Das rasende Laboratorium

Autor: Wolfgang M. Buchta


Der Mercedes C 111 ist ein typischer 1970er – knallorange und mit Wankel-Motor.

Wolfgang M. Buchta hat sich mit der spannenden Geschichte des (nach dem Flügeltürer) wohl zweitberühmtesten Mercedes beschäftigt. Ulli Buchta hat photographiert, und das Mercedes-Benz Museum hat im Fundus gestöbert

Was vorher geschah

Im November 1951 drehte ein silbernes Coupé seine einsamen Runden – der Ur-300 SL Fahrgestell-Nummer W194 010 00001/52 – wurde intensiv getestet, bevor er am 12. März 1952 der Weltpresse als Mercedes-Benz 300 SL (3 Liter Super-Leicht) präsentiert wurde. Der Typ W194, der erste Rennsportwagen von Mercedes nach dem Krieg, war klein, niedrig (nur 122,5 cm hoch) und im traditionellen Silber gehalten. Im Innenraum, der durch zwei im Dach angelenkte Klappen – heute weiß jedes Kind, dass das Flügeltüren sind – zu erreichen war, dominierte sportlicher Karostoff und ein sportliches Holzlenkrad. Motor, Getriebe und die restliche Mechanik entstammten im wesentlichen der Luxuslimousine Mercedes 300.

Noch im Jahr seiner Präsentationen konnte der 300 SL zeigen, was in ihm steckte; Platz 2 und 4 bei der Mille Miglia, Dreifachsieg beim Preis von Bern in Bremgarten, Doppelsieg beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans (mit neuem Streckenrekord), Vierfacherfolg beim Eifelrennen am Nürburgring und am Jahresende – der vielleicht berühmteste Erfolg – siegte der 300 SL bei der Carrera Panamericana in Mexiko. Mercedes war „Back on Track“, und wie!

Diese Erfolge weckten bei den betuchten Kunden Begehrlichkeiten, aber gerade eine angesehene Firma wie Mercedes konnte es sich nicht erlauben, der High Society der 1950er-Jahre einen Rennwagen zu verkaufen, und so wurde der Rennwagen W194 zum Sportwagen W198 zivilisiert und bereits im Februar 1954 auf der „International Motor Sports Show“ in New York präsentiert.

Die weitere Karriere des „Sportwagen des Jahrhunderts“ (laut den Lesern von Motor Klassik) sei hier als bekannt vorausgesetzt (in AC 2009/02 gibt’s die ausführliche Geschichte), aber auf jeden Fall hatte Mercedes mit dem 300 SL einen Wagen, der nicht nur der schnellste Sportwagen seiner Zeit und der Liebling aller Prominenten – von Mohammad Reza Schah Pahlavi bis zu Herbert von Karajan, von Romy Schneider bis Clark Gable, von Sophia Loren bis Henri Nannen – war, sondern der auch bei Rennen eine gute Figur machte. So konnte John Fitch mit einem praktischen serienmäßigen 300 SL den Sieg bei den Sportwagen und den 5. Gesamtplatz bei der Mille Miglia 1955 erringen.

Auf den legendären Flügeltürer (Baureihe W198) folgte 1957 (bis 1963) der 300 SL Roadster (Baureihe W198 II), der immer noch ein höchst potenter Sportwagen war, aber bereits in Richtung Komfort und Luxus abbog.

Überlappend (1955–1963) wurde in ungleich größerer Stückzahl der 190 SL (Baureihe W121 B II) gebaut – ein wunderschöner Sportwagen, der mit 25.881 Exemplaren kommerziell ungleich erfolgreicher war, als der „große Bruder“ – aber Super Car? Und Motorsport war eher die Ausnahme.

1963 wurden beide – der 300 SL Roadster und der 190 SL – durch die Baureihe W113, besser bekannt als „Pagode“, abgelöst. Und wieder: Ein wunderschönes Auto, wunderbar zu fahren (für den „normalen Fahrer“ viel besser geeignet, als die 300 SL) und mit 48.912 in den Jahren 1963–1971 höchst erfolgreich. Aber Super Car und Motorsport? Außer dem Sieg von Eugen Böhringer bei der Rallye Spa–Sofia–Liege im Jahre 1963 ist da wenig in Erinnerung geblieben.

So sind wir also in der Mitte der 1960er-Jahre angekommen und zehn Jahre nach dem grandiosen Erfolg (sportlich und imagemäßig) war Mercedes – die älteste und nach Selbstverständnis die beste Automobilfabrik der Welt – von einer Führungsposition bei den Supersportwagen weit entfernt. Der Mitbewerb hatte den Ferrari 250 GT Berlinetta SWB (ab 1959) oder gar den 250 GTO (1962–1964), den Jaguar E (ab 1961) aber auch Lamborghini 350 GT/400 GT (1964–1968) und Miura (ab 1966), Porsche 904 (1963–1965) oder der Ford GT 40. Und Mercedes hatte die wunderschöne und elegante Pagode …

Der Mercedes SLX

Irgendwie war die Situation nicht ganz befriedigend und Fritz Nallinger (Vorstand der Daimler-Benz AG und Leiter für Konstruktion, Entwicklung und Versuch) initiierte das Projekt SLX, mit dem Mercedes wieder in der obersten Liga mitspielen wollte.

Die ersten Entwürfe sind mit Mai 1962 datiert, und diese Ideen basieren offensichtlich auf der Pagode. Im Herbst 1965 schien man dann, unter der Federführung von Paul Bracq und Giovanni Battistella, eine befriedigende Lösung gefunden zu haben – ein bildschönes, zweisitziges Mittelmotorcoupé und bis Frühjahr 1966 wurde aus dem Holdmodell im Maßstab 1:5 ein ebenfalls aus Holz gefertigtes Modell in voller Größe, das ausgiebig im hauseigenen Windkanal getestet wurde. In dieser Zeit erwarb Mercedes auch einen Porsche 904, um sich mit der Fahrdynamik eines Mittelmotorautos vertraut zu machen – abgesehen vom Mercedes 150 H der 1930er-Jahre völliges Neuland für Mercedes.

