„Masta“ Bergmann (1928–2021)

Autor: Alexander Trimmel


Für den „Klanen“ war er immer der „Größte“

Minus 29 Grad Celsius

Saukalt war es im Jänner 1928 in Wien, als Kurt Bergmann am 15.1. auf die Welt kam. Gefühlskälte dominierte die einst so glamouröse Hauptstadt eines 53-Millionen-Reichs, die mit 1,5 Millionen Einwohnern nun den „Wasserkopf“ eines nahezu nicht überlebensfähigen Zwergen-Staats darstellte. Hungersnot, Plünderungen, politische Unruhen bestimmten den Alltag. Kriegsinvalide erbettelten ihr tägliches Stück Brot, wie auch die 100.000 Arbeitslosen.

Kindheit

Von diesem Elendsschicksal blieb Familie Bergmann, Gott sei Dank, verschont. Kurt wohnte mit Eltern und Bruder in einer Gemeindebauwohnung in der Possingerstraße im 16. Wiener Gemeindebezirk. Der Vater war ein überaus genauer und gewissenhafter Beamter, mit Personalabrechnungen befasst. Er nahm sich die Arbeit mit nach Hause und arbeitete bis spät nachts. Kurt zeigte sich von dessen Kalligrafie mit dem Federkiel fasziniert. Jeder neu zu Papier gebrachte Buchstabe, jede Zahl glich haargenau seinem zuvor gemalten Pendant. Kurt meinte, dass der Vater ständig überarbeitet wirkte und deshalb auch sehr früh verstarb.

Im März 1938 übernahmen die Nationalsozialisten die Herrschaft in Österreich. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war Kurt gerade erst mal zehn Jahre jung. Eine trostlose Kindheit vergangen, die von einer Jugendzeit in Angst und Schrecken abgelöst wurde. Tod, Leid und Angst bestimmten sein bisheriges Leben.

Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Wien in Trümmern, die Not war ein weiteres Mal gewachsen. Pragmatismus, Kreativität und Entscheidungsfreudigkeit bestimmten die Überlebensstrategie. Kurt Bergmann: „Nua mit Ehrlichkeit bist zu an Ess’n kumma.“

Automobile waren damals nahezu unerschwinglich, Zweiräder prägten das Wiener Straßenbild. Kurt Bergmann entschied sich bei seiner beruflichen Ausbildung für die Mechanikerlehre. Er war bei seinen Arbeitskollegen sehr beliebt und konnte sich auch bald einen „Clubman-Racer“, eine Rennmaschine, neben seinem Straßenmotorrad leisten, weil er sich ein Körberlgeld dazu verdiente, indem er „Frisierarbeiten“ an deren Kraweuh-Pledern vornahm. „I hob nua den verölten Auspuff ausgramt und den Gaszug leichta zum drahn gmocht. Olle woan auba zfriedn.“

Schritt in die Selbständigkeit

Familie Bergmann übersiedelte in den 10. Bezirk, in die Per-Albin-Hansson-Siedlung. Kurt, frisch verheiratet mit seiner Hannerl, nach Aspern, wo er 1957 gemeinsam mit baukundigen Familienangehörigen ein Wohnhaus errichtete und gleich ein Werkstättengebäude dahinter dazubaute. Der nun selbständige „Masta“, wie ihn seine Freunde, bezugnehmend auf seine Berufung als Kfz-Meister, nannten, widmete seine von nun an sehr spärliche Freizeit vor allem dem Sport: Das Fußballestern diente mehr dem Jux und Spaß, wesentlich ernster nahm er es mit dem Schisport. Er trainierte jedes Jahr auf der Tauplitzalm und wurde sogar als Teilnehmer zur Journalisten-Weltmeisterschaft nach Sapporo mitgenommen. Das Samstags-Frühstück nahm er im „Café Museum“ ein. Nach seinem traditionellen „Ei im Glas“ stellte er sich den meist aus dem Ausland angereisten Schach-Profis. „Wia ma um an Schülling gspüht haum, haums mi gwinna lossn. Wia ma um an Fuffzga gspüht haum, hob i verluan.“

