Leichtathletin - 25 Jahre Lotus Elise
Autor: Alexander Korab
„Man nehme Einfachheit und gebe Leichtigkeit hinzu.“ An jene simple Rezeptur von Colin Chapman erinnerte man sich bei der Entwicklung der Elise, dem erfolgreichsten Modell in der wechselvollen Firmengeschichte von Lotus.
Ende 2021 wurde die Produktion der Elise eingestellt. Ein Vierteljahrhundert war sie auf dem Markt und das ist schon bemerkenswert für einen eher kümmerlich ausgestatteten Sportwagen. Klimaanlage, elektrische Fensterheber, Sitzheizung, ABS, ESP – dergleichen war anfangs nicht zu haben. Es gab kein Handschuhfach, der Kofferraum war selbst für sparsames Reisegepäck zu klein und dennoch übertrafen die Verkaufszahlen alle Erwartungen. Lotus-Gründer Colin Chapman hätte seine Freude an dem Leichtgewicht gehabt, das nicht mehr und nicht weniger zu bieten hatte, als puren Genuss an motorisierter Fortbewegung. Und damit traf Lotus selbst anspruchsvollste Enthusiasten mitten ins Herz.
Mit der Elise war der verloren geglaubte Lotus-Spirit endlich wieder da. Zum besseren Verständnis müssen wir da ein wenig in den Rückspiegel schauen. Chapmans Karriere nahm 1948 in einer Bastelgarage im Norden Londons ihren Anfang. Mit relativ geringem Aufwand und wenigen Zutaten entstanden dort minimalistische Sport- und Rennwagen, die erstaunlich gute Fahrleistungen erbrachten. Nur zehn Jahre nach der Gründung war Lotus bereits in der Formel 1 angekommen. Die sieben Titel in der F1-Konstrukteurs-WM zwischen 1963 und 1978 dürfen wir bei unseren älteren Lesern als bekannt voraussetzen.
Familiengeschichten
Eine improvisierte Produktion von Serienautos begann in den 50er-Jahren mit den Modellen „Six“ (1952–1957) und „Seven“ (1957–1972). Die „Elite“ (1957–1963) war der erste Lotus mit Kunststoffkarosserie. Diese relativ kostengünstige Technologie ermöglichte es auch kleinen Herstellern, vollwertige Autos zu bauen. Mit der Elite schrieb Lotus jedoch nur rote Zahlen. In die Gewinnzone kam man erst mit dem Lotus Elan (1962–1973). Dem ultraleichten Sportwagen genügten 105 PS, um doppelt so starke Konkurrenten gehörig in Bedrängnis zu bringen. Mit einem einfachen Fahrgestell aus gekantetem Blech und einer leichten GFK-Karosserie kam man auf 690 kg Leergewicht. Diesem Baumuster folgend erschien 1966 der Lotus Europa als erster Mittelmotor-Seriensportwagen der Geschichte. Dieses Auto könnte man durchaus als Großvater der Elise bezeichnen.
Die Nachfolgegeneration für die 70er-Jahre rückte eine Klasse höher. Chapman wollte mehr Komfort, mehr Leistung, bessere Ausstattungen und damit letztlich mehr Geld verdienen. Die Modelle „Elite“ (1974–1982), „Éclat“ (1974–1982), „Excel“ (1982–1992) und „Esprit“ (1976–2004) wurden – ganz typisch für die Dekade – kantig und keilförmig gestaltet. Besonders gelungen war der vom Studio Giugiaro entworfene Lotus Esprit. Insgesamt wurden vier Serien und 10.500 Stück produziert. Mit 28 Jahren Bauzeit ist der Esprit Rekordhalter unter allen Lotus-Modellen. Die Verkaufszahlen blieben bei allen vier Modellen jener Epoche bescheiden.
Chapmans Erbe
Im Dezember 1982 verstarb Colin Chapman überraschend. Er wurde nur 54 Jahre alt. Für Lotus bedeutete sein Ableben einen großen Verlust. Die ohnehin angespannte Lage von Lotus Cars verdüsterte sich immer mehr. 1986 sah sich Chapmans Witwe Hazel gezwungen, das Automobilwerk an GM (General Motors) zu verkaufen. Der Rennstall war als eigenständiges Unternehmen von der Krise zunächst nicht betroffen. Das Team Lotus konnte unter der Leitung von Peter Warr zwar keine weiteren WM-Titel, doch immerhin noch eine Reihe beachtlicher GP-Siege feiern. Nach und nach blieben die Erfolge aus und schließlich war das Team zahlungsunfähig. Der Grand Prix von Australien 1994 war das letzte Rennen, an dem ein echter F1-Lotus an den Start ging. Jahre später tauchte der Name Lotus zwar wieder im Grand Prix-Zirkus auf. Es handelte sich jedoch um Teams, die sich lediglich des klingenden Namens bedienten, mit Chapmans legendärem Rennstall aber nichts mehr zu tun hatten.
