30 Jahre Austro Classic
Autor: Martin Winterle
Geburtstage, besonders runde, bieten in unserer schnelllebigen Zeit immer eine gute Gelegenheit, dankbar, leise schmunzelnd Rückschau zu halten.
Vor drei Jahrzehnten war unsere automobile Welt eine andere als heute, optisch wie technisch. Der berühmte Zukunftsforscher Henry Ford weissagte vor mehr als 100 Jahren: „Die einzige lieferbare Farbe ist schwarz!“ Seine Prophezeiung ist eingetroffen. Na ja, nicht ganz, silbern gibt es neben grau und weiß auch noch.
Bei den Karosserien entwickelte sich der Kombiwagen endgültig zum Luxusgefährt. Für kreuzlahme Titanhüftenbesitzer meines Schlages kam als erlösende Rettung der SUV. Wer es sich leisten kann (oder wenigstens vorgibt, es zu können), bewegt sich aber in einer dieser hässlichen Riesenschildkröten mit künstlicher Intelligenz fort.
Um sich vom Rest der Welt abzugrenzen, tragen sie seltsame Zeichen wie GT oder X oder Q ... Um uns in trügerischer Sicherheit zu wiegen, verwenden sie zudem uns altvertraute Symbole wie Sterne, rotierende Rotorblätter oder in sich verschlungene Ringe etc.
Als ich vor mehr als drei Jahren meine Frau kennen lernte, stand so ein Unikum in ihrer Garage. Nagelneu, natürlich in schwarz und ebenso selbstverständlich schmutzig. Das sich selbst reinigende Modell war leider gerade nicht im Angebot. Trotz meiner nicht gerade zwergenhaften Größe benötige ich eine Leiter, will ich den oberen Mittelteil der Windschutzscheibe reinigen. Dass die obere halbe, viel zu klein geratene Heckscheibe prinzipiell ein Ort der Verschmutzung bleibt, liegt an dem um etliche Zentimeter zu lang geratenem Dach. Das muss aber so sein, weil es alle anderen auch haben. Es macht das Auto nämlich prestigeträchtiger!
Da meine Frau ihr Monster bar bezahlt hat, sehe ich keine Veranlassung, für die Marke Werbung zu betreiben und muss mich auch nicht dafür schämen (hab’s ja nicht gekauft).
Nähert man sich dem Gefährt, so winkt es freudig mit den Spiegelohren und blinzelt mit den Blinkern. Natürlich könnte es auch bellen oder mit den Auspuffenden wackeln, aber diese Optionen hat meine Frau nicht aktiviert. Ein Druck aufs Knöpfchen genügt und der Kofferraum öffnet sich, verschlingt den Inhalt des Hofer- oder Lidl-eigenen Einkaufswagens, um dann genauso leise wieder nach unten zu gleiten.
Hat man erst einmal auf den Ledersesseln à la Rechtsanwaltskanzlei Platz genommen, genügt der Druck auf den Starterknopf und das Spiel kann beginnen. Was jetzt folgt, hat mit Autofahren im herkömmlichen Sinn wenig gemeinsam.
Da sich gleich vier Räder in der Dimension ehemaliger Kleinlaster um den synchronen Antrieb streiten, kommt kein Kurvenfeeling mehr auf. Neben den Pfötchen können wir uns, je nach Laune, noch ganz andere Körperteile wärmen oder kühlen lassen. Sollten aus irgendeiner, noch so kleinen Wolke, ein paar Tröpfchen auf die Scheibe fallen, verteilen riesige Gummilippen Staub und Insektenleichen gleichmäßig auf derselben. Sollte das rollende Raumschiff ungewollt inmitten eines Vierkanthofes zu stehen kommen, liegt das selbstverständlich nicht am Navi, sondern an angeblich fehlerhafter Programmierung.
Wir müssen lernen, die Sprache dieser Wesen zu verstehen, um mit ihnen (über-)leben zu können. Es erscheint mir angebracht, hier einmal eine nachvollziehbare Übersetzung der Laute jener künstlichen Intelligenz, wenigstens zu versuchen:
„KLOPF – KLOPF“: Anschnall-Pflicht gilt für alle – auch für dich!