Kart-Sport

1963 hatte ein amerikanischer Botschaftsangehöriger, der seinen Amerikaner in Kurt Bergmanns Werkstatt auf österreichische Vorschriften umrüsten lassen wollte, ein Go-Kart im Kofferraum. Kurt war begeistert. Gleich machte er sich dran, ein solches nachzubauen. Er gründete mit Werner Riedl, Sohn einer großen Autozubehördynastie, Citroën-Händler Karl Obrecht und Max Braunstein, Sohn eines Grazer Opel-Händlers, einen Kart-Club. Der Rahmen des selbstgebauten Karts zerbrach in seine Einzelteile. Mit einem Kaimano-TecnoKart der Brüder Pedrazzani, das beste Chassis, welches es damals zu kaufen gab, war er national mit Abonnement-Sieger Riedl im Spitzenfeld, „… international woa i auba niagends.“

Formel Vau

Die Formel Vau, welche Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein 1965 aus Amerika nach Europa importierte, war eine Rennwagenklasse, die sich an Kart-Fahrer und „Talente mit schmalem Renn-Budget“ wandte. Nur wenige konnten sich, wie Star-Komiker Gunther Philipp, einen Ferrari 250 GTO leisten, oder gar einen 250LM, den sich Hofjuwelier Gotfrid Köchert zum Preis einer Villa gönnte. Der Bausatz für einen kompletten Formel Vau kostete nur 1.000 US-Dollar. Umgerechnet circa 26.000 harte Alpendollar. Seine Technik, inklusive Vorderachse, Bremsen und Rädern stammte vom Volkswagen Käfer, dem man auf jeder Straßenecke begegnete.

Erster Eigenbau

Kurt Bergmann borgte sich einen „Beach Car Formel V“ aus, um diesen in seiner Werkstätte innerhalb weniger Wochen originalgetreu nachzubauen. „Des woa a Kraxn, ollas woa schief und wia haum des genauso nochbaut …“, lautete das Resümee des Erbauers. Zum Fahren seines Eigenbau-Rennwagens kam Kurt kaum, da ihn seine Kart-Freunde, wie Werner Riedl oder Friedrich Glatz, ständig überredeten, mit seinem „Austro-Beach“ fahren zu dürfen. Sehr zur Freude von Hannerl, die für Kurts Rennerei ohnehin nur wenig Begeisterung zeigte und Angst um ihren Schatz hatte. Kurt schweißte einen zweiten, verbesserten Wagen zusammen, noch immer nach dem Beach-Baumuster aus Vierkant-Formrohren. Als der rennfahrende Journalist Erich Glavitza Bergmann erklärte, dieser müsse seinen Schöpfungen einen Namen verpassen, schaute der Pragmatiker zu seinem Kaimano-TecnoKart und meinte: „Des Krokodü nehm ma. Des is mah sehr ähnlich. Mit sein riesigen Schwaunz und klanan Hirn!“ Aus „Kaimano“ wurde „Kai-Mann“, wie „Berg-Mann“.

Kaimann-Erfolge

Kurt Bergmann wusste seine fahrerischen Grenzen genau einzuschätzen. Heißsporn Dieter Quester überzeugte ihn davon, schneller Autofahren zu können, als er. Als dieser 1967 den „Preis von Wien“ am Flughafen Aspern mit dem neuen Kaimann MkII gewann, war Kurts Wandlung vom Rennfahrer zum Konstrukteur und Teamchef bereits vollzogen. Bergmann: „Jeda woit auf amoi Kaimann foan. Die hobn glaubt, des Auto woa so schnö. Es woa eh sehr schnö, auba da Questa woa scho sehr guat!“

Indra-Lippitsch-Rahmen

Genauso wie seine fahrerischen Fähigkeiten, konnte er auch seine technischen Grenzen sehr gut ausloten. Er wandte sich an die beiden Assistenten der TU Wien, Fritz Indra und Heinz Lippitsch, die am Institut von Professor Eberan-Eberhorst einen besonders verwindungssteifen Rohrrahmen mit Torsionstürmen für den neuen Kaimann MkIII entwickelten, der fortan das Erfolgsgeheimnis der Kaimann-Überlegenheit darstellte. Auf die Frage, woher Kurt Bergmanns konstruktiver Ideenreichtum stamme: „I hob des ned ollas söba erfundn. Vüh gscheide Sochn hob i auf Laundwirtschoftsmessen gsehn.“