In der GM-Zeit kamen zwei neue Lotus-Modelle heraus, der „Elan M100“ (1989–1992), ein kompakter Roadster mit Isuzu-Motor und Vorderradantrieb, sowie der „Omega Lotus“ (1990–1992), eine Opel/Vauxhall-Limousine, die bei Lotus in ein Raubtier verwandelt wurde. Beiden war kein Glück beschieden. Dem M100 kam der Mazda MX5 in die Quere, welcher zeitgleich erschien, aber deutlich weniger kostete. Die Power-Limousine Omega mit Fahrleistungen in der Nähe eines Ferrari F40 entpuppte sich als Problemfall. Meist sah man diese Autos in der Werkstatt und nicht auf der Straße.
General Motors verkaufte Lotus 1993 an einen italienischen Geschäftsmann namens Romano Artioli. Dieser hatte 1987 die Markenrechte an Bugatti erworben und in der Provinz Modena eine Fabrik auf die grüne Wiese stellen lassen, um dort neue Bugattis zu produzieren. Das Abenteuer scheiterte bereits 1995 und ein Jahr später musste Artioli Lotus wieder abgeben, um die Bugatti-Verluste abzudecken. Ab dann gehörte Lotus Cars mehrheitlich zu Proton, einem Konzern mit Sitz in der Stadt Shah Alam in Malaysia. 2012 kam Proton unter das Dach der malaysischen DRB-HICOM-Gruppe. 2017 wechselten 51 Prozent der Proton-Anteile zum chinesischen Autohersteller Geely, welcher heute die Marschrichtung bei Lotus vorgibt. Soviel zu den komplizierten Besitzverhältnissen seit der Ära Chapman. Für diese Geschichte interessiert uns das kurze Artioli-Intermezzo der fast 75-jährigen Lotus-Historie deshalb, weil die Elise eben in jenem Zeitfenster ersonnen wurde.
Zurück in die Zukunft
Als Romano Artioli Lotus übernahm, war ihm bewusst, dass etwas geschehen musste, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Also rief er in Hethel/Norfolk, wo Lotus seit 1966 beheimatet ist, ein Projektteam zum Brainstorming zusammen.
Am Anfang stand die Frage, was die „Faszination Lotus“ einst ausmachte. Warum waren ein Seven oder ein Elan in den 60ern so beliebt? Wie könnte ein Sportwagen aussehen, der direkt an jene Tradition anknüpft und dabei ganz neue Maßstäbe setzt? Bald schon standen die Parameter fest. Klein und wendig sollte das Auto werden, ein Cabrio, niedrig, schlicht, kompromisslos, innovativ und vor allem extrem leicht. Es ging weniger darum, was man alles einbauen, sondern was man alles weglassen könnte. Mittelmotor war State of the Art für eine optimale Straßenlage. Wenn man alles richtig macht, reichen schon vier Zylinder mit 120 PS für gute Fahrleistungen. Und Gewicht spart man dabei auch noch. Das war Chapmans Religion und daran orientierten sich alle Beteiligten beim Lotus-Projekt Nr. 111, welches von Tony Shute geleitet wurde. Lotus Nr. 110 war übrigens ein futuristisches Carbon-Rennrad, mit dem Chris Boardman bei den Olympischen Spielen 1992 siegte. Nun wurde ein Name gesucht, der mit einem „E“ begann, wie es bei Lotus so der Brauch ist. Artioli schlug vor, den Lotus 111 „Elise“ zu nennen, nach seiner Enkelin Elisa, die 1993 zur Welt kam. Elisa Artioli lebt heute in Berlin und besitzt immer noch eine silberne Elise der ersten Serie, welche sie als Zweijährige von ihrem Großvater geschenkt bekam.
