Autos im Glas & andere Köstlichkeiten
Autor: Martin Winterle Photos: Martin & Ingrid Winterle
„... So war ich auch an diesem Tag in der wohligen Lage, mit meinen sicher nicht ganz sauberen Fingern aus besagtem Glas die verschiedensten Typen von kleinen Plastikautos herauszusuchen, um sie in einer Reihe am Tresen aufzustellen ...“
Im Hirn von Kindern müssen die Gedankenvorgänge anders laufen als bei den Erwachsenen. Diese Erkenntnis kam mir immer dann, wenn ich einen, einerseits befohlenen, anderseits aber höchst willkommenen Spaziergang mit meiner Großmutter unternehmen musste. Jener war so monatlich etwa einmal nötig. Immer dann nämlich, wenn das Eau de Cologne, natürlich 4711 – Echt Kölnisch Wasser – in der kleinen, grünen Flasche zu Ende ging. Warum wir nicht den Omnibus genommen haben, der uns als Angehörige eines Pensionisten der örtlichen Verkehrsbetriebe ja kostenlos mitgenommen hätte, konnte ich nie ergründen. Wahrscheinlich wohl wegen der gesunden Bewegung an der frischen Luft am Rande einer viel befahrenen Straße. Wir gingen stets eine gute dreiviertel Stunde hin und eben so lang auch wieder zurück. Die Drogerie, welche meine Großmutter stets zu beehren wünschte, lag in einem Stadtteil, an dem ich die in Jugendstil und Gründerzeit erbauten Bürgerhäuser immer bewundern musste, so sehr beeindruckten sie mich. Was mir dabei aber unlogisch vorkam, war die Tatsache, dass zu allen Geschäften eine zwei- oder gar dreistufige steinerne Treppe empor führte. Zudem waren manche Stufen richtig abgetreten, was vollkommen unverständlich war, galt Stein für mich doch als das härteste aller Materialien. Das Gebimmel der Ladenglocke bei unserem Eintreten eröffnete gleichzeitig die Möglichkeit, meine leicht rinnende Nase mit den wunderlichsten Gerüchen zu verwöhnen. Irgendwann erkannte ich, dass es, ohne dafür geschimpft zu werden, möglich war, an den zum Probieren aufgestellten Parfumflaschen zu riechen. Eigentlich ja ein netter Zeitvertreib, wäre da nicht etwas auf dem Verkaufspult gestanden, was meine Aufmerksamkeit noch viel mehr beanspruchte, ja förmlich in seinen Bann zog. Hatte ich das leicht grünliche, große Glas nicht schon zu Hause und auf dem ganzen Weg hierher vor meinem inneren Auge gesehen?
Endlich kam mit dem üblichen – „Bitte, gnädige Frau, was darf es sein?“ – meine Oma an die Reihe und bestellte den unumgänglichen Flakon mit der magischen Zahl 4711. Auch „echte“ Hustenbonbons und Wattebäusche – bunte natürlich – orderte sie.
Endlich war der große Augenblick gekommen. Meine Augen himmelten zur Oma hinauf. Die Frage „Darf ich eins oder zwei haben?“, hauchte ich mehr, als ich sie aussprach. Ein Zettel auf dem Wunderglas, welches mir übrigens immer gleich voll zu bleiben schien, obwohl ich sicher nicht der einzige Glückliche war, der sich daraus bedienen durfte, besagte nämlich, dass zwei Stück einen Schilling kosten würden. So war ich auch an diesem Tag in der wohligen Lage, mit meinen sicher nicht ganz sauberen Fingern aus besagtem Glas die verschiedensten Typen von kleinen Plastikautos herauszusuchen, um sie in einer Reihe am Tresen aufzustellen. Die Entscheidung, welche zwei Modelle und diese wieder in welcher Farbe, die neuen Schätze werden sollen, war eine immer sehr schwerwiegende. Mit zunehmender Ungeduld harrten meine Großmutter, eine Drogistin und eine Schlange wartender Kunden auf meine Entscheidung.