Fahrer-Wahl

Was nützt der schnellste und beste Rennwagen, wenn nicht die richtigen Talente am Lenkrad drehen. Die Fahrer standen Schlange vor Bergmanns Gittertoren, jeder wollte Kaimann-Werksfahrer werden. Kurt bewies unglaubliches Gespür, immer die richtige Wahl zu treffen. Für Quester, Breinsberg, Lauda, Marko, Huber, Ertl, Koinigg, Rosberg und viele weitere Piloten war Bergmanns professionell arbeitendes Kaimann-Team der Türöffner zur großen Motorsportwelt. Curd Barry und Jochen Rindt konnten, dank ihres monetären Backgrounds, ihre Fühler ins „heilige Land des Motorsports“, nach England, ausstrecken. Kurt Bergmann verschaffte österreichischen Lokaltalenten ihre Aufmerksamkeit in der internationalen Rennszene und machte Österreich zur Motorsportnation. Nur bei einem Fahrer täuschte er sich: „Dass der Gartner so guat wiad, hätt i nie docht. Der hot von olle Foahrer am meisten von der Technik verstaundn.“

Am Erfolgs-Zenit

Von 1967–1977 fuhr Kurt Bergmann auf einer unglaublichen Erfolgsschiene, an der er sehr hart arbeitete. Er bereicherte sich nicht, sondern investierte das erwirtschaftete Geld umgehend in neue Werkzeuge und Maschinen. Einer neuen Küche für Hannerl oder gar einem gemeinsamen Urlaub standen die neue Fräse und der eng gestaffelte Rennkalender im Weg. Hannerl kümmerte sich um den Haushalt und die Finanzen und hielt alles fern, was ihren Kurt von seiner Motorsportwelt ablenken hätte können.

Nachahmungstäteter

Von den Kaimann-Erfolgen motiviert, versuchten so manche Jung-Kon-strukteure das Bergmann-Märchen zu kopieren. Einen eigenen Formel-Vau-Renner auf die Räder zu stellen, der die Konkurrenz in Grund und Boden fährt. So auch zwei HTL-Absolventen, die einer gemeinsamen Freundin versprachen, in derer Wohnung ein besonders stabiles Bücherregal im Bauhausstil für sie zusammenschweißen zu wollen. Je weiter der Bau voranschritt, umso skeptischer wurde die junge Dame, wo denn hier bei den vielen Querverstrebungen Bücher ihren Platz im Regal finden sollten. Der Schwindel flog auf, als das zusammengebratene lange und schmale Etwas einen Motor und Achsen bekommen sollte. Hals über Kopf stolperten die beiden aus der Wohnung und bauten ihren Jahrhundertrenner im Freien fertig, den sie für einen geplanten Testlauf zum Asperner Flugplatz brachten. Während die beiden Jung-Chapmänner am Auto letzte Einstellungsarbeiten vornahmen, näherte sich ihnen ein wortkarger Mann, der sie bei ihren Tätigkeiten genau beobachtete. Sie versuchten den Herrn in ein Gespräch zu verwickeln und erklärten ihm all die revolutionären Ideen, welche in diesem Auto stecken und dieses deshalb zu einem absoluten Siegerauto befähigen. Einige Minuten später, nach eindringlichster Betrachtung der Wohnzimmerkonstruktion, meinte der wortkarge Mann: „Aus dem wird nie wos!“ Mit einer solchen Behauptung hatten die beiden Ingenieure absolut nicht gerechnet. Brüskiert und konsterniert fragten sie ihn, wie er denn zu so einer niederschmetternden Aussage käme, die das Auto so heruntermachte. „Weu i da Bergmann bin“, meinte der wortkarge Mann, wandte sich um und zog von dannen.

