Der Steyr-Puch Pinzgauer des Österreichischen Bundesheeres
Autor: Walter Blasi
Der große Bruder des Haflingers.
Anfangsschwierigkeiten
1973 lief die Auslieferung der vom Bundesministerium für Landesverteidigung bestellten Pinzgauer an. Auch bei diesen Fahrzeugen kam es, trotz der langen Entwicklungsdauer, zu einer Reihe von Problemen, die offenbar erst im Lauf der Serienentwicklung beseitigt werden konnte.
So liegt vom Dezember 1973 etwa eine Auflistung mit festgestellten Mängeln am Pinzgauer 710 4 x 4 (Ausführung Kommandokraftfahrzeug und Fernmeldekraftfahrzeug) vor. Diese bezog sich auf Werkzeug und Reserveteile am Kraftfahrzeug, die Ölstände, Bremsleitungen, Undichtheit des Motors und den Radwechsel. Im Februar 1974 wurde vom Versuchsstab der HKS eine Mängelliste beziehungsweise eine Liste mit berichtigten Kritikpunkten für die Endausführung des Pinzgauers 4 x 4 erstellt. Weiters wurde festgestellt, dass nach einer Fahrtstrecke von etwa 1000–2000 Kilometern das Blech im Bereich der Schweißpunkte an der Verbindungsstelle zwischen Plateau und Stirnwand einreißen konnte. Solche Risse waren über die gesamte Fahrzeugbreite möglich. Es kam auch vor, dass der Gang im Verteilergetriebe gelegentlich heraussprang. Die Reparaturkosten dafür übernahm die Steyr-Daimler-Puch AG. Die Pflichtüberprüfungen am Pinzgauer waren übrigens in Vertragswerkstätten des Werks durchzuführen und erfolgten nicht in den heereseigenen Werkstätten.
1974 wurden Bremsprobleme durch einen ausgefallenen vorderen Bremskreis festgestellt. Es gab auch Klagen über eine übermäßige Belästigung der Fahrzeugbesatzung aufgrund von Auspuffgasen. Bei der Freigabe der Serie war eine Geruchsbelästigung in Kauf genommen worden, obwohl mittels praktischer Versuche die optimale Lage des Auspuffendes ermittelt worden war. Man sagte der Besatzung als Abhilfe dieses Problems, das Fahrzeug sei „mit einer Reihe von Lüftungsmöglichkeiten ausgestattet“. Die HKS sollte daraufhin die günstigste Anwendung dieser Lüftungseinrichtungen erarbeiten.
Eine von der Steyr-Daimler-Puch AG vorgenommene Untersuchung der Reifenabnützung am Pinzgauer ergab, dass nach 6000–8000 Kilometer Fahrleistung die Vorderräder zu 70–80 % und die Hinterräder zu 40–50 % abgefahren waren. Für diese starken Abnützungen war die Dynamik der Pendelschwingachse verantwortlich. Bei der Vorderachse trat ein zusätzlicher Reibungswiderstand durch die Vorspureinstellung von 2–5 mm auf. Zur Verringerung des Reifenverschleißes wurde vorgeschlagen, den bisherigen Reifendruck von 1,7 atü auf 2 atü zu erhöhen. Die HKS wurde angewiesen, zu überprüfen, ob durch die Hinaufsetzung des Reifenluftdrucks eine Änderung in den Straßen- und Geländefahreigenschaften festzustellen sei. Antwort der HKS: „Der geringeren Reifenabnützung steht eine Verminderung der Fahrsicherheit gegenüber, was sich im Hinblick auf die an und für sich durch die besondere Bauart des Pinzgauers bestehenden Gefahren im Fahrbetrieb nachteilig auswirken kann. Ein wesentlicher Unterschied im Fahrverhalten konnte nicht festgestellt werden.“
Im Lauf der Jahre wurden weitere Mängel festgestellt, wie zum Beispiel das Abschmelzen der Streuscheiben aus Kunststoff bei der Innendeckenleuchte oder das Lösen von Dämmmatten, und es gab Änderungen und Anordnungen im Betrieb dieses Fahrzeugs.
Der Pinzgauer wird zur Erfolgsstory
1970 erfolgte die erste Bestellung durch das Bundesheer. Die Fahrzeuge wurden, wie erwähnt, ab Mitte 1973 ausgeliefert. 1971 (eine andere Quelle spricht bereits 1970 vom „first production vehicle“ – vermutlich ist gemeint, dass es sich um das erste Serienfahrzeug handelt) wurde schließlich die Produktion des Pinzgauers 4 x 4 aufgenommen. Am 17. Mai 1971 wurde er im Rahmen einer Pressekonferenz in Graz der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Typenprüfung für den 710 M (M steht für Planenverdeck) erfolgte am 17. August 1973 und jene des 712 M am 4. Oktober 1974. 1976 begann die Auslieferung des San-Pinzgauers (Sanitätsausführung) an das Österreichische Bundesheer.
Um auch in außereuropäische Länder exportieren zu können, wurden umfangreiche Erprobungen in Wüsten- und Tropengebieten durchgeführt. 1973 fuhr ein Werksteam mit einem 4 x 4 K (K steht für Kastenwagen) und einem 6 x 6 M von Tunesien durch die Sahara bis nach Nigeria. Temperaturen von 50–55 °C im Schatten waren keine Seltenheit.
Aufgrund der guten Fahreigenschaften im Gelände wurden im Sand der Sahara Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 70 km/h erreicht. Umfangreiche Tests wurden auch in Namibia durchgeführt. Die erfolgreichen Erprobungen waren die Voraussetzung für langjährige Geschäftsbeziehungen. Der Pinzgauer wurde in den Armeen folgender Länder verwendet: England, Ghana, Jordanien, Jugoslawien, Malaysia, Nigeria, Norwegen, Oman, Sudan, Schweiz, Syrien, Saudi-Arabien, Tunesien, Venezuela und Zypern.
Manchmal, wie im Fall von Namibia, kam ein Kaufabschluss aufgrund politisch ungeklärter Umstände nicht zustande. Auch Assembling-Projekte mit verschiedenen Interessenten (zum Beispiel 1978 mit den Philippinen, Australien, Nigeria und anderen Staaten) wurden zