Jochen lebt!

Autor: Christian Sandler


Unter diesem, vielleicht schon etwas abgedroschenen Slogan steckt jedoch die Tatsache, dass es genug Leute der Generation 55plus gibt, für die Jochen Rindt etwas ganz Außergewöhnliches darstellt und heuer seinen imaginären 80er feiern werden.

Was ist so besonderes an einem Automobil-Rennfahrer, der sich vor beinahe 52 Jahren, als 28-Jähriger, mit seinem Todessturz in der berüchtigten „Parabolica“ von Monza in den Himmel der Halbgötter katapultierte. Unter diesem Aspekt muss man Rindt in einem Atemzug mit Größen wie James Dean, Ulli Maier, J. F. Kennedy, Ayrton Senna oder Marylin Monroe nennen. Stars, von denen man wahrscheinlich noch Generationen lang sprechen wird.

Karl Jochen Rindt wurde am 18. April 1942 im deutschen Mainz geboren, der Vater war Deutscher und die Mutter Österreicherin. Die Eltern betrieben in Mainz die Gewürzmühle Klein & Rindt (Kleri) in zweiter Generation und kamen 1943 bei einem Bombenangriff in Hamburg ums Leben. Klein Jochen übersiedelte daraufhin zu seinen Großeltern nach Graz, wo er wohlbehütet aufwuchs, die deutsche Staatsbürgerschaft behielt er jedoch. Der Jochen war ein aufgewecktes Bürscherl. Um ihn halbwegs zu zähmen, steckte man ihn in eine private Mittelschule nach Bad Aussee, wo er unter anderem mit Dr. Helmut Marko für die Matura büffelte. Die Lehrer bezeichneten ihn als „eher schwierig“ und zu jedem Blödsinn bereit.

Doch seine Liebe galt dem Motorsport. Er löste sich eine österreichische Fahrerlizenz und begann wie die meisten aus dieser Epoche mit Wertungsfahrten, Bergrennen oder Flugplatzrennen. Angefangen hat er mit einem banalen Simca, wechselte dann in die Formel Junior und über die Formel 2 kämpfte er sich durch bis in die Königsklasse Formel 1. War er am Beginn seiner Karriere noch durch seine ungestüme Fahrweise aufgefallen, entwickelte sich Jochen zu einem exzellenten Top-Fahrer. So nebenbei gewann er mit Masten Gregory 1965 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Dann schlug dieser unerschrockene Kerl auch noch in England bei einem Formel-2-Rennen die Weltelite, inklusive den britischen Göttern dieser Zunft – Jim Clark und Graham Hill. Und bevor die Deutschen einen Versuch wagten, diesen charismatischen Durchstarter mit der krummen Nase und nasalen Stimme, als einen der ihren zu proklamieren, hat er sich in der internationalen Motorsportwelt schon längst als „Austrian“ manifestiert.

1967 heiratete er das finnische Fotomodell Nina Lincoln, eine zierliche Schönheit, die auch heute noch mit ihrer Ausstrahlung überzeugt, im Jahre 1968 wurde ihre gemeinsame Tochter Natasha geboren. Hat es anfangs in der Formel 1, mit Cooper und Brabham, noch am Material gelegen, wurde er in der Formel 2 zum Seriensieger. Dann setzte Jochen „all in“ und wechselte zum Formel-1-Team von Lotus. Rindt selbst war von den fragilen Konstruktionen Chapmans gar nicht überzeugt, aber er wollte Weltmeister werden und nahm so das Risiko auf sich. Ende 1969 folgte dann endlich der erste Sieg in der Formel 1 – Watkins Glen. Fuhr er am Beginn der 1970er-Saison noch mit dem alten Lotus 49 und gewann damit noch im Fürstentum, wechselte er für die folgenden Rennen auf den ultraflachen Lotus 72 und wurde damit zum Seriensieger (siehe Austro Classic 3/2020). Beim Heim-Grand-Prix in Zeltweg riss die Glückssträhne, und am 5. September 1970 endete das Leben unseres Karl Jochen Rindt unter der Leitschiene von Monza.

Es war, als ob die Sonne plötzlich vom Himmel fiel und viele Menschen erinnern sich heute noch an die Szene, wo sie waren oder was sie gerade machten, als die Todesmeldung sich an jenen Nachmittag in Windeseile ausbreitete. Aber in den Herzen der Fans lebt das Idol weiter und über Rindt wird gesammelt, was das Zeug hält. Mit Büchern, Modellen, Posters, Ansichtskarten oder Autogrammen wurde so mancher „Herrgottswinkel“ eingerichtet. So auch Alois Schweighofer, ein mittelständischer Unternehmer aus Großsteinbach im Feistritztal in der Steiermark. Unweit seines Heimatortes erblickte er als 15-Jähriger Rindt bei einer Motocross-Veranstaltung auf Schloss Herberstein und war von der Ausstrahlung dieses Helden fasziniert. Ein paar Wochen später, klein Alois spielte in der Schülerliga seines Heimatortes, erfuhr er nach dem Spiel vom tragischen Tod in Monza. Schon damals begann er, Bilder oder Zeitungsausschnitte von der Formel 1 und natürlich speziell über Jochen Rindt zu sammeln, er besuchte Grand-Prix-Rennen in ganz Europa. Neben der Familie und der eigenen Firma wurde mit der Zeit auch Jochen Rindt immer mehr ein Lebensmittelpunkt und die Sammelleidenschaft nahm zu.