Heimwärts hielt ich in der rechten Hosentasche fest meine beiden Neuerwerbungen. Wenn ich nicht gerade daran dachte, wie schön das Spielen damit werden würde, kam mir in den Sinn, dass Erwachsene andere Gedankenvorgänge haben müssten, wie wir Kinder. Würden sie sich sonst über die Zeit, welche die Auswahl der beiden Stücke unbedingt benötigt hatte, wundern …
Geschichte der kleinen Plastikautos
Mit dem Aufkommen von Kunststoff in den 1950er-Jahren endete nach und nach der Blechanteil auch bei den sogenannten Groschenautos. Europaweit wurde solches Spielzeug aus durchgefärbten Rohstoffen, in unterschiedlicher Qualität gegossen. Einerseits machten die vielen verschiedenen Farben, andererseits das angenehme Gefühl, sie in der Hand zu halten, diese für Kinder unwiderstehlich. So gab es Exemplare aus weichem und hartem Plastik.
Der winzige Stückpreis im Groschenbereich kam auch wenig betuchten (Groß-)Eltern sehr gelegen. Die überwiegende Masse jener Wägelchen bestand lediglich aus der bodenlosen Karosserie, welche Aufnahmen für die beiden Achsen aufwies, und eben besagten Achsen. Frühe und billigste Varianten hatten selbst die Räder nur angedeutet. Der größere Anteil kommt angeblich jenen mit sog. Drahtachsen zu, wie sie auch Wiking verwendete. Der kleinere, vermutlich spätere Teil hatte einteilige Achsen mit Rädern. Diese Achsen konnten verschiedene Farben und Durchmesser, sowie gezahnte oder glatte Ränder haben. Da sie dicker als die Drahtachsen waren, mussten die Achsaufnahmen abgeändert werden. Großzügig bemessen würde ich den Herstellungszeitraum von 1950–1970 angeben und daher als sehr kurz bezeichnen. Immer wieder wird sich dem Sammler und Betrachter der Vergleich mit den ganz alten, unverglasten Modellen von Wiking aufdrängen, deren legale Kopien sie nicht selten waren.
Anhand des DKW-Schnelllasters versuche ich die unterschiedlichen Größen und Produzenten zu dokumentieren:
Pritsche 25 mm = 1:200/160 von DS-Plastics
Pritsche 50 mm = 1:100 von KOHO
Pritsche 52 mm = 1:90 von Manurba
Pritsche 58 mm = 1:87 von Manurba
Kleinbus 64 mm = 1:80 von KOHO?
Die ganz kleinen, lediglich 25 mm (1:200/160) großen Minis hatten vollkommen neue Verwendungsgebiete und sollen von der holländischen Firma DS Plastics vertrieben worden sein. Modelleisenbahnfabrikanten der Größe „N“ wie z. B. Arnold (Rapido) und andere kauften sie als Ladegut für ihre Züge zu. Ausstatter von Modellbahnanlagen nutzen sie genauso wie der Architektur-Modellbau in derselben Größe. In punkto Modellvorbild, Material und Farbgebung entsprachen sie genau den größeren Modellen.
Diese etwas größeren Brüder maßen etwa 50 mm, waren also ungefähr 1:100 vom Maßstab her. Von mehreren Fabriken in riesigen Stückzahlen hergestellt, wurden sie zum Inhalt meines Zauberglases, aber auch von Kaugummiautomaten und Wundertüten, Teile von Brettspielen, Beigaben zu Kaffee, Kakao und allen möglichen Artikeln des täglichen Gebrauchs. Die Braunauer Firma A. Hoffmann, Modellspielwaren beispielsweise kaufte solche Autos für ihre Stadt-Spiele zu.
Oft wurden Gussformen von anderen Firmen übernommen. So z. B. von der Norddeutschen Plastik in Hamburg. Von dort stammen zwar etliche Baumuster, aber vergleichsweise kaum Modelle. Wegen der meist fehlenden Musternummer fällt die Zuordnung schwer. Zudem nutzten sich die Formwerkzeuge durch die enormen Stückzahlen ab und mussten überarbeitet werden. Forschende Sammler können so deutliche Unterscheidungen feststellen. In der Größenordnung +/– 50 mm wird mancher erstaunt sein, wie viele verschiedene Grundmuster es damals gab. Das Einsetzen der Achsen sowie das „Versilbern“ von Kühlern, Stoßstangen und Scheinwerfern wurde in Heimarbeit vergeben. Hunderte, meist Hausfrauen der Wirtschaftswunderzeit, leisteten so einen wesentlichen Beitrag zum Haushaltsgeld.
In dieser Machart wurden auch größere Modelle in etwa 1:80, also rund 65 mm lang gebaut. Ihre Achsen bestanden immer aus einteiligem Kunststoff. Einige Modelle gab es von KOHO – erkennbar an der Bezeichnung und Nummerierung an der Fahrzeugunterseite. Von den Modellen her dürften es deutlich weniger gewesen sein, als bei den 1:100ern.
