Ditmar & Urban
Autor: Stefan Reitgruber Photos: Lisl Mesicek, Stefan Reitgruber
Die unbekannte Automarke aus Graz
Ditmar & Urban Mit diesem Namen konnten wir lange Zeit nicht viel anfangen. Wir – das ist der Verein zur Förderung der historischen Fahrzeuge der Österreichischen Automobilfabriken. Wir wussten, es ist der Name einer Autofabrik aus Graz und das wahrscheinlich einzige erhaltene Exemplar eines D&U war viele Jahre im Technischen Museum in Wien ausgestellt. Der Wagen gehörte unserem Mitglied Ing. Gottfried Arzt. Gottfried hatte das Auto gemeinsam mit seinem Freund Westermeyer (Westermeyer baute die einzigen Tragschrauber, die in Österreich produziert wurden) vor den Jahren im Technischen Museum fahrbereit gemacht, allerdings sind sie nur zwei Runden im Werkstatthof von Westermeyer gefahren. Es ging ihnen nur zu beweisen, dass das Auto auch tatsächlich aus eigener Kraft fahren kann, aber von einer Restauration kann dabei keine Rede gewesen sein. Gottfried Arzt lernte unseren Klub kennen, er überlegte nicht lange und er schenkte uns das Auto, verbunden mit dem Wunsch, dass der Wagen von Grund auf überholt wird und dann auch wieder einmal auf die Straße kommt. Lange Zeit hatten wir aus Platz- und Kapazitätsgründen keine Möglichkeit, die Restauration zu beginnen. Einige namhafte Experten besichtigten das Auto und rieten uns, das Fahrzeug als nicht fahrbereites Museumsstück zu erhalten. Zu aufwändig erschien ihnen eine umfassende Restauration. Die Ansicht der Vereinsarbeitsgruppe war aber: wir kriegen das hin, wir bringen dieses technische Unikat wieder auf die Straße. Natürlich wird es einige Zeit dauern, denn es ist ja nicht das einzige Fahrzeug, das Zuwendung benötigt. Es ist jedes Jahr für den Vereinsvorstand immer eine Herausforderung, das Budget zu erstellen und endet immer mit der Unzufriedenheit einzelner Fahrzeugverantwortlichen, die für ihr Auto mehr Geld für anstehende Arbeiten erhofft hatten. Unser Verein besitzt ja ca. 25 Fahrzeuge aus österreichischer Fertigung in unterschiedlichen Erhaltungszustandsstufen.
Der D&U war fast 30 Jahre im Technischen Museum in Wien ausgestellt. In dieser Zeit war man dort auch bemüht, mehr über die Marke Ditmar & Urban zu erfahren, aber die Nachforschungen des Museums verliefen im Sande. Gottfried Arzt hat uns nur sagen können, dass das Auto in Graz in der Schönauerstraße 102 gebaut worden war. Er hatte einen dementsprechenden Eintrag in einem Adressenverzeichnis aus den 20er-Jahren gefunden. Stadtmuseum und der Stadthistoriker konnten zu Ditmar & Urban auch keine ergänzende Aussage machen.
Unser Vereinsmitglied Heinz Mesicek beschloss, gemeinsam mit seinem Grazer Freund Franz Legenstein, die Geschichte des D&U zu erforschen. Die aufwändige, aber erfolgreiche, zweijährige Forschungsarbeit wurde in einem Buch festgehalten, das nun auch im „Austria Forum“ abrufbar ist: Link: https://austria-forum.org/web-books/duwagen00de2020isds
Da die voraussichtlichen Kosten für die inzwischen begonnene Restaurierung des D&U das Vereinsbudget empfindlich belastet hätten, begaben sich die beiden „Historiker“ auch auf Sponsorensuche. Sie konnten private Sponsoren und offizielle Institutionen zur Spende von namhaften Beträgen motivieren; auch kostenlose bzw. preislich massiv reduzierte Sachleistungen waren mehr als hilfreich und Vereinsbudget entlastend.
Nach der Fertigstellung der Restaurierung des D&U war die Straßenzulassung des Wagens die nächste Herausforderung. Wieder wurde H. M. tätig und finanziell hilfreich. Zusammen mit Mitgliedern der Arbeitsgruppe des Vereins konnten alle behördlichen Auflagen zum Erhalt der Einzelgenehmigung erfüllt werden. Mit dem Kennzeichen „WB 1FJ“ darf der D&U nun wieder auf öffentlichen Straßen fahren.
