingers verschiedenste Varianten sowohl für den militärischen als auch den zivilen Gebrauch etablieren. Viele Projekte, die in den folgenden Jahren angedacht wurden, kamen jedoch nicht zur Ausführung oder blieben Einzelstücke, etwa der Prototyp Haflinger 6 x 6 mit luftgekühltem Vierzylinder-Boxermotor von Puch. Aber wir sind der Entwicklung vorausgeeilt.