Das Holzmodell wurde im Windkanal und der Porsche 904 auf der Teststrecke geprüft, aber Ende 1965 ging Fritz Nallinger in die wohlverdiente Pension, und mit seinem Abgang war die treibende Kraft hinter dem Projekt SLX verschwunden, und kurz darauf beschloss der Vorstand, die Entwicklung nicht mehr weiter zu verfolgen. Aber die Idee eines Mittelmotorsportwagens war bei Mercedes angekommen.

Der Mercedes SLX hatte Glück im Unglück. Er wurde nicht, wie so viele andere Prototypen verschrottet resp. als Holzmodell „der thermischen Verwertung“ zugeführt, sondern landete in irgendeinem hinteren Winkel der „Heiligen Hallen“, wo er bis 2019 – offenbar wohlbehalten – verstaubte. 2019 wurde er „abgestaubt“ und mit seinen Nachfahren – fünf Exemplare des C 111 – auf der Techno Classica in Essen gezeigt.

Der C 101/C 111

Die 1960er-Jahre haben – technik-historisch gesehen – drei große, faszinierende „Weiße Elefanten“1 hervorgebracht: die Concorde, das Hovercraft und – hier für uns von Interesse – den Wankel-Motor.

Der Wankel-Motor ist ein Rotationskolbenmotor (im Gegensatz zum Hubkolbenmotor, wo sich der Kolben hin- und herbewegt) wurde von Felix Wankel – nach dem er auch benannt ist – erfunden und in den 1950er-Jahren von NSU perfektioniert. Auf die Zerwürfnisse zwischen NSU und Wankel wollen wir hier nicht näher eingehen. 1963 wurde mit dem NSU Wankel Spider der erste Serienwagen mit Wankel-Motor auf der IAA präsentiert.

Bekanntlich sprangen „alle“ Hersteller auf den Wankelzug auf und erwarben bei NSU Lizenzen für den Wankel-Motor. Die prominente Liste reichte von Mazda bis Citroën, von Porsche bis General Motors und von Rolls-Royce bis Toyota. Auch die Daimler-Benz AG war dabei und erwarb gleich zwei Lizenzen für „Benzinmotoren über 50 PS“ (26.10.1961) und für „Dieselmotoren ohne Einschränkung“ (12.03.1964).

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit investierte Mercedes viel Aufwand in die Weiterentwicklung des Wankel-Motors zur Serienreife und stieß auf all die Probleme, die auch die Kollegen bei NSU hatten. Irgendwann sollte der neue Wunder-Motor vielleicht doch den Weg vom Prüfstand in ein Automobil finden, und Ende 1968 wurden bei der wöchentlichen „Technischen Besprechung PKW“ unter dem Tagesordnungspunkt „Neue Projekte“ drei Konzepte für neue Sportwagen – ein „kleines sportliches Fahrzeug“, einen Nachfolger des 300 SL und ein Rennsportwagen für Sportwagenrennen – diskutiert.

In den folgenden Wochen und Monaten nahm die Spezifikation des Projekts allmählich Gestalt an: Der Radstand wurde auf 250 cm festgelegt, um 10 cm länger als der 300 SL. Die Bodengruppe sollte aus Stahlblech bestehen und darauf eine mit der Bodengruppe verklebte GFK-Karosserie. Die voluminösen Seitenschweller, in denen die Kraftstofftanks untergebracht waren, legten die Verwendung von Flügeltüren nahe, was auch eine willkommene Verbindung zum legendären 300 SL herstellte. Und natürlich sollte der Zweisitzer von einem Wankel-Motor als Mittelmotor angetrieben werden. Der Projektname lautete C 101 W 36 – ein Coupé der Baureihe 101 mit Wankel-Motor von 3,6 Liter Hubraumäquivalent. Für das Design der Karosserie war das Team um den Stylisten Joseph Gallitzendörfer zuständig.

In zahllosen Besprechungen und Sitzungen von Technik, Marketing und Vorstand wurde versucht zu definieren, in welche Richtung die Entwicklung gehen sollte, wobei drei große Varianten definiert wurden: Der C 101 als Straßensportwagen in kleiner Stückzahl (500 bis 1.000 Stück) mit dem Dreischeibenwankelmotor von 3,6 Liter Hubraumequivalent2 und 300 PS einerseits, und der C 101 als Rennsportfahrzeug mit Vierscheibenwankelmotor mit 4,8 Liter Hubraumequivalent und 400 PS.

Bei der monatlichen Sitzung der „PKW-Kommission“ wurde der C 101 erstmals am 5. Februar 1969 durch Rudolf Uhlenhaut dem Vorstand vorgestellt. Die Präsentation sollte auf der IAA im Herbst des Jahres erfolgen. Bis dahin sollten vier bis fünf Stück zur Verfügung stehen. Ab 1970 würden dann 100 Stück pro Jahr gefertigt werden, die zum – optimistisch geschätzten – Stückpreis von 20.000 bis 25.000 DM Käufer finden sollten. Die Preisschätzung wurde bereits in der Sitzung angezweifelt und gleichzeitig wurde betont, dass die Arbeiten für das „Imageprojekt“ nicht die Arbeiten für die Typen W116 (S-Klasse) und R107 (SL) beeinträchtigen dürften. Bis September (IAA Termin) gab es noch viel zu tun.