„PIIIIIP“: Schon gesehen, ich fahre rückwärts aus der Garage. Kannst du gerne am Bildschirm mitverfolgen.
„BING“: Außentemperatur 4 Grad plus, Achtung, Eisbären können kreuzen!
„BANG“: Kontrolliere bitte das linke Hinterrad, mich zwickt der Gummi etwas!
„BENG“: Schon behirnt, wir werden gerade überholt.
„BENG – BENG“: Nimm endlich den linken Blinker zurück, oder willst du in dritter Spur überholen!
„BÄNG“: Schalt gefälligst meine Zusatzfunktionen ein, damit ich dich besser ärgern kann!
„BIMM“: In Österreich herrscht Rechtsfahrordnung, das gilt auch für dich!
„BAMM“: Niemand hat was von Straßengraben gesagt, die Straße ist breit genug!
„BUMM“ : Willst du dich etwa mit dem Dacia vor uns paaren oder was soll das werden?
„KLING“: Langsam geht mir der Sprit aus, wähle eine der acht Tankstellen aus, die ich dir gerade am Bildschirm vorschlage, bei welcher du mich beglücken möchtest.
„KLING – KLING“: Sag mal, klingelt es bei dir nicht – ich habe HUNGER!!!
„KLANG“: Ich hoffe du bist flüssig, ich brauche in zwei Wochen mein Service!
„KLANG – KLANG“: Heute ist MEIN SERVICE FÄLLIG!!! Dein Facharzttermin und dass du knapp bei Kasse bist, ist mir sowas von „rutsch mir doch die Heckklappe runter“!
Sollte jemand die Kombination von „KREISCH – QUIETSCH – PENG – SCHEPPER“ hören – kein Grund zur Panik. Er hat vorher möglicherweise lediglich „BENG – BENG“ überhört. Der Rest ist die Aufgabe von zahllosen sich selbst aufblasenden Luftballons und der (hoffentlich bezahlten) Vollkaskoversicherung.
Spätestens jetzt wird jedem logisch denkenden Menschen klar, warum ein Oldtimer die einzige Alternative darstellt, um Auto fahren mit Herz, Hirn und Verstand zu können. Frei nach der wahren Erkenntnis: „Hier bin ich Mensch, hier fahr’ noch ich!“
Nun hätte ich beinahe doch glatt auf meinen Modellautobeitrag vergessen.
30 Jahre Austro Classic – 30 Jahre Veränderung!
Das Spielzeugauto ist tot – es lebe das Modellauto!
Das Spielverhalten der Kinder in den letzten 30 Jahren hat mit dem vorhergehender Generationen nicht mehr viel gemeinsam. Still und leise verschwanden nach und nach alle Anbieter von kleineren und größeren Automodellen. Lange hielten sich in Kaufhäusern und Geschäften noch Ständer mit geblisterten Hot Wheels- und Matchbox-Modellen. Längst aus fernöstlichen Herkunftsländern. Der einzig wirklich überlebende Hersteller bis heute ist SIKU. SIKU vereint alle ehemaligen und aktuellen Qualitätsmerkmale. Die jährlich neu erstellten Kataloge bieten eine gute Auswahl in den gängigen Größen. Die Modelle sind exakt den Vorbildern nachempfunden. Die Qualität lässt den gewohnten kindlichen Spielbetrieb zu. Das war’s dann aber auch schon.
Ganz anders sieht es bei den Modellautos aus. Wer über genügend Spielgeld und vor allem Platz verfügt, konnte sich in den letzten 30 Jahren in der Größe 1:18 eine Sammlung aufbauen, die früher undenkbar gewesen wäre. Von einfacheren Modellen wie sie Bburago, Maisto etc. anbieten, über eine breite Mittelschicht wie Norev, Solido, Ricko usw. bis zur gehobenen Klasse à la Minichamps, Neo Scale, CMC usw. Die Produktion erfolgt fast ausschließlich in China, auch wenn uns die Werbung etwas anderes suggerieren will. Die Qualität von Lack und Verarbeitung variiert bei Modellen aller Hersteller. Die latente Bruchgefahr verleidet vielen Sammlern die Freude. Wer sich der originalen Verpackung aus Platzgründen entledigen muss, vernichtet damit gleichzeitig einen beachtlichen Teil des bezahlten Preises. Wer nicht Autos in Schachteln stapeln will, kommt um den Erwerb hochwertiger, staubdichter Vitrinen nicht herum.