Geniales Herzstück der Elise war ihr innovatives Chassis. Richard Rackham, der mit dem Entwurf betraut war, hat sicher mit einem Auge auf den Rohrrahmen des Lotus Seven geschielt, als er erste Skizzen anfertigte. Der filigrane Rohrrahmen des Seven wog nur 30 kg. So eine Struktur kam nicht in Frage, weil sie modernen Sicherheitsanforderungen nicht mehr genügte. Mit dem Werkstoff Aluminium schien zumindest eine Annäherung an jenes Traumgewicht möglich. Die Lösung war eine Kiste – zwei schmale Längsholme als Seitenteile, Verbindungsprofile für die Radaufhängungen und für die Montage der Türen, ein nach hinten abgestützter Überrollbügel. Viel mehr war nicht dran. Die Komponenten wurden verklebt und genietet. Schweißnähte gab es nur bei den Türscharnieren. Das Ergebnis geriet extrem stabil und brachte 65 kg auf die Waage. Das Know-how bei der Umsetzung kam von Hydro Aluminium in Dänemark, wo das Chassis in Serie gefertigt wurde. Ein Kunstwerk für sich waren die Pedale. Bremse, Kupplung und Gas bestanden aus Segmenten speziell geformter, extrudierter Aluprofile. Mit einem Aluminium-Keramik-Mix konnte bei den Bremsscheiben ebenfalls Gewicht eingespart werden.
Als Antrieb war zunächst noch ein Aggregat von Toyota im Gespräch, aber dann fiel die Wahl auf einen englischen Lieferanten. Der Rover K-Series-Motor leistete schon seit 1988 gute Arbeit im Rover 200. Die Eckdaten waren ideal für den neuen Lotus: ein 1,8 Liter Sauger mit vier Vierzylindern, zwei obenliegenden Nockenwellen, 16 Ventilen, Kopf und Block aus Aluminium. Mit Multipoint-Einspritzung brachte die Maschine 118 PS auf die Räder und ein Drehmoment von 165 Nm schon bei 3000 Umdrehungen.
Der erste Eindruck zählt und daher spielt die Formgebung bei jeder Fahrzeugentwicklung eine tragende Rolle. Für das Management stand einiges auf dem Spiel, denn einen weiteren Flop konnte und wollte man sich nach dem Elan M100 nicht leisten. Es galt optisch zu vermitteln, dass Lotus ganz neue Wege beschritt. Gefragt war ein frischer, sympathischer, jugendlicher, dynamischer und moderner Look. Gleichzeitig sollten ganz dezent die 60er-Jahre mitschwingen, ohne dass das Auto antiquiert wirkte. Der Designer Julian Thomson schaffte diesen Spagat und legte einen überaus attraktiven Entwurf vor, der breite Zustimmung fand. Es ist kein Geheimnis, dass es Vorbilder gab. Dazu zählten der Dino 246, der Ford GT40, die Ginetta G12, der Porsche 908. Thomson verstand es, die Zitate so geschickt und harmonisch unterzubringen, dass am Ende doch zweifelsfrei ein typischer Lotus dabei herauskam. Die Karosserie sollte wie bei allen anderen Vorfahren seit 1957 aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt werden.
Weniger ist mehr
Kühle Nüchternheit herrschte im Innenraum der Elise vor – zwei Rundinstrumente von Stack, ein paar Schalter, ein paar Knöpfe, die nackten Aluminiumholme und Profile des Fahrgestells nur spärlich mit Kunstlederauflagen abgedeckt. Denkt man an das schwülstige und überladene Interieur mancher Luxussportwagen, so tut diese Askese ganz gut. Auch hier ging es in erster Linie um das Gewicht. Letztlich stand die sportliche Fortbewegung im Vordergrund und da war viel Leder und Holz vollkommen überflüssig. Um die Fertigungskosten gering zu halten, wurden diverse Bauteile zugekauft. So kamen etwa Stockschalter, Fensterkurbeln und Türgriffe von Opel/Vauxhall, die Heizung von Peugeot. Für das Stoffverdeck fand man eine ziemlich clevere Lösung, die ohne Elektromotoren, Karosserieklappen oder komplexe Gestänge gut funktionierte.
Nach zwei Jahren Entwicklungszeit waren die ersten Prototypen fertiggestellt. Eine komplette Elise hatte einen Radstand von 2300 mm, war 3726 mm lang, 1701 mm breit, 1202 mm hoch und wog leer nur 675 kg. Neben dem Lotuswerk, das auf dem Gelände eines alten Militärflugplatzes errichtet worden war, konnten auf der hauseigenen Rundstrecke die ersten Testfahrten absolviert werden. Dabei ermittelte man eine Beschleunigung von 5,9 Sekunden auf 100 km/h und eine Höchstgeschwindigkeit von 201 km/h. Das sagt nicht allzu viel aus über die wahren Qualitäten der Elise. Der neue Lotus – und da stimmten alle überein, die ein Vorserienmodell ausprobieren durften – vermittelte ein sensationelles, fast berauschendes Fahrerlebnis, welches man bislang nur von Rennwagen kannte. Offenbar hatte man diesmal alles richtig gemacht. Die Kalkulation ergab einen verlockend günstigen Verkaufspreis und so blickte man zuversichtlich der Markteinführung entgegen.