Mittlerweile hat er über 35.000 Bilder, fein säuberlich, Rennen für Rennen in Ordnern abgelegt, zusammengetragen. Man glaubt es kaum, aber er hat auch ca. 400 Modellautos, in sämtlichen Größen, in seinen Vitrinen geparkt. Es gibt sogar eine Einzelanfertigung vom Lotus 72C im Maßstab 1:5, das Ding ist einen Meter lang. Unzählige Bücher, Autogramme, Rennplakate, Zeitungen und Rennprogramme, von nahezu allen Rennen die Jochen bestritt, sind ordentlich katalogisiert und abgelegt. Das meiste hat er anfangs auf Plattformen wie Ebay oder Willhaben zusammengetragen. Mit der Zeit wurde er in der „Szene“ immer bekannter und die Artefakte immer außergewöhnlicher. Jetzt ist es eigentlich schon so, dass Herrn Schweighofer aus Jochens Umfeld, wie Mechaniker oder Medienvertreter, so manche Schätze angeboten werden und Alois kann da meistens nicht wiederstehen. Rennwagenteile, originale Pokale, Siegeskranzschleifen, Plaketten, und sonstige Trophäen landeten von seinem Idol standesgemäß in der Steiermark. Aber es geht noch exotischer. Zeugnisse im Original, Teile von Jochens Schriftverkehr, sogar zwei Helme und zwei Overalls (in echt!) zieren die Doppelgarage und mehrere Räume. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, was es alles zu kaufen gibt, wenn man nur lange genug sucht. Einer der vielen eyecatcher ist ein Fotoalbum im XXL-Format über die Temporada 1968. Am Ende der Formel-1- Saison fand in den 1960er-Jahren in Argentinien immer die Temporada, ausgetragen mit Formel-2-Rennwagen statt, so hatte die Grand Prix-Elite auch in der europäischen Wintersaison ihre Rennen. Gefahren wurde in Buenos Aires, Cordoba und San Juan, die ersten drei dieser Meisterschaft bekamen neben den üblichen Pokalen, Gedenkmünzen und einem dicken Scheck auch das zuvor erwähnte Fotoalbum. Und Jochens persönliches Album kann man ebenso bewundern, riesengroß und als Umschlag verwendet der Veranstalter das Fell eines Rindviehs. Wahrscheinlich hat für die drei Alben ein argentinischer Zuchtstier aus der Pampa herhalten müssen. Viele können sich noch an den fürchterlichen Unfall von Hill und Rindt beim spanischen GP 1969 in Barcelona erinnern, wo an beiden Autos die Heckflügel brachen. Beide hatten Riesenglück und kamen mit leichten Verletzungen davon, das zerschundene Lenkrad aus Jochen Lotus 49 ist auch ausgestellt. Hier kannst du ganz ehrfürchtig sogar Jochens originalen Terminkalender aus dem Jahre 1969 durchblättern oder seine Manschettenknöpfe angreifen, Originalrechnung vom K&K Hofjuwelier inklusive. Fein säuberlich restauriert parkt eine Replik von Jochens Simca Montlhéry in der Garage, umrahmt von Replika-Helmen der Stars wie Hill, Andretti, Berger, Wurz, Quester, Koinigg oder Lauda, natürlich in Vitrinen. In einer speziellen Vitrine gibt es sogar Exponate aus der Gewürzmühle Kleri, aus der du heute, noch Jahrzehnte später den Duft von Zimt verspürst.

Aber wir wollen hier keine Inventarliste schreiben, dafür ist der Platz ohnehin nicht vorhanden. Wenn man das alles sieht und vielleicht so wie der Autor dieser Zeilen den Mythos Jochen Rindt damals live erlebt hat, dann wird hier, und nur hier, dieser unvergessene Rennfahrer irgendwie greifbar und dreidimensional und der antiquierte Spruch „Jochen lebt!“ hat an diesem Ort wirklich seine Berechtigung.


 

Diese Website verwendet Cookies, um ein gutes Surferlebnis zu bieten

Dazu gehören essentielle Cookies, die für den Betrieb der Seite notwendig sind, sowie andere, die nur zu anonymen Statistikzwecken, für Komforteinstellungen oder zur Anzeige personalisierter Inhalte verwendet werden.
Sie können selbst entscheiden, welche Kategorien Sie zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass aufgrund Ihrer Einstellungen möglicherweise nicht alle Funktionen der Website verfügbar sind.

Diese Website verwendet Cookies, um ein gutes Surferlebnis zu bieten

Dazu gehören essentielle Cookies, die für den Betrieb der Seite notwendig sind, sowie andere, die nur zu anonymen Statistikzwecken, für Komforteinstellungen oder zur Anzeige personalisierter Inhalte verwendet werden.
Sie können selbst entscheiden, welche Kategorien Sie zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass aufgrund Ihrer Einstellungen möglicherweise nicht alle Funktionen der Website verfügbar sind.

Ihre Cookies-Einstellungen wurden gespeichert