Eindeutiger Verlierer der letzten Jahre ist die ehemals so gefragte Größe 1:24 bzw. 1:25. Sowohl im Diecast-Bereich wie auch im Segment der Modellbauer. Aber – hurra, wir leben noch! Das Bauen von Bausätzen wird genauso nie gänzlich aus der Mode kommen, wie das Restaurieren und Veredeln von Modellen aller Größen. Gerade letzteres ist bei jungen Sammlern wieder verstärkt zu beobachten. Ich durfte in letzter Zeit Fahrzeuge der 1:18er-Liga bestaunen, welche dermaßen perfekt „gesupert“ wurden, dass ich als „alter Hase“ nur ehrfürchtig den Hut ziehen konnte.
Meine große Leidenschaft, die Größe 1:43, treibt seit einiger Zeit seltsame Blüten. Wer kennt sie nicht, die Atlas-Dinky, Corgi Toys aus dunklen Quellen, C.I.J. und Spot-On von Norev usw. Für mich der Schock schlechthin war vor einigen Jahren ein Besuch im letzten noch verbliebenen, echten Spielzeugladen meiner Kinder- und Jugendjahre. Ein Regal voll mit Märklin-Schachteln im Dekor der 1950er-/1960er-Jahre. Das komplette Sortiment der legendären Serie 8000! Ich traute meinen Augen nicht.
Zwischenzeitlich kam die 1800er Serie (1963–1977) dazu. Kassenschlager wurde keiner dieser Retros. Jeder Sammler darf für sich entscheiden, ob er solche Stücke in die Sammlung aufnimmt oder nicht. Wertsteigerung ist in keinem Fall zu erwarten. Mindestens genauso fragwürdig sind nachgemachte „Originalverpackungen“. In letzter Zeit wurden mir vermehrt solche Plagiate zu vermeintlich günstigem Preis angeboten. Von den Sammlern wird künftig noch mehr Fachkenntnis und Augenmerk verlangt werden, um sich vor Schäden zu schützen.
Bei den so beliebten Kellermann CKO-Blechmodellen in 1:40 werden nicht selten legitime tschechische Nachbauten von KOVAP als „Made in Germany“ angeboten. Aber es gibt für uns, die 1:43er-Fans auch täglich neue, positive Erlebnisse. In den letzten 30 Jahren entstanden praktisch zu allen Originalfahrzeugen unserer Kinderzeit die passenden Miniaturen. Wenigstens die Basismodelle gibt es lückenlos. Selbst regionale Sammelthemen wie unsere Post, Gendarmerie, Feuerwehren und andere Hilfsdienste lassen sich zu schönen Kollektionen vereinen. Anbieter wie z.B. Norev, Solido, Minichamps, Dickie-Schuco liefern gleichzeitig Werbemodelle, Rennsportwagen und solche nach historischen Vorbildern. Die aktuelle Detailgenauigkeit ist kaum noch zu überbieten. Da ist es fast unglaublich, dass es unter den Sammlern solche Künstler gibt, die durch perfekte Umbauten bravouröse Einzelstücke zaubern.
Und was machen unsere Kleinsten?
„Wiking, Herpa, Brekina,
alles war schon einmal da.
Neu ist nur das Farbenkleid,
liebe Sammler, tut mir leid.“
Stimmt natürlich nicht ganz. Selbstverständlich kommen auch im H0-Maßstab laufend aktuelle Modelle in Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie auf den Markt. Wahrscheinlich finden aber die nostalgischen Fahrzeuge der 1950er- bis 1980er-Jahre immer noch genügend Liebhaber unter den Sammlern und Modelleisenbahnern, um neu aufgelegt zu werden.
Alles Gute zum 30er, liebe Austro Classic!