In der „Stilistenabteilung“ entstanden unzählige Skizzen-Entwurfszeichnungen und Modelle, ehe die endgültige Form des C101 finalisiert werden konnte. Neben traditionellen Konstruktionszeichnungen wurden – nicht zuletzt ob des knappen Zeitplans – ESEM (Elasto-Statik-Element-Methode), eine von Daimler-Benz entwickelte Finite-Elemente-Methode, die auf IBM-Großrechnern lief, verwendet. Der C101 war weltweit das erste Automobil, das von Anbeginn am Computer konstruiert worden war. Dadurch konnten geschätzte vier Monate Entwicklungszeit eingespart werden. 
Um Motor, Chassis und Fahrwerk unabhängig von der Karosserie erproben zu können, entstand ab März 1969 ein handgefertigter Prototyp der mit einer kantigen, provisorischen Karosserie versehen war. Das ästhetisch nicht befriedigende Einzelstück bekam den wenig ehrenhaften Beinamen „Hobel“.

Der „Hobel“ wurde in verschiedenen Konfigurationen ausgiebig auf der Einfahrbahn getestet und am 16. April 1969 wagten sich Rudolf Uhlenhaut und Projektleiter Dr. Hans Liebold erstmals auf öffentliche Straßen und am 2. Mai auf den Hockenheimring.

Während die einzelnen Komponenten im „Hobel“ erprobt wurden, realisierte man, dass die Zeit für den Bau der Serienfahrzeuge wie im Flug zerrann, und so schrieb Dr. Hans Liebold in einer internen Notiz, „… dass ,für die Erprobung des Wagens in der vorgesehenen Form bis zur Frankfurter Ausstellung erschreckend wenig Zeit …‘ bleibt“ und fuhr fort: „Herr Uhlenhaut verlangt daher von allen betroffenen Abteilungen, daß (sic!) im Renntempo gearbeitet wird. Das bedeutet, daß (sic!) insbesondere die Abteilungen, deren Arbeit jeweils terminbestimmend sind, mindestens in zwei Schichten täglich arbeiten müssen.“

Während der Hobel als einziger C101 ein Chassis mit dem ursprünglich geplanten Radstand von 250 cm hatte, hatten alle folgenden C101 einen um 12 cm verlängerten Radstand (um auch den Vierscheiben-Wankel-Motor unterbringen zu können). Im Mai/Juni 1969 wurde eifrig am Wagen 2, dem ersten „echten“ C101, gebaut, der zwischen Sindelfingen (Chassis), Untertürkheim (Versuch) und Rastatt (GFK-Karosserie) allmählich Gestalt annahm. Nach Lackierung (in Weiß) und Komplettierung der Innenausstattung wurde der Wagen 2 am 14. Juli wieder nach Untertürkheim geliefert, wo er für den „großen Tag“ in Hockenheim vorbereitet wurde.

Am 15. Juli feierte Direktor Uhlenhaut seinen 63. Geburtstag und der begnadete Rennfahrer und Techniker feierte diesen mit dem ersten C 111 auf der Rennstrecke. Wie Zeitzeugen berichten, wollte er „sein“ Auto gar nicht mehr verlassen.

Wagen 2 war – im Vergleich zum Hobel – ein solides Fahrzeug mit kompletter Karosserie und Innenausstattung, was allerdings seinen Preis auf der Waage hatte: 1.059 kg für den Hobel vs. 1.218 kg (mit Straßenreifen) für den Wagen 2.

Sobald die Geburtstagsfeier beendet war, begann wieder die Arbeit und daraus ergab sich eine lange, lange Liste an Mängel und Problemen – zu schwere Sitze, unexakt schließende Türen, Scheibenwischer im Blickfeld des Fahrers, enttäuschende (verglichen mit dem Hobel 7,5 Sekunden langsamer am Hockenheimring) Fahrleistungen, undichte Kraftstofftanks, thermische Probleme, … Es gab genug Arbeit und Bedarf an neuen Lösungen, die natürlich wieder getestet werden wollten. Ab 4. August stand dafür auch der Wagen 3 zur Verfügung.

In der Öffentlichkeit und in den Medien hatte der C101 bereits im Frühjahr 1969 seinen ersten Auftritt – im „Frankfurter Börsenbrief“. Der „Börsenbrief“ schrieb allerdings nicht über den Supersportwagen, sondern über die NSU-Aktie resp. NSU-Genussscheine, deren Kurs natürlich von der Frage „Wird Daimler-Benz den Wankenmotor verwenden?“ stark beeinflusst wurde. Da war die Nachricht „Der erste Mercedes-Sportwagen mit Wankel-Motor soll im Herbst vorgestellt werden“ natürlich höchst (kurs-)relevant. Was die Öffentlichkeit nicht wusste: Auch Firmenintern wurde die Frage Wankel-Motor ja/nein, und wenn ja, in welchen Modellen intensiv, kontroversiell und ergebnisoffen diskutiert.

Zwei Wochen später spekulierte die „Stuttgarter Zeitung“ über eine Zusammenarbeit/Fusion von Daimler-Benz, NSU und BMW. Umgehend sah sich Daimler-Benz zu einer Entgegnung veranlasst „… befinden sich für Versuchs- und Demonstrationszwecke einige mit Wankel-Motor ausgerüstete Sportwagen in Erprobung.“ – nicht mehr und nicht weniger.

Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen blieb der „mit Wankel-Motor ausgerüstete Sportwagen“ in der (Motor-)Presse präsent, oft mit mehr oder weniger phantasievollen Zeichnungen garniert. Wenig überraschend war der Wankel-Sportwagen auch auf der Hauptversammlung der Daimler-Benz AG am 24. Juli 1969 ein Thema, allerdings ein Thema, das nicht befriedigend beantwortet werden konnte. Würde der Wankel-Motor den Hubkolben ablösen? Würde der Sportwagen in Serienproduktion gehen? Heute wissen wir, dass der Vorstand nichts zu verheimlichen versuchte, sondern dass man diese Antworten selbst noch nicht wusste.