Die gesamte Fahrzeugelektrik bestand aus Litzenkabeln mit Stoffummantelung. Diese war schon so hart, dass alle paar Zentimeter ein Bruch war. Wenn man das Ganze bewegte, zerbröselte die Stoffummantelung förmlich. Fazit: sämtliche Kabel raus aus dem Auto, neue stoffummantelte Kabel besorgen und nach der Instandsetzung des Rahmens einbauen.
Am Wagen wurden alle Anbauteile des Rahmens abgebaut und der nackte Rahmen sandgestrahlt, grundiert und handlackiert. Jedes Teil wurde vor dem neuerlichen Anbau an den Rahmen in Stand gesetzt oder erneuert. Dabei war es gar nicht so leicht, alle mitarbeitenden Kollegen von einer „sanften“ Restauration zu überzeugen. Es ist natürlich verlockend, abgebaute Teile blank zu machen und neu zu lackieren. Dabei würde aber die Patina des Fahrzeuges zerstört werden. Wir wollen aber keinen Oldtimer im Neuzustand, sondern Kulturgut weitgehend im Originalzustand erhalten. Museumsoriginalität und fahrbereit – das ist das Ziel. Das ist natürlich auch wesentlich aufwändiger, da bei jedem Arbeitsgang der alte Lack geschützt werden musste.
Die Hinterachse zeigte nach dem Zerlegen massive Beschädigungen. Die Achse muss einmal blockiert haben.
Die Antriebsachsen waren verbogen, eine sogar gebrochen und danach eher behelfsmäßig wieder zusammengeschweißt worden. Das Differentialgehäuse war durch diese Gewalteinwirkung verzogen. Man hatte auch hier versucht, den Schaden zu reparieren, aber die Reparatur war eher eine Notlösung. Wir stellten auch fest, dass zwei der Bremsbacken gebrochen waren und eine Reparatur durch Schweißen versucht wurde. Aber auch eher schlecht als recht. Die Backen waren verzogen und die Belagsfläche oval.
An der Hinterachse mussten wir daher einiges erneuern. Wir ließen das verzogene Differentialgehäuse, die Bremsbacken und die abgenutzten Bremstrommeln neu gießen und anschließend bearbeiten. Die beiden Steckachsen wurden aus zähhartem Chromvanadiumstahl neu gefertigt. Mit neuen Bremsbelägen beklebt, konnten die Bremsbacken eingebaut und von Hand auf den Trommeldurchmesser überdreht werden. Damit ist die beste Bremswirkung garantiert. Das ist wohl auch nötig, denn der Wagen hat an der Vorderachse keine Bremse. Natürlich mussten alle Anbauteile vor dem Wiedereinbau geprüft und repariert werden.
Normalerweise läuft eine Lamellenkupplung in Öl, beim D&U war aber mehr Wasser als Öl im Gehäuse. Dementsprechend waren die Kupplungslamellen rostzerfressen. Die Lamellen sind ca 1,5 mm dick und waren an einigen Stellen durchgerostet. Eine Federstahlblechtafel wurde beschafft und 40 neue Kupplungslamellen mit Laser herausgeschnitten.
Beim Zerlegen des Motors zeigten sich einige Risse im Zylinderblock und ausgefranste Gewinde der Zylinderkopfschrauben. Da waren einige Schrauben mit metrischem Gewinde und einige mit zölligem Gewinde. Hier war schon gepfuscht worden, aber so, dass die eingesetzten Schrauben gut und gerne 3–4 mm hin und her wackelten. Die Kurbelwelle hatte in den Hauptlagern ca. 1,5 mm Längsluft und die Pleuellager waren oval. Das Gehäuse wurde lasergeschweißt, plangefräst, kaputte Gewindebohrungen ausgebohrt, Büchsen eingesetzt, Gewinde geschnitten und sämtliche Zylinderkopfstiftschrauben neu angefertigt und eingesetzt.
Dann ging der Motor nach Graz zur Firma Langbauer zum Hauptlageranfertigen. Von dort kam dann eine Hiobsbotschaft. Die Pleuel waren so weich, dass sich bei jedem Zusammenschrauben ein anderes Maß ergab. Gert Langbauer: Wir müssen alle Pleuel neu anfertigen! Eine Ankündigung, die unseren Kassier blass werden ließ. Ich habe es schon erwähnt, dass wir den Originalzustand soweit wie möglich erhalten wollen. Das stand besonders bei der Lackierung des Fahrzeuges im Vordergrund. Das Auto besitzt noch die Erstlackierung mit Öllack. Das ist eine Rarität und muss so erhalten werden, aber die vorhandenen Beschädigungen der Lackschicht mussten so fixiert werden, dass sie nicht weitergehen. Die Polsterung und die lederne Seitenverkleidung hat ja über 30 Jahre im Museum keine Pflege erhalten. Hier muss einiges nachgeholt werden.