Elise-Feeling
Die Präsentation auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt im September 1995 verlief durchaus erfreulich für Lotus. Die Elise bezauberte das Publikum und war der Liebling der Presse. Die schwache Performance des Lotus-Teams bis zum bitteren Ende in der F1-Saison 1994 hatte auch dem Image von Lotus Cars geschadet und da kam die Elise genau zur richtigen Zeit. Die ersten Testberichte waren voll des Lobes und das wirkte sich natürlich auf die Bestellungen aus. 1995 kamen auch der „MG F“ (mit dem K-Series Rover-Motor) und der „Renault Sport Spider“ (mit Alu-Chassis) heraus, doch beide konnten der Elise nicht das Wasser reichen. Sie war eine Klasse für sich. Lotus war zunächst gar nicht auf eine so große Nachfrage vorbereitet. 1996 wurden nur 425 Elisen produziert, 1997 waren es bereits 2155 und 1998 sogar 3032 Stück. Interessenten mussten anfangs noch mehr als ein Jahr sehnsüchtig auf die Auslieferung warten.
Was hat es nun mit dem einzigartigen „Elise-Feeling“ auf sich? Das kann man nur schwer beschreiben, man muss es bei einer Probefahrt erleben. Zunächst stellt man fest, dass man in eine Elise nicht so einfach einsteigen kann, sondern über die hohen Seitenschweller hineinklettern muss wie in eine Badewanne. Wenn das Stoffdach montiert ist, wird es richtig mühsam und das ist auch einer der ganz wenigen Kritikpunkte. Mit ein wenig Übung gelingt dann schon ein halbwegs elegantes Boarding.
Die große Überraschung kommt erst, wenn man ein paar Kilometer gefahren ist. Das Auto fühlt sich so unglaublich leicht an, fast als würde es aus Styropor bestehen. Dazu kommt eine herzerfrischende Agilität. Es reagiert auf die kleinste Lenkbewegung, auf jeden Millimeter Gas. Schon bei niedrigen Drehzahlen setzt der Schub ein. Kurven sind ein wahrer Genuss. Das Ding scheint sich richtig an der Straße festzusaugen.
Man sitzt so perfekt in den Schalensitzen, dass man meint, mit dem Fahrzeug verwachsen zu sein. Das ideale Habitat der Elise sind gut asphaltierte und wenig befahrene Landstraßen, Nebenstraßen oder Bergstraßen. Da kann man mühelos eine Performance hinlegen, die den Führerschein kostet.
Fast Forward
Hier könnte unsere Geschichte schon zu Ende sein, doch tatsächlich stehen wir erst ganz am Anfang. Die Elise der ersten Serie bot eine ausbaufähige Basis und sie inspirierte kreative Geister zum Bau von diversen Derivaten, Ablegern, Abwandlungen und Interpretationen. Um Ordnung in die verwirrend große Vielfalt von Modellen und Erscheinungsformen zu bringen, macht es Sinn, primär chronologisch vorzugehen. 1997 erschien die Elise GT1 (Type 115), eine Rennversion für die FIA GT-Meisterschaft. Die Kevlar-Karosserie war optisch auf Elise getrimmt, aber tatsächlich teilte die GT1-Elise mit der Serien-Elise nicht viel mehr als das Chassis. Freilich war es verstärkt worden, um den erhöhten Belastungen gewachsen zu sein. Geplant war ursprünglich der Motor des Esprit V8, ein Twin-Turbo mit 3,5 Litern Hubraum (Type 918). Zur Anwendung kam das Aggregat jedoch nur in einer einzigen „zivilen“ Ausführung. Die restlichen sieben GT1 für die Rennstrecke bekamen den Chevrolet LT5-Motor der Corvette ZR1. Der 6,0 Liter V8 leistete 615 PS und katapultierte den Wagen in 3,2 Sekunden auf 100 km/h.