Am 15. August ging Daimler-Benz mit dem Wankel-Sportwagen an die Öffentlichkeit und teilte in einer Pressemitteilung mit: „Das Material, das wir Ihnen heute über den C 111 – so heißt er nun endgültig – schicken, setzt allen Mutmaßungen ein Ende.“ – Eine Presseaussendung, die nicht nur in den deutschsprachigen Medien mit Interesse aufgenommen wurde.

C 111? Jetzt sind wir etwas verwirrt! Haben wir jetzt nicht seitenlang über ein Automobil namens C101 gelesen? Nein, kein Druckfehler, sondern am 5. August hatte man im Rahmen einer Vorstandssitzung über den Namen diskutiert, denn man hatte – so wie bereits einige Jahre zuvor Porsche im benachbarten Zuffenhausen – „entdeckt“, dass sich Peugeot alle dreistelligen Zahlen mit Null in der Mitte (außer 707, das durfte Boeing verwenden) schützen hatte lassen. SLX? C 100? Schlussendlich wurde es C 111 (obwohl dies der interne Baureihencode für das 280 SE Coupé war) und man fuhr ab da zweigleisig – extern C 111 und intern C101.

Vom 1. bis 5. September 1969 wurden die Wagen 2 bis 4 – in klassischem deutschen Renn-Weiß lackiert – zusammen mit anderen zur IAA neuen Modellen am Hockenheimring der Weltpresse präsentiert. Wer von euch jetzt eine Zeitreise ins Jahr 1969 buchen will, um derart zu einer Probefahrt am Hockenheimring zu kommen – vergesst es! Im krassen Gegensatz zur üblichen Gepflogenheit, hieß es für die Damen und Herren der Presse „Bitte nehmen Sie am Beifahrersitz Platz, Direktor Uhlenhaut wird Sie um den Ring chauffieren.“ Zu wertvoll (und zu sensibel) waren die drei C 111, als dass man sie den Journalisten anvertraut hätte, und das galt vorerst einmal auch für die „ganz Großen“ wie Karl Ludvigsen. Lediglich Paul Frere, belgischer Motorjournalist und Le Mans-Sieger 1960, durfte den Wagen 4 auf der Autobahn zwischen Hockenheim und Frankfurt selbst fahren, worüber er exklusiv und enthusiastisch in „auto, motor und sport“ vom 27. September 1996 berichtete.

Am 11. September öffnete die IAA ihre Pforten und der C 111 Wagen 5 – mittlerweile umlackiert auf das legendäre Orange-metallic, das offiziell als Farbton „Weißherbst“ (nach einem Roséwein benannt) bezeichnet wurde – war der unumstrittene Star der Messe. Die Wagen 2 bis 4 im Freigelände waren noch im traditionellen Weiß gehalten.

Die IAA und die Pressepräsentation waren für Mercedes und den C 111 der erhoffte Erfolg gewesen. Zahlreiche Anfragen und fixe Bestellungen für den Supersportwagen waren eingegangen, und mehr als ein Blankoscheck wechselten den Besitzer. Aber vorerst einmal wollte Mercedes den Schwung weiter ausnützen.

Am 20./21. September wurde der C 111 der österreichischen Presse präsentiert – am nagelneuen Salzburgring, der an diesem Wochenende eröffnet wurde. Bei zahllosen weiteren Ausstellungen – von der „Jochen Rindt Show“ in Wien bis zur „Chicago Auto Show“, von der „Mondial de l’Automobile“ in Paris bis zum Bundesligaspiel des VfB Stuttgart gegen Hannover 96 (Stuttgart hat gewonnen) – war der C 111 ein gerne gesehener Gast.

Im Pressetext zum C 111 hatte Mercedes die Motorleistung des Wagens mit 280 PS bei 7000 U/min und die Höchstgeschwindigkeit mit 260 km/h angegeben. Aber wieviel ging der C 111 (der ersten Ausführung) wirklich?

Kaum hatte die IAA ihre Pforten geschlossen, trat man den Beweis an: Wagen 3 wurde mit Rennreifen bestückt, seines Reserverades „beraubt“ und wegen des Gewichts mit fast leerem Tank auf die Autobahn(!) Karlsruhe–Basel geschickt. Um 6 Uhr früh war der Verkehr dünn und der C 111 schnell: 263 km/h – die Presseaussendung hatte nicht übertrieben. Mit den Beschleunigunswerten war man weniger zufrieden, und wie Rekordfahrer Guido Moch es formulierte „nach insgesamt vier scharfen Anfahrversuchen war die Kupplung praktisch zerstört“. Das beunruhigte aber niemanden so wirklich, denn bereits zwei Wochen davor hatte Hans Scherenberg, der Leiter des Gesamtbereichs „Forschung und Entwicklung“ im Vorstand, entschieden, dass die Zukunft des C 111 im leistungsstärkeren Vierscheiben-Wankel-Motor liegen sollte.

Mit den Wagen 2 bis 5 fasste der „Versuch Vorentwicklung“ die bisherigen Erfahrungen zusammen, und es war bei weitem nicht alles eitel Wonne.

–       Fahrverhalten erwartungsgemäß gut
–       die Optik der Karosserie fand – bis auf einzelne Kritiker – weitgehend Zustimmung
–       Aerodynamik und Abtrieb bei 250 km/h einwandfrei
–       sowohl die GFK-Karosserie, als auch die Bodengruppe sind zu schwer (in Summe fahrfertig gut 1.200 kg – der Lamborghini Miura wog fahrfertig 1.075 kg)
–       der Wankel-Motor ist laufruhig und geräuscharm, aber die Lebensdauer beträgt maximal 6.000 km
–       die Kupplung ist hoffnungslos überfordert
–       und und und

Fazit: Es ist viel zu tun, gehen wir es an! Denn die Weiterentwicklung würde sich lohnen.

