Österreichischer Segelflug in der Zwischenkriegszeit
Autor: Wolfgang Stritzinger, TMW
Aus dem Technischen Museum, Wien...
Durch die Bestimmungen des Friedensvertrags von Saint Germain war die Luftfahrt zwischen 1919 und 1922 alliierten Flugunternehmungen vorbehalten. Erst mit dem Inkrafttreten der „Begriffsbestimmungen für die Unterscheidung der zivilen und militärischen Luftfahrzeuge“ im Mai 1922 konnte am Neubau österreichischer Muster gearbeitet werden, allerdings mit erheblichen Einschränkungen: Es durften keine leistungsstarken Flugzeuge sein, die im militärischen Bereich Anwendung finden hätten können. Als Grenzparameter galten 900 kg Nutzlast, 180 km/h Höchstgeschwindigkeit, 4.000 m Gipfelhöhe sowie eine Reichweite von 400 km. Die 1923 gegründete Österreichische Luftverkehrsgesellschaft AG (ÖLAG) verwendete daher deutsche Junkers F 13 mit Schweizer Zulassung. Nur der Bau von Segelflugzeugen unterlag keinen Bestimmungen.
Vor diesem Hintergrund konstituierte sich im Oktober 1921 der Verein „Luftschifffahrt in Steiermark“, deren erster Gleiter „Maulwurf“ von Studenten der Technischen Hochschule Graz im Februar 1923 fertiggestellt wurde. Inspiriert durch den deutschen Rhön-Segelflugwettbewerb auf der Wasserkuppe in Hessen und den daran teilnehmenden Vereinen kam es zur Umbenennung in Akaflieg (Akademische Fliegergruppe) Graz. Durch die Teilnahme bei der 1. Internationalen Österreichischen Segelflugwoche vom 13. bis 21. Oktober 1923 am Waschberg bei Stockerau mit dem Gleiter „Kef“ konnte ein ansehnliches Preisgeld lukriert werden, das zum Bau weiterer Flugzeuge verwendet wurde. Bei diesem Wettbewerb mit sieben österreichischen und sechs deutschen Flugzeugen war die große Erfahrung der Deutschen, die sie bei den seit 1920 abgehaltenen Rhön-Flugwettbewerben gesammelt hatten, offensichtlich: Alle Kategorien-Preise gingen an die Gäste. Unter den heimischen Piloten war u. a. auch Karl Ehrlich mit dem Segelflugzeug Wien des Wiener Automobil-Clubs, der in der Gruppe B (der in österreichischem Besitz mit österreichischen Piloten geflogenen Maschinen) als Sieger hervorging: Neben der längsten Flugdauer von 10 Minuten 47 Sekunden und der längsten Flugstrecke erzielte er vier weitere Preise.
Erste in Österreich abgelegte Segelflugprüfung In den folgenden Jahren wurden die österreichischen Segelflieger immer konkurrenzfähiger. Beim 9. Rhön-Wettbewerb 1928 gewann Robert Kronfeld den Fernzielflug und stellte den Höhenrekord von 540 m auf; erst zuvor im Dezember 1927 hatte er die C-Prüfung für Segelflieger auf der Rhön abgelegt. Bei einer Segelflugexpedition 1929 gelang es Kronfeld, die Rax zu überqueren, 1929/30 stellt er vier Strecken- und zwei Höhenweltrekorde auf. Am 20. Juni 1931 überquerte er an einem Tag zweimal den Ärmelkanal. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft emigrierte Kronfeld 1933 nach Großbritannien.
Die allererste in Österreich abgelegte Segelflugprüfung absolvierte am 22. März 1931 Ignaz Stiefsohn. Mit den damals bereits vorhandenen Thermik-Kenntnissen wagte er am 11. März 1931 den ersten Überflug von Wien. Am Flugplatz Aspern erfolgte 1931 der erste Flugzeugschlepp als alternative Startmethode für Segelflugzeuge in Österreich: Das Motorflugzeug A-59 schleppte das Leistungssegelflugzeug Professor des Österreichischen Aero-Clubs.