Letztlich konnte sich die GT1-Elise aber nicht gegen die Konkurrenten von Porsche, Mercedes und McLaren behaupten. Die Einsätze waren von Pannen überschattet. Le Mans endete nach 121 Runden mit einem Ölpumpenschaden. Mehr als Platz 8 in Spa war für die Werks-GTs nicht drin. Meist blieben sie, so sie das Ziel überhaupt sahen, jenseits der ersten 10. Bestes Ergebnis war ein 5. Platz des privaten „GBF UK-Teams“ in Helsinki. Man könnte sagen, „außer Spesen nichts gewesen“. Wegen der hohen Kosten hat Proton dann auch ein Ende des Abenteuers verordnet. Zwei Werkswagen und ein Container voll Ersatzteile wurden an den Niederländer Mike Hezemans verkauft. Er meinte, in der Aerodynamik die Hauptursache für das schwache Abschneiden der Renn-Elisen gefunden zu haben. Er modifizierte die Karosserie, installierte Chrysler V10-Motoren und erhielt von Erich Bitter die Erlaubnis, die Autos als „Bitter GT1“ in die Saison 1998 zu schicken. Nach zwei glücklosen Einsätzen war das Hezemans-Team pleite.
Letztlich konnte sich die GT1-Elise aber nicht gegen die Konkurrenten von Porsche, Mercedes und McLaren behaupten. Die Einsätze waren von Pannen überschattet. Le Mans endete nach 121 Runden mit einem Ölpumpenschaden. Mehr als Platz 8 in Spa war für die Werks-GTs nicht drin. Meist blieben sie, so sie das Ziel überhaupt sahen, jenseits der ersten 10. Bestes Ergebnis war ein 5. Platz des privaten „GBF UK-Teams“ in Helsinki. Man könnte sagen, „außer Spesen nichts gewesen“. Wegen der hohen Kosten hat Proton dann auch ein Ende des Abenteuers verordnet. Zwei Werkswagen und ein Container voll Ersatzteile wurden an den Niederländer Mike Hezemans verkauft. Er meinte, in der Aerodynamik die Hauptursache für das schwache Abschneiden der Renn-Elisen gefunden zu haben. Er modifizierte die Karosserie, installierte Chrysler V10-Motoren und erhielt von Erich Bitter die Erlaubnis, die Autos als „Bitter GT1“ in die Saison 1998 zu schicken. Nach zwei glücklosen Einsätzen war das Hezemans-Team pleite.
Rennfahren muss aber gar nicht so aufwendig sein. Auf der Rundstrecke macht auch eine seriennahe Elise keine schlechte Figur. Bereits 1997 wurde in Italien die „Lotus Trophy“ für Hobbyfahrer und Amateure ins Leben gerufen. Im Jahr 2000 kam das „Lotus Autobytel Championship“ hinzu, mit Läufen unter anderem in Spa-Francorchamps und auf dem Nürburgring. In England fanden motorsportlich ambitionierte Elise-Fahrer im „Lotus on Track Racing Driver’s Club“ (LoTRDC) zusammen, welcher ab 2007 die „Elise Trophy“ mit Rennen in England und auf dem Kontinent veranstaltete. In Zusammenarbeit mit dem Werk organisierte der LoTRDC ab 2008 auch den „Lotus Cup Europe“, der sich im Laufe der Jahre zum weltweit beliebtesten Markenpokal entwickelte.
Zahlenspiele
1998 erschien das erste Upgrade, die Elise Sport 135 mit 136 PS. Noch mehr Pferde konnten mit variabler Ventilsteuerung (K-Series Rover VVC) mobilisiert werden – 145 PS bei der Elise 111S (ab 1999), 158 PS bei der Elise Sport 160 und 192 PS bei der Elise Sport 190 (beide ab 2000). Die Modellbezeichnungen bei den Elisen sind nicht leicht zu dechiffrieren. Die Bezifferung bezog sich meist auf die Leistung, aber nicht immer. Die Elise Type 49 Gold Leaf Heritage (1999) war ein Sondermodell, das mit der Lackierung in rot/gold/weiß an den legendären Lotus Typ 49 F1-Rennwagen (1967–1970) erinnerte. Limitierte Editionen sind eine beliebte Marketing-Strategie, der sich auch Lotus zu bedienen verstand. Da bekommt man nicht nur einen Sportwagen, der sich in der Farbgebung sowie in einigen Ausstattungsdetails von der Serie abhebt, sondern dazu auch ein bedeutsames Narrativ. Andere Ikonen aus der Geschichte von Lotus standen Pate für die Heritage-Modelle Elise Type 25 „Jim Clark“ in dunkelgrün mit gelben Mittelstreifen (2002), Elise Typ 23 in weiß mit grünem Doppelstreifen (2003), Elise Type 99T in Camel-Senfgelb (2003) sowie Elise Type 79 (2000) und Type 72D (2007) in schwarz mit goldenen Felgen. Und da sind wir mit den Sondermodellen noch lange nicht am Ende. Es gab spezielle Jubiläums-Elisen, weiters eine Milleniums- und eine California Edition, Club Racer und Sports Racer, das Modell Classic, nicht zu vergessen die Sport-, S-, R-, Cup- und GT-Versionen sowie eine Final Edition. Wir wollen es bei der Aufzählung belassen, weil wir sonst das ganze Heft mit Elisen füllen müssten, würden wir auf alle Details näher eingehen.