Zuerst einmal wurden das System der Benennung der Wagen geändert. Bisher waren die sechs gebauten Wagen (1x Hobel und 5x C 111) von 1 bis 6 durchnummeriert – viel zu einfach, dachte sich wohl irgendwer, und aus den Wagen 1 bis 6 wurde 21 bis 26.

Da (funktionsfähige) Vierscheiben-Wankel Motore Mangelware waren, wurde für weitere Fahrversuche ein C 111 mit einem (leistungsgesteigerten) V8-Motor der neuen Motorenbaureihe M117 ausgerüstet. Der 4,5 Liter V8 leistete respektable 330 PS, zeigte aber auch respektable Verbrauchswerte – 46,7 Liter Kraftstoff auf 100 km sowie 10,5 Liter Öl auf 1.000 km – wie Dr. Hans Liebold in einem Schreiben an den Motorenversuch beklagte. 

Im Jänner kollidierte Wagen 24 (ehemals Wagen 4) mit einem Tor am Hockenheimring – der Fahrer blieb unverletzt, der C 111 war schwer beschädigt und wurde durch den Wagen 24a, der aber bereits die Karosserie der zweiten Serie hatte, ersetzt.  

Positiveres gab es vom Wagen 26 im Juni 1970 zu vermelden: Bei Messfahrten auf der Autobahn (diesmal um 4 Uhr Früh) lagen, mit dem Vierscheiben-Wankel ausgestattet, die erreichten Geschwindigkeiten zwischen 295 und 299 km/h.

Der C 111-II

Der schnelle Wagen 26 war im Juni 1970 eigentlich schon „altes Eisen“, denn bereits ein Jahr zuvor – also vor der Präsentation des C 111 auf der IAA – wurden die Weichen zur zweiten Generation gestellt. Daran nicht ganz unbeteiligt war der Milliardär Friedrich-Karl Flick, dessen Familie 39% des Aktienkapitals von Daimler-Benz hielt. Kraft seiner Beteiligung saß Flick nicht nur im Aufsichtsrat, sondern wurde auch schon früh zu einer Besichtigung des C 111 eingeladen und bekam diesen später für ein Wochenende geliehen. Flick hätte wohl einen guten Autotester abgegeben, denn er fasste seine fundierte Kritik in klaren Worten zusammen. 

Das Feedback von Flick, andere Kritik und eigene Tests ergaben eine lange Liste von Verbesserungen, darunter die Sichtverhältnisse vom Fahrersitz aus an ganz vorderster Stelle. Forderungen wie der von Uhlenhaut vorgebrachte Wunsch nach einem „praxisgerechten Kofferraum“ oder eine Klimaanlage dokumentieren, dass Mercedes auch noch nicht wusste, ob der C 111 ein Versuchsträger bleiben würde oder in kleiner (oder auch größerer) Serie an Kunden gehen sollte. 

Mit viel Feinarbeit war der C 111-II optisch und aerodynamisch deutlich besser geworden, als die erste Serie. Die Front war (vom Fahrersitz aus) übersichtlicher, die Gürtellinie etwas niedriger, die Fensterflächen größer. Optisch kann man die beiden Varianten von vorne vor allem an den Luftauslässen (ein quer- vs. zwei nebeneinanderliegende), den Blinkern in den Kotflügelkanten und die zusätzlichen Scheinwerfer im vorderen Grill (beides beim C 111-II) erkennen. Von hinten erkennt man die zweite Serie an den runden Rücklichten und den niedrigeren, aber breiteren Lamellen am Heck. 

Die Klappscheinwerfer, die bisher mechanisch zu betätigen waren, waren jetzt elektrisch betätigt – eine Verbesserung, die nicht immer funktionierte. Der Innenraum war komplett neu gestaltet worden – freundlicher und ergonomischer.

Laut Vorstandsbeschluss vom 1. Dezember 1969 sollten vom C 111-II fünf Versuchswagen gebaut werden, von denen bis zum Genfer Automobil-Salon im März 1970 allerdings nur zwei rechtzeitig fertig wurden. Dies waren die Wagen 31 und 32, denn die Nummerierung des C 111-II wurde mit 31 begonnen. Im Pressetext wurde er mit den bescheidenen Worten „C 111 – Jetzt Schneller, stärker und interessanter“ beschrieben. Weiter im Text lesen wir „Trotz der eleganten, aerodynamisch ausgefeilten Form und eindrucksvollen Fahrergebnissen erwies sich ganz eindeutig: der C 111 ist ein Versuchsfahrzeug, eine Art rollendes Labor …“.

Das klang nicht so, als ob man den C 111 demnächst käuflich erwerben könnte, aber in Stuttgart diskutierten der Vorstand und andere Gremien noch immer die Frage einer Serienfertigung. Von Motor- und Fahrleitung her passte das Paket. Der Vierscheibenwankel leistete 400 PS und reichte für eine Spitze in der Region für 300 km/h – und das war im Jahre 1970 wirklich schnell. Der Verbrauch lag bei „scharfer Fahrweise“ um die 22 Liter/100 km und der Ölverbrauch bei knapp 2 Liter/1.000 km. Inzwischen waren die restlichen drei C 111-II – Wagen 33 bis 35 fertiggestellt, wobei Wagen 36 wegen des noch immer bestehenden Mangels am Wankel-Motor mit einem 3,5-Liter-V8 versehen wurde.