Hochleistungssegelflugzeuge in Serienproduktion In den 1930er organisierten die Akademischen Segelflugverbände den Serienbau von Hochleistungssegelflugzeugen. Konkret begannen die Arbeiten 1934 in den Nachschulungswerken für Holzbearbeitung im Arbeitsamt der Holzindustrie in Wien; dabei stellten in der Wirtschaftskrise arbeitslos gewordene Tischler und Wagner unter der Leitung erfahrener Ingenieure die Flugzeuge her. So war der Rhönbussard das erste kunstflugtaugliche Hochleistungsgerät Österreichs, das vom Freiwilligen Arbeitsdienst „Jugend in Arbeit“ im September 1934 ausgeliefert wurde. Für den Ersten Alpinen Gaisberg-Segelflugwettbewerb vom 20. Juli bis 4. August 1935 stammten zahlreiche Maschinen des Österreichischen Aero-Clubs aus dieser Produktion. Das ebenfalls für diesen Bewerb von Ulrich Hütter konstruierte Kleinsegelflugzeug H 17 erzielte mit Heinrich Hütter als Pilot am 3. Juni 1936 am Hundsheimer Kogel den neuen Langzeitrekord von 15 Stunden 23 Minuten. Insgesamt wurden in Österreich bis zum „Anschluss“ 1938 an die 550 Flugzeuge von insgesamt etwa 160 Fliegergruppen hergestellt.
Mit der Eröffnung des Segelfliegerheims Spitzerberg bei Bad Deutsch-Altenburg (NÖ) am 28. Juni 1936, wo Toni Kahlbacher als Leiter und Segelfluglehrer wirkte, entwickelte sich ein österreichisches Segelflugzentrum; Kahlbacher erzielte zwischen 1937 und 1938 mehrere Rekorde im Dauersegelflug. Am 5. September 1938 stellte er gemeinsam mit Karl Tauschegg den damaligen Weltrekord mit 23 Stunden 43 Minuten auf, drei Tage später verbesserte er diese Zeit mit einer Musger MG 9a auf 40 Stunden 41 Minuten.
Bedeutungswandel des Segelflugs nach dem „Anschluss“ Ab dem 17. März 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurden die Segelflugvereine in das Nationalsozialistische Fliegerkorps (NSFK) übergeführt und die Weiterführung der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof übertragen. Ab diesem Zeitpunkt war der Segelflug nicht mehr sportlichen, sondern rein vormilitärischen Zielsetzungen unterworfen: Die Ausbildung von Fachpersonal und jungen Piloten für die Luftwaffe stand im Vordergrund. Nach dem „Anschluss“ wurden die Trainingsplätze am Spitzerberg und in Zell am See umfangreich zu „Reichsflugschulen“ ausgebaut. Betriebe wie die Josef Oberlerchner Holzindustrie wurden veranlasst, Schulflugzeuge für die Pilotenausbildung zu bauen, darunter zahlreiche bis lang nach dem Zweiten Weltkrieg bekannte Muster wie der Einheits-Schulgleiter SG 38 und das Grunau „Baby“.
Josef Oberlerchner (1911–1985) hatte die Flugzeugbauabteilung in der väterlichen Firma in Seebach, Gemeinde Seeboden am Millstättersee in Kärnten 1939 gegründet, wo zwischen 1940 und 1942 an die 4.000 Stück des SG 38 hergestellt wurden. In weiterer Folge wurden hier auch ca. 3.000 Leitwerke für die Jagdflugzeuge Messerschmitt Bf 109 gefertigt, ab 1944 erfolgte die Umstellung auf Tragflächenproduktion für die Heinkel He 162 „Volksjäger“. Der Betrieb setzte in dieser Phase der Kriegswirtschaft bis zu 700 Personen im Zweischichtbetrieb ein.
Der Anfänger-Übungsgleiter SG 38 war ab 1938 die Standardtype der Segelflugausbildung beim Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK) und wurde bis nach dem Zweiten Weltkrieg für die erste Stufe der Segelflugausbildung in der DDR verwendet; insgesamt wurden zwischen 1938–1954 über 9.000 Exemplare gebaut. Entwickelt wurde das Flugzeug ab 1936 in Grunau (heute Jeżów Sudecki in Polen) von den Konstrukteuren (Edmund) Schneider, Hofmann und Rehberg. Als Vorbilder für dieses verspannte Hochdecker-Gitterrumpf-Flugzeug gelten die Zögling 35 und die Grunau 9. Der Gitterrumpf hat einen Spannturm, der im unteren Teil Steuer, Sitz und die gefederte Kufe aufnimmt. Der Flugschüler sollte mit diesem Gerät ein Gefühl fürs Fliegen bekommen; der Start mittels Gummiseil auf ebenem Gelände ermöglichte auch nur wenige Sekunden Flugdauer in geringer Höhe.