Die radikalste Reduktionsstufe der Elise wurde 1998 in Birmingham präsentiert. Die Elise 340R war ein Torso mit freistehenden Rädern – nicht unbedingt eine Schönheit, aber faszinierend zu fahren. „340“ bezieht sich in diesem Fall auf die Leistung pro Tonne – ein rührender Trick, um von der tatsächlichen Motorleistung abzulenken. Rechnet man nach, so kommt man dahinter, dass das Auto eigentlich „262R“ hätte heißen müssen. Jedenfalls hat man 340 Stück gebaut, was den kleinen Rechenfehler wieder gut macht. Am Styling des 340R konnte man schon erahnen, was Lotus mit der nächsten Elise-Generation vor hatte. Mit dem Retro-Look der ersten Serie waren die Designer nicht mehr glücklich. Die Elise sollte dynamischer und moderner ins neue Jahrtausend gehen.
Evolution und Mutation
Die zweite Auflage war kantiger gestaltet und sah schon geparkt schneller aus, als die S1-Baureihe. Geblieben ist das Chassis und der Rover-Motor. Im Jahr 2000 erschien nicht nur die neue Elise S2, sondern auch eine reizvolle Schwester. Die „Exige“ war quasi die Motorsportversion des Sportwagens. Technisch war sie weitgehend identisch mit der Elise, optisch verwandt mit der Serie 1, jedoch ein Coupé mit Fließheck, Lufthutze im Dach und einem breiten Heckspoiler. Mit 190 PS aus 1,8 Litern war das Auto nichts für Anfänger. Im unteren Drehzahlbereich fühlte sich die Exige fast schwachbrüstig an, um dann ab 4000 Umdrehungen richtiggehend zu explodieren. Obwohl sie mit Straßenzulassung angeboten wurde, war das Revier der Exige eher die Rennstrecke. Man sperrt ja auch keinen Geparden in einen engen Käfig, wenn man Tiere liebt.
2005 war Rover pleite und konnte keine Motoren mehr liefern. Also kaufte Lotus in Japan ein. Die Elise 111R mit einem 192 PS starken Toyota-Motor gab es bereits 2004. Ab 2006 war die gesamte Lotus-Range mit Motoren von Toyota ausgestattet. Im neuen Basismodell Elise S leistet das Aggregat mit 1,6 Litern Hubraum 136 PS. Mit Kompressor und 1,8 Liter Hubraum (ab 2008) kamen bei der Elise SC (supercharged) 220 PS heraus. Trotz eines höheren Eigengewichts von 903 kg beschleunigte die Elise SC in nur 4,6 Sekunden auf 100. Ab 2009 wurde der „Club Racer“ angeboten. Der Name führt ein wenig in die Irre. Da handelte es sich nicht um einen Rennwagen, sondern vielmehr um eine abgespeckte Version der Basis-Elise, die zu einem günstigen Einsteigerpreis zu haben war. Von 2006–2011 war auch die Exige mit Toyota-Motor im S2-Look zu haben. Für die Rundstrecke waren die Modelle „2-Eleven“ und „3-Eleven“ bestimmt, beide auf Basis der Elise, jedoch ohne Dach, maximal abgespeckt und radikal auf Rennwagen getrimmt. Konstruktiv ähnlich, aber schwerer als die Elise, war der Lotus „Evora“, der von 2009–2021 gebaut wurde. Der viersitzige Mittelmotorsportwagen war offizieller Nachfolger des Esprit und erhielt einen V6-Motor von Toyota mit 350 PS.
Ein neuerliches Facelifting erfuhr die Elise im Jahr 2010. Die Karosserie erschien geglättet, die Kanten weicher, das ganze Auto wirkte wie sandgestrahlt. Die Motoren kamen weiterhin von Toyota. Die Elise hatte sich mittlerweile schon ein schönes Stück vom Purismus der ersten Jahre entfernt. Längst gab es ABS und andere Assistenten, dazu kamen Airbags, elektronische Differentialsperre, Reifendrucküberwachung, auf Wunsch auch eine Klimaanlage. Leistungsmäßig wurde weiter aufgerüstet. Bei der Elise Cup 260 kam man auf 253 PS, beim Cup 250 auf 284 PS. Die Exige der 3. Serie erhielt den Toyota-V6-Motor 350 PS (Evora), ab 2018 sogar 430 PS bei der Exige Cup 430.