Mit der Verfügbarkeit von Fahrzeugen kamen auch „Normalsterbliche“ zur Ehre, einen C 111 selber fahren zu dürfen, wobei die „Normalsterblichen“ vielleicht nicht so normal waren. Die Glücklichen waren verdiente Mitarbeiter des Entwicklungsteams, also quasi eine „Incentive Fahrt“. Andererseits wurden Prominente – Udo Jürgens, Gilbert Becaud oder Herbert von Karajan, König Hussein von Jordanien, … – anlässlich eines Besuches in Stuttgart über die Einfahrbahn chauffiert. Bildlich dokumentiert ist auch der Besuch von Bundespräsident Walter Scheel, der von Dr. Hans Scherenberg persönlich gefahren wurde.

Unter den prominenten Besuchern hätte sich sicherlich der eine oder andere Käufer gefunden, aber die Frage der Serienproduktion war noch immer nicht entschieden. Einst hatte Rudolf Uhlenhaut optimistisch einen Verkaufspreis von 25.000 DM angepeilt, aber jetzt wurde ernsthaft gerechnet – Kapazitätsplanungen, Kalkulation für Stückzahlen von 50–2000 Stück und der mögliche Imagegewinn oder -schaden. Realistische Preisschätzungen lagen jetzt , je nach Stückzahl und Berechnungsart, zwischen 66.000 und 296.000 DM Selbstkosten(!) pro Stück! Diese Selbstkosten, Engpässe in den Entwicklungsabteilungen und zu erwartende Probleme im Kundenservice – lauter gute Gründe für den Vorstand, am 23. November 1971 das Projekt endgültig zu beenden.

Alle Blankoschecks, die zwischenzeitlich eingetroffen waren, wurden vermutlich dem Archiv einverleibt, und all die prominenten Kunden mussten sich nun andere Supersportwagen in die Garage stellen. Wirklich alle? Ein prominenter Kunde durfte sich im Oktober 1972 über die Auslieferung seines Mercedes C 111 freuen.

Der glückliche Kunde war 12 Jahre alt und bekam den C 111 sogar geschenkt. Sein Vater war allerdings Mohammed Reza Pahlavi, der letzte iranische Schah und Kronprinz Cyrus Reza Pahlavi dessen ältester Sohn. Der MPV Teheran genannte Wagen basiert auf einem Formel-V-Rennwagen und entstand in einer Zusammenarbeit von Mercedes, Porsche und Volkswagen (MPV) und erinnert farblich und optisch an den C 111. Anfang der 1970er-Jahre saß der Schah noch fest am Thron und der Iran war für Deutschland ein wichtiger Öl-Lieferant und ein wichtiger Kunde. Und so durfte der deutsche Botschafter in Teheran den MPV Teheran im Namen von Bundeskanzler Willy Brand dem königlichen Hof überreichen. Erstaunlich: Der Wagen hat all die Jahre und die Revolutionswirren überlebt und ist heute im „National Car Museum of Iran“ in Karaj in der Nähe von Teheran zu bewundern.

Ist damit unsere Geschichte des Mercedes C 111 zu Ende? Ganz und gar nicht, die hat gerade erst begonnen!

Zunächst einmal betrat Mercedes mit Wagen 36 und 37 – wieder einmal – technisches Neuland und baute dafür in Zusammenarbeit mit der Farbenfabrik Bayer eine Bodengruppe aus Kunststoff. Bayer hatte mit dem Bayer K67 (mit BMW Mechanik) Pionierarbeit geleistet und wollte dies jetzt mit Mercedes ausbauen.

Eine Vorgabe von Mercedes war, dass die GFP-PUR Bodengruppe – eine Sandwichbauweise aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) und einem Kern aus Polyurethan-Hartschaum (PUR) – die gleichen Abmessungen und die gleichen Befestigungspunkte für Karosserie und Mechanik sowie Tanks bieten musste. Ziel des Versuches war, die Festigkeit einer derartigen Konstruktion zu testen und vielleicht eine für Kleinserien billigere Bauweise zu finden.

„Natürlich“ lief das Projekt und die Kooperation der Partner – Mercedes, Bayer und WMD (Waggon- und Maschinenfabrik Donauwörth, die bereits das Bayer Kunststoffauto gebaut hatten) – nicht friktionsfrei. Qualitätsprobleme und ungenaue Dimensionen erschwerten den Zusammenbau, und das GFK-PUR-Chassis war schwerer, als das herkömmliche aus Stahlblech. Zusätzlich war die Wandung aus GFK dicker, als die verwendeten Bleche, was Probleme beim Einbau des Tanks verursachte und sogar den Innenraum merklich verkleinerte. Bei den Fahrtests zeigte sich eine geringere Steifigkeit und dadurch ein deutlich schlechteres Fahrverhalten – interessanterweise vor allem mit Straßenreifen und kaum mit Rennreifen.

Trotzdem wurde bis Ende 1975 ein zweiter Wagen mit Kunststoffchassis gebaut und mit dem Wagen 37 war die Karriere des C 111 als „Rollendes Labor“ abgeschlossen. Obwohl das GFP-PUR-Chassis kein Erfolg gewesen war, konnte Mercedes wertvolle Erfahrungen für die Zukunft verbuchen.

Der C 111-II D

Bereits im Mai 1975 hatte „das zweite Leben“ des C 111 begonnen – vom Forschungsfahrzeug zum Rekordwagen. Wie war es dazu gekommen?

1972 hatte Opel einen Opel GT stromlinienförmig modifiziert und mit einem Dieselmotor aus dem Rekord mit einem Turbolaser versehen. Der 2,1-Liter-Vierzylinder leistete statt der serienmäßigen 60 PS jetzt 95 und beschleunigte den Dieselweltrekord GT auf 197 km/h – und im Rahmen einer dreitägigen Rekordfahrt im Opel-Testzentrum Dudenhofen – zu zwei Weltrekorde und 18 internationale Rekorde für Dieselfahrzeuge.
 