Zurück zum Opel

Über 200 erfolgreiche Kaimann-Rennwagen entstanden in Bergmanns kleiner Eßlinger Opel-Werkstätte. Lange Zeit dominierten Rohrrahmen und Monoposti-Karosserien das Werkstätten-Ambiente. Kadett und Rekord wirkten wie verirrte Fremdkörper, nahezu deplatziert. Als die Opels schön langsam wieder die Oberhand in der Werkstätte übernahmen, hatte Kurt Bergmann die geschäftliche Tätigkeit der Firma bereits an seinen Sohn Peter übertragen. Sein Wohnhaus mutierte mittlerweile zum Modell-Hubschrauber und Modell-Unterwasser-Fahrzeug-Labor. Selbst Hannerls Küchentisch konnte sich, neben Kaffeehäferln und Kuchengabeln, vor verwechselbaren U-Boot-Rümpfen und Feinmechaniker-Besteck nicht erwehren. Kurt hatte eine neue Herausforderung angenommen, der er mit derselben Akribie und Genauigkeit begegnete, als wenn es um den F1-Weltmeistertitel gegangen wäre.

Schicksal I

Am 31. Dezember 2005 verstarb sein Sohn Peter Bergmann unerwartet an einem Herzfehler. Unfassbares Leid erfasste die Familie. Peters Ehefrau versuchte die Firma weiterzuführen. Das Unternehmen und damit Kurt Bergmanns Lebenswerk schlitterte jedoch in den Konkurs. Da das Wohnrecht der Bergmanns nicht abgesichert war, bedeutete dies für den inzwischen 79-Jährigen und seine Frau, nicht nur das Anwesen mit den Arbeitsräumen, sondern ebenso ihre vertraute Wohnung zu verlieren. Dem früheren Kaimann-Werksfahrer Erich Breinsberg gelang es, die Immobilie für sein Autohaus Liewers zu erwerben und das lebenslange Wohnrecht für die Bergmanns zu sichern. Kurt war fortan der gute Geist von „Liewers 22“. Früh morgens der erste, der aufsperrte und abends derjenige, der als „Ober-Inspekteur“ ein waches Auge auf die Sicherheit hatte.

Kaimann-Racing-Team II

Mit Karl Holzinger, der 2009 den „Masta“ besuchte, um die Bergmann-Biographie „Der Niki, der Keke und das Genie aus der Vorstadt“ signieren zu lassen, schmiedete er den Plan, das Kaimann-Racing-Team wieder aufleben zu lassen und bei Läufen zur „Historischen-Formel-Vau“ im alten Glanz wieder anzutreten. Sehr zur Freude Hannerls, dass ihr Kurt wieder seine so heiß ersehnte Rennluft schnuppern darf.

Schicksal II

Schließlich starb auch Hannerl, sein absoluter Rückhalt einer nahezu symbiotischen Beziehung. Der „Masta“ musste sich plötzlich um Dinge kümmern, die bisher hinter seinem Rücken absolut selbständig abliefen.

Ich habe ihn sehr häufig bei Veranstaltungen und Messen getroffen, als er, meist unerkannt, von Stand zu Stand zog. Hauptsächlich Werkzeugstände hatten es ihm angetan. Er hielt ständig nach neuem Werkzeug Ausschau. Wie immer! Anerkennung und Bewunderung hatte er bislang fast im Überfluss genossen, jedoch Liebe, Verständnis und Vertrauen schien ihm in dieser seiner Lebensphase besonders wichtig gewesen zu sein.

Der letzte Große Preis

Im November 2019 wurde dem mittlerweile 91-jährigen Kurt Bergmann der Bela Barenyi-Preis verliehen. Sitzplätze gerieten im zum Bersten gefüllten Festsaal des ÖAMTC zur Mangelware. Etwa 500 Freunde, Weggefährten und Bewunderer waren gekommen. Wollten ihm mit „Standing Ovations“ die Ehre erweisen. Erich Breinsberg reiste mit Gattin aus Spanien an, Doktor Indra, der maßgeblich zum Erfolg der Kaimann-Renner beitrug, konnte neben Professor Fiala einen Sitzplatz in der ersten Reihe ergattern. Fahrer und Techniker Günther Huber, „Fäustling“ Peter Peter, Dieter-Karl Anton und der „Klane“, Manfred Falusy – ein Amateurrennfahrer, der immer sehr mit dem Budget kämpfte, dem Kurt immer half, weil er seine Autos so perfekt vorbereitete –, freuten sich mit dem Größten der österreichischen Motorsportgeschichte, der zwei Zentimeter kleiner war, als der „Klane“.
 

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