Nun wollen wir uns noch der illustren Verwandtschaft unserer Titelheldin zuwenden und springen zurück ins Jahr 1998. Da zeigte General Motors nämlich großes Interesse an der Elise und beauftragte Lotus mit der Entwicklung eines Sportwagens auf Basis der Elise. Das Auto sollte sich optisch von der Elise unterscheiden, mit GM-Motoren ausgestattet und als Opel Speedster, als Vauxhall VX220 und am asiatischen Markt als Daewoo G2X vermarktet werden. Das Ergebnis wurde im Jahr 2000 vorgestellt, war durchaus ansprechend und mit 147 PS (2,2 Liter Saugmotor) bzw. 200 PS (2 Liter Turbo) eine ernst zunehmende Alternative zur Elise. Dennoch war dem Auto kein großer Erfolg beschieden. Insgesamt wurden bis 2005 nur 7207 Exemplare gebaut, obwohl 10.000 Stück geplant waren.
Noch deutlich weniger Glück hatte Lotus mit dem Europa S/SE, der sich mit der Elise das Chassis teilte und von GM den Motor bekam. Der Europa war für Kunden bestimmt, die zwar einen Lotus fahren wollten, aber mehr Komfort und Understatement wünschten, als die Elise bot. Im Vergleich zur Elise wirkte der Europa unscheinbar und farblos. Letztlich interessierte sich kaum jemand dafür. Mit 456 Stück brachte es der Europa (2006–2010) zu einem unrühmlichen Rekord und wurde zum bislang seltensten Serienmodell von Lotus.
Spin-Offs und Derivate
Nicht mehr als 18 Stück wurden vom Flügeltürer „Melkus RS 2000“ (2009–2012) gebaut, ehe der in Dresden ansässige Hersteller Insolvenz anmelden musste. Firmengründer Heinz Melkus hatte 1969 den ersten und einzigen Sportwagen der DDR herausgebracht. Sein Enkel Sepp wollte die 1980 eingestellte Produktion wieder aufleben lassen und erwählte die Elise als Basis für einen neuen Melkus. Der RS 2000 sah aus wie eine Kreuzung aus Lotus Elise und Ford GT40. Drei Motorvarianten wurden angeboten, ein 1,9-Liter-Vierzylinder-Sauger mit 270 PS sowie zwei 2,0-Liter-Turbomotoren mit 325 PS für den RS 2000 GT bzw. 375 PS für das Topmodell GTS, welchem man eine Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h nachsagte.
Der mit Abstand schnellste und stärkste Ableger der Elise war der „Hennessey Venom GT“. Mit 435 km/h übertraf er 2013 sogar den Bugatti Veyron und verdiente sich damit einen Eintrag im Guinness Book als schnellster Sportwagen der Welt. Der Rekord hielt jedoch nur drei Jahre. Der Venom GT war der Elise wie aus dem Gesicht geschnitten, allerdings breiter und im Heckbereich ein wenig länger, um den 1.261 PS starken V8 Motor (von GM) unterzubringen. Zwischen 2011 und 2017 wurden in Sealy/Texas/USA fünf Coupés und ein Spyder gebaut.
Der aus heutiger Sicht wohl interessanteste Spin-off der Elise kam ebenfalls aus den USA. Der „Tesla Roadster“ erschien 2006 und war das weltweit erste Elektroauto mit einem Lithium-Ionen-Batteriesystem. Entwickelt wurde er bei Lotus in Zusammenarbeit mit „AC Propulsion“. Er wog zwar 500 kg mehr als die Elise, beschleunigte allerdings, wegen des hohen Drehmoments des E-Motors, in weniger als vier Sekunden auf 100 km/h. Damals waren E-Autos noch kuriose Exoten im Straßenverkehr. Bis 2012 wurden ca. 2400 Roadster verkauft. Trotz anfänglicher Probleme ist Tesla binnen weniger Jahre zu einem Global Player herangewachsen und beschäftigt heute über 70.000 Mitarbeiter.