Der Himmel im Aufsatz war mit Flicken unsachgemäß repariert; über Risse waren Flicken aus einem anderen Stoff mit Kontaktkleber darüber geklebt. Dadurch ist der Himmel nicht zu retten und diente nur mehr als Schnittmuster für einen neuen.
Am Wagen waren drei Räder mit Stahlspeichenräder und eines mit einem Holzspeichenrad montiert. Das Holzrad ist schon sehr desolat, wir wollten es nicht mehr montieren und durch ein Stahlrad ersetzen. Eine Umfrage bei unseren Freunden und anderer Klubs ergab, dass niemand ein Stahlspeichenrad in der passenden Dimension hatte. Diese Art von Rädern wird schon seit den 30er-Jahren nicht mehr gebaut und sind dementsprechend selten zu bekommen. Selbst am größten Teilemarkt in Europa, im südenglischen Beaulieu, war diese Dimension nicht zu bekommen. Auf der Veterama in Mannheim gelang es, ein Stahlrad mit den richtigen Dimensionen für den Reifen, nicht aber mit dem passenden Lochbild der Radnabe, zu bekommen. Aber das ist schon mal ein Anfang. Diese Stahlspeichenräder haben den Nachteil, dass sie dort, wo sie an der Nabe mit Durchschrauben befestigt waren, als Neuteil eine Holzeinlage hatten. Diese Holzteile sind im Laufe der Jahre weggefault und meist nicht mehr vorhanden. Ohne diese Ausfütterung kann man aber die Radschrauben nicht wirklich festziehen. Na ja, was ein nicht festgeschraubtes Rad mit einem Auto anstellen kann, brauche ich wohl nicht beschreiben. Das bedeutet, dass wir auch die vorhandenen drei Stahlräder nacharbeiten mussten. Die Bohrungen der Radbolzen wurden aufgebohrt, eine Stahlbüchse eingesetzt und dann neu gebohrt. Die Stahlbüchsen übernehmen jetzt die Funktion der früheren Holzausfütterung.
Wir haben ja das Problem, viele tolle Fahrzeuge in unserer Sammlung zu haben. Alle aus österreichischer Fertigung, darunter einige Hochkaräter. Das zu erhalten, kostet natürlich und schmälert gleichzeitig das Budget für ein einzelnes Restaurationsprojekt. Wir weisen natürlich immer bei Anschaffungen oder Arbeitsvergabe auf die Geschichte und Besonderheit dieses Fahrzeuges hin und hoffen auf ein Entgegenkommen bei der Rechnungslegung. Es war überwältigend, auf wie viel Verständnis und Entgegenkommen wir dabei stießen. Freunde des Klubs, die zu Oldtimer keine besondere Beziehung haben, unterstützten uns, um ein Stück österreichischer Automobilgeschichte zu erhalten. Der Ditmar & Urban ist kein technisches Highlight, eher einfache Automobiltechnik der 1920er-Jahre, aber er ist ein Zeugnis und ein Überbleibsel von einer der vielen kleinen Autofabriken, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden und meist in kurzer Zeit wieder verschwanden. In unserem Fall: Ein Offizier der k.u.k. Armee und ein Marineoffizier hatten mit der Monarchie ihre berufliche Heimat verloren, die große Armee war aufgelöst und die Marine war Ausland geworden. Also versuchten sie einen beruflichen Neustart als Autobauer. Da die Firma Ditmar & Urban nur drei Jahre existierte, kann man diesen Neustart als gescheitert betrachten und die Akteure wandten sich anderen Aufgaben zu.
Der Wagen wurde im Rahmen eines Klubabends allen Mitgliedern und auch allen Sponsoren nach der Restauration gezeigt. Die durchgeführten Arbeiten wurden von Kommerzialrat Franz Steinbacher kommentiert und auch aus der Sicht des Sachverständigen positiv bewertet.
Der Klubvorstand möchte sich auch auf diesem Wege bei allen Sponsoren, Förderern und allen, die praktisch mitgearbeitet haben, herzlichst bedanken. Ihre Unterstützung ist ein aktiver Beitrag, ein besonderes Juwel technischen Kulturgutes als fahrbereites Fahrzeug zu erhalten.