Wieder eine Nummer größer und völlig anders ausgeführt waren die Modelle von Jean Höfler. Zwar auch bunt und mit einteiligen Steckachsen, aber dünnwandiger. Anders war auch das Verkaufskonzept. Dieses zielte auf echtes „Spielen“ ab. Dazu wurden mehrere Modelle mit Verkehrszeichen zu einem Set kombiniert. Andere wieder mit einer verstellbaren Verkehrsampel. Auch Kombinationen mit kleinen Tankstellen gab es. Die Sets standen auf einem bunt gezeichneten Karton, über den eine durchsichtige, vorgeformte Plastikhülle gezogen und mit Klammern befestigt wurde. Diese „geblisterte“ Verkaufsform war gerade in Mode gekommen. Solche Modelle dienten auch als Ladegut für Autotransporter und Fährschiffe. Da sie in etwa der Größe 1:66 entsprachen, waren sie für die Modelleisenbahn H0 zu groß. Nachfolgende Baumuster der PKWs hatten Bodenplatten und erreichten eine Größe von bis zu 1:43. Später wurden „Funktionsmodelle“ angeboten, hauptsächlich Lastwagen, Land- und Baumaschinen. Diese waren in ihren Aufbauten und Teilen beweglich und zerlegbar. Das angebotene Zubehör ließ keine Wünsche offen. Garagen, Werkstätten, Waschstraßen, Parkhäuser, Tankstellen usw. wurden vertrieben.
Die Fürther Firma Jean Höfler, sie würde im kommenden Jahr 100 Jahre alt werden, firmierte ab 1960 unter dem Namen big plastic. Zwei Jahre später unter der heute noch aktuellen Bezeichnung BIG mit dem Büffel als Wahrzeichen. Das legendäre, millionenfach gebaute Bobby Car ist das berühmteste Kind dieser Firma.
In der Größe von 1:66 und größer stellte die Firma Arthur Hammer in Lüdenscheid sehr ansprechende Spielzeugautos her. Das große Geschäft machte diese Firma aber mit Werbemodellen, die heute noch weit verbreitet und preiswert zu erstehen sind. Bekannter sind aber Hammer-Produkte in größeren Maßstäben.
Bescheiden, wie wir nun einmal sind, stellen wir uns am Ende der Fahnenstange an. Nicht weniger berühmt wie die deutschen Erzeugnisse waren die österreichischen ROCO-Produkte ab 1960, bevor der erfolgreiche Bau von Modelleisenbahnen begann. Abgesehen von der perfekt verkleinerten Serie von Militärfahrzeugen aller Art, passend zur H0-Eisenbahn, gab es eine stattliche Zahl von PKWs in der Größe 1:55 bis 1:43. Einerseits bedienten sich die Werbeabteilungen namhafter Firmen wie Linde, Titze, Korona, Haas usw. bei ROCO – mit und ohne Werbeaufdruck, andererseits wurden Zusammenstellungen von je vier Stück bei Jahrmärkten, Kirmes und ähnlichen Veranstaltungen feilgeboten. Wer kann sich noch an das Haas-Brausepulver in den kleinen Tüten mit den aufgedruckten Autos erinnern? Wehe, wenn so ein Tütchen feucht wurde. Dann war das Pulver hart und die Abbildung zerstört.
Über Jahrzehnte schlummerten unzählige dieser liebenswerten Zwerge aus Kindertagen in zerbeulten Pappkartons und verstaubten Koffern auf diversen Dachböden. Bis sie vor etlichen Jahren das Interesse der Sammler erweckten. Deren Zahl ist stark im Steigen begriffen. Kein Wunder bei den Vorzügen. Preiswert zu beschaffen, vom Flohmarkt über Internet bis zu Fachbörsen. Wegen ihrer billigen Machart stellen sie kein lohnendes Betätigungsfeld für Fälscher und Nachahmer aller Art dar. Für ernsthafte Sammler bieten sie ein breitgefächertes Forschungsfeld, dass keine Wünsche offenbleiben lässt. Namensgebungen in Internet-Verkaufsanzeigen sind oft aus der Luft gegriffen und sollen lediglich das Interesse erwecken. Wegen der fast gänzlich fehlenden, zeitgenössischen Unterlagen bleibt nur der Besuch der einschlägigen Foren im Internet. In manchen bieten echte Kenner dieses Gebietes kostenlose Hilfe und Erfahrungsaustausch an.