Da muss doch noch mehr drin sein, meinte der Düsseldorfer Michael Fröhlich, kaufte eine serienmäßige Elise und stattete sie mit E-Antrieb aus. Front und Heck der Karosserie gestaltete er fantasievoll um und taufte das Ergebnis „PG-Elektrus“. Mit einem diabolisch grinsenden Gesicht war der mattschwarze Prototyp wahrscheinlich die „böseste“ Erscheinungsform der Elise. Sein E-Motor leistete 200 Kilowatt und 500 Newtonmeter – etwas weniger als der Tesla. Für eine kolportierte Beschleunigung in 3 Sekunden auf 100 km/h und eine Spitze von 300 km/h gibt es keine offizielle Bestätigung. Zur Bekräftigung der Traumwerte wurde ein künstlicher V8-Sound über die Lautsprecher eingespielt. Leider hat man von „Elektrus“ seit seiner Premiere im Januar 2012 in Berlin nichts mehr gehört.
Magie der Metamorphose
Bloß 120 km/h (an Land) schaffte der ebenfalls elektrisch angetriebene „Rinspeed sQuba“, seine wahren Qualitäten entfaltete er unter Wasser. Äußerlich unterscheidet er sich nur unwesentlich von der Elise. Bei genauerer Betrachtung entdeckt man am Heck zwei Propeller und über den vorderen Radkästen die lenkbaren Düsen des Jet-Antriebs. Ein Lotus als U-Boot? Da war doch was. Der tauchende Esprit im Bond-Film „Der Spion, der mich liebte“ (1977) dürfte den Schweizer Visionär Frank Rinderknecht beeindruckt haben. Seine Schöpfung, die 2008 am Genfer Automobilsalon enthüllt wurde, bezeichnete er als Spielzeug für Reiche. Zum Unterschied vom Bond-Esprit ist der Rinspeed voll funktionsfähig. Tauchgänge mit dem „U-Lotus“ sollen ein unvergleichliches Erlebnis sein. Dennoch ging der sQuba nie in Serie.
Und die Elise als Flugzeug? So unglaublich es klingt, es gab sogar in diese Richtung ernsthafte Absichten. Es handelte sich immerhin um die Firma „Aerocar Incorporated“ mit Sitz im Westen der USA, die der Elise Flügel verleihen wollte. Das Unternehmen hat es mit zwei flugfähigen Autos, dem „Model 1“ (1949) und dem „Aerocar III“ (1968) zu einiger Bekanntheit gebracht. Die Ankündigung des Projekts „Aerocar 2000“ im Jahr 2000 war die letzte offizielle Nachricht von Aerocar. Übrig geblieben sind ein paar unscharfe Bilder, auf denen eine dunkelgrüne Elise mit einem aufgepfropften Leichtflugzeug zu erkennen ist. Ob es sich dabei um echte Fotografien handelt, ist schwer zu sagen. Die beiden Prototypen, die angeblich gebaut wurden, sind jedenfalls spurlos verschwunden. Vielleicht dienten die mysteriösen Bilder nur dazu, Investoren bei Laune zu halten.
Schluss mit lustig?
Die Elise war unbestreitbar der Verkaufsschlager von Lotus. Insgesamt wurden bis Ende 2021 ca. 35.000 Stück gebaut. Aus gegebenem Anlass muss man sich die Frage stellen, ob solche Autos angesichts von Klimawandel, steigender Treibstoffpreise und verstopfter Straßen eine Zukunft haben. Vielleicht war die Elise ja der Abgesang einer Epoche, in der Autofahren noch ein unschuldiges, befreiendes und beglückendes Vergnügen war.
Lotus hat 2008 mit zwei Experimental-Elisen versucht, sich einen grünen Anstrich zu verleihen. Die „Eco-Elise“ bekam eine Schaltempfehlungsanzeige, ultraleichte Lautsprecher von Alpine sowie Innentapezierungsteile aus Hanf, Wolle und Sisal. Im gleichen Jahr wurde die 270 PS starke Exige 270E „Tri-Fuel“ präsentiert. Das Auto konnte mit jeder beliebigen Mischung aus Benzin, Methanol und Ethanol betrieben werden. Da ging es wohl weniger um einen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz, sondern eher um die Frage, wie es weitergehen könnte, wenn fossile Treibstoffquellen einmal versiegen sollten. Die nächste Elise-Generation ab 2026 soll rein elektrisch angetrieben sein. Zuvor kommt noch „Emira“, der letzte Verbrenner von Lotus und zwar als Vierzylinder mit 365 PS und als Sechszylinder mit 405 PS. Die Chinesen werden sich das neue Programm schon gut überlegt haben. „Geely“ bedeutet „glücksverheißend“ – da kann ja eigentlich nichts schief gehen.