Das konnte und wollte Dieselpionier Mercedes nicht so bestehen lassen und anlässlich der Präsentation der 450 SEL 6,9 im Mai wurde der Beschluss gefasst „Das können wir besser!“ und mit dem OM 617 Dieselmotor und dem C 111 hatte man ja eine optimale Basis.

Während die Entwickler mit dem Rechnen und Konstruieren begannen, betrat Motorjournalist und Oldtimersammler Fritz B. Busch mit einem eigenen Projekt die Bühne. Mit seinem „Dieselstar“ genannten Rekordwagen – ein mit 25 m2 Aluminiumblech verkleideter Formel 2-Rennwagen mit einem Dieselmotor von Mercedes mit (dank Turbolader) 187 PS – erreichte Busch am VW-Testgelände in Ehra-Lessien eine Spitzengeschwindigkeit von 253,7 km/h. Rekord gebrochen – Mission erfüllt!

Mercedes ging die Sache deutlich ernsthafter an – schließlich hat ein Konzern andere Ressourcen zur Verfügung als ein Journalist, der zufällig ein Oldtimer-Museum besitzt. Der C 111 Wagen 31 wurde einer umfassenden Abmagerungskur unterzogen (ein leichterer Mercedes-Stern sparte beispielsweise 150 Gramm), verbesserten den cw-Wert von 0,345 auf 0,305, bauten eine Schnellbetankungsanlage und den Turbo-aufgeladenen OM 617 in den Wagen ein.

Da derartige Rekordfahrten weder auf der Autobahn noch in Hockenheim möglich waren, entschied man sich gleich für den bestmöglichen Ort, die „Pista di Nardò“, eine kreisförmige Teststrecke bei Nardò in Apulien. Der Kreis, der eigentlich für einen Teilchenbeschleuniger geplant gewesen war, hat 4 km Durchmesser und eine Streckenlänge von 12,6 km. In der überhöhten Kurve können Geschwindigkeiten bis 240 km/h „freihändig“ gefahren werden.

Am 10. Juni 1976 begann um 08:00 Uhr am Morgen der große Tag – und war nach 6 Stunden und 18 Minuten resp. 127 Runden bereits wieder zu Ende – der Dieselrekordwagen touchierte bei Höchstgeschwindigkeit die Leitplanke. Ein vorderer Querlenker war gebrochen, und es war nur den Fahrkünsten des Versuchsingenieurs Joachim Kaden zu verdanken, dass der Unfall so glimpflich ausging.

Die Reparaturen konnten vor Ort durchgeführt werden, und am Morgen des 11. Juni startete der nächste Versuch – nach einer Stunde 59 Minuten gab das rechte, vordere Radlager seinen Geist auf.

Schon am nächsten Morgen (16. Juni 1976) erfolgte der dritte Start, und diesmal lief alles problemlos. Nach 64 Stunden waren 16 internationale Rekorde – von 10 km bis 10.000 Meilen sowie von einer Stunde bis 24 Stunden – der Klasse 8 (Dieselmotore von 2000–3000 ccm) gebrochen.

Der C 111-III

Mit der erfolgreichen Rekordfahrt der C 111-II D alias Wagen 31 war das Team auf den Geschmack gekommen. Der turboaufgeladene Fünfzylinder OM 617 hatte noch Potential und mit verbesserter Aerodynamik sollten noch viel höhere Geschwindigkeiten erreichbar sein. Dass im Juni 1976 der Dieselmotor auch in der S-Klasse angekündigt worden war, hatte damit sicher nichts zu tun …

Aber eigentlich lagen die Wurzeln des Rekordwagen ganz wo anders. Stilistikchef Bruno Sacco wollte seiner Abteilung etwas mehr Öffentlichkeit geben und initiierte in Sindelfingen den „Kuppelbau“ als Präsentationsraum, in dem die Arbeit der Stilistikabteilung – im Rahmen von Pressevorstellungen und ähnlichen Events – zu bewundern sein sollte. Aber da gab es ein kleines Problem: Die aktuelle Arbeit, d.h. die neuen Modelle der nächsten Jahre konnte man nicht zeigen … Also schuf die Stilistikabteilung ein Phantasie-Produkt, eine fiktive Weiterentwicklung des C 111, ein „2-sitziges aerodynamisches Coupé“, wie es in einem Protokoll beschrieben wird.

Umfangreiche Windkanalversuche drücken den cw-Wert (des Modells) auf unglaubliche 0,146. Die Presse spekulierte über neue Silberpfeile, und die Techniker machten sich bereits an die Realisierung. Auf Basis des C 111 entstanden zwei Fahrzeuge mit Hightech-Karosserie, die in einem Verbundwerkstoff aus Glas-, Carbon- und Borfasern bei einer Dicke von nur 1,8 mm die nötige Festigkeit liefern sollte. Die fertige 508 cm lange Karosserie wog nur 200 kg.

Am 6. Oktober 1977 brach eine Flotte aus fünf PKW, einem Kastenwagen und zwei LKW – Wagen 41, der erste C 111-III an Bord – Richtung Nardò auf, wo am 8. Oktober die ersten Testfahrten begannen. Neben etlichen kleineren Defekten zeigte sich auch durchaus Positives: Die Scheibenwischer waren auch bei Geschwindigkeiten über 300 km/h (im Regen!) voll funktionstauglich.

Im Zuge der Testfahrten wurde auch – wahrscheinlich – ein neue Rekordrunde mit einem Schnitt von 314 km/h gefahren. Den „alten Rekord“ soll Niki Lauda mit 312 km/h mit einem Formel 1 Ferrari gehalten haben …

Über den Winter wurde Wagen 41 in unzähligen Details verbessert und am 7./8. März 1978 waren Wagen 41 und sein Zwillingsbruder Wagen 42 wieder in Süditalien, wo es primär um Reifentests ging. Dunlop, Goodyear und Michelin hatten Reifen zur Verfügung gestellt.

Mittlerweile war die Bahn in Nardò weitgehend ausgebucht und Mercedes konnte nur mehr das Wochenende 29. April bis 1. Mai für einen Exklusivtermin „ergattern“. Am 29. April um 00:00 Uhr wurde zunächst einmal Wagen 42 mit den Fahrern Paul Frere, Rico Steinemann, Guido Moch und Dr. Hans Liebold auf die Reise geschickt. Die Fahrt nahm nach 265 Runden (3.350 km) durch einen geplatzten Hinterreifen, der Teile der Karosserie zerstörte, ein unplanmäßiges Ende. Bis zum 5. (und letzten vor dem Reifenplatzer) Boxenstop war der Schnitt bei 319,05 km/h gelegen. Der Verbrauch, was vielleicht noch bemerkenswerter ist, lag bei nur 16,45 Liter/100 km.

Unverzüglich wurde Wagen 41 bereit gemacht. Nach rund 14 Stunden Fahrzeit riss die rechte, hintere Halbachse, aber die Mission war mehr als erfüllt – die Weltrekorde von 10 km bis 12 Stunden waren gebrochen. Nicht Klassenrekorde oder Rekorde für Dieselfahrzeuge, sondern Weltrekorde – ein Umstand, den die Presseabteilung von Daimler-Benz gebührend zu betonen wusste.

Die Entwicklungsabteilungen sahen gleich drei mögliche „logische nächste Schritte“:

–       Eine weitere Rekordfahrt im Herbst, um auch noch die fehlenden Rekorde einzusammeln
–       ein Zweisitzer mit Straßenzulassung
–       ein Le Mans-Projekt

Alle drei Projekte sollten mangels freier Entwicklungkapazitäten nicht realisiert werden, und der C 111-III wanderte ins Museum, aber nicht sofort und nicht am direkten Weg. Wagen 42 hatte „noch etwas vor“…

Der C 111-IV

Neben den offiziellen von der FIA anerkannten Rekorden, von denen der C 111-III ja nicht weniger als 9 in Nardò errungen hatte, gab es noch einen, sozusagen inoffiziellen Rekord: Die höchste Geschwindigkeit auf einer geschlossenen Rennstrecke. Seit dem 9. August 1975 hielt der Amerikaner Mark Donohue diesen Rekord: 355,848 km/h mit einem 1.000 PS starken Porsche 917/30 am Alabama International Motor Speedway (heute Talladega Superspeedway) in Talladega, Alabama.

Der Dieselrekordwagen war, das war klar, dafür nicht geeignet, aber Daimler-Benz hatte ja auch feine Benzinmotoren im Programm. Berechnungen ergaben, dass ein C-111-III mit halbvollem Tank 327–373 PS bräuchte, um 360 resp. 380 km/h zu erreichen … Und wie wäre es mit 400 km/h?

Dank gravierender Umbauten der Karosserie (vorne und hinten verlängert), einer Fülle von Spoilern, Flossen und Flügeln (asymmetrisch für die Kreisbahn optimiert), einem auf 500 PS frisierten M 117-Motor (V8 von 4,5 Liter Hubraum) und unzähligen Stunden im Windkanal war aus dem C 111-III der C 111-IV geworden, der bereit für Testfahrten in Nardò war. Dabei – im März 1979 – wurde die schnellste Runde mit 404,4 km/h gemessen. Schönheitspreis gab es für den neuesten „Silberpfeil“ allerdings keinen. „Auf stylistische Belangen wurde bei der Modifizierung des Fahrzeugs keine Rücksicht genommen“, wie Designchef Bruno Sacco es treffend formulierte.

Die eigentliche Rekordfahrt sollte dann am 5./6. Mai 1979 mit Dr. Hans Liebold persönlich am Steuer über die Bühne gehen. Trotz etlicher Probleme – beim ersten Versuch versagte die Zeitnehmung, beim zweiten rutschte die Kupplung, … – konnten vier offizielle Rekorde (sehr deutlich) verbessert werden:

10 km 320,615 (bisher 283,101 km/h)
10 Meilen 335,454 (bisher 282,673 km/h)
100 km 375,670  (bisher 316,484 km/h)
100 Meilen 367,396 (bisher 319,835 km/h)

Und, dem Team vielleicht noch wichtiger: Der Rundstreckenrekord konnte von 355,848 km/h auf 403,978 km/h verbessert werden.

Damit war der C 111 am Ende seiner Karriere angelangt. Für Ausstellungszwecke entstand noch ein Wagen 43 (in der Optik der C 111-III), der allerdings kein fahrfähiges Automobil war.

Von den je nach Zählweise 14 bis 17 gebauten C 111 – 1x Hobel, 5 (+ 1)x C 111-I, 6 (+1x) C 111-II, 2 (+1x C 111-III, davon einer auf C 111-IV modifiziert – wurden vier verschrottet und die anderen sind im Besitz des Mercedes-Museum und bis heute gerne gesehene Leihgaben auf Ausstellungen und in Museen. Wagen 31, der Dieselrekordwagen, und Wagen 36 (V8-Benziner) sind fahrbereit und haben Auftritte bei hochkarätigen Veranstaltungen in aller Welt.

Postscript: Der C 111-V

Das C 111-V genannte Projekt sollte dank aerodynamischer Hilfsmittel und 800 PS Geschwindigkeiten in der Region von 450 km/h erlauben. Wegen des Risikos bei einer allfälligen Rekordfahrt und wegen mangelndem Werbewert wurden am 13. Oktober 1980 alle Arbeiten am C 111-V endgültig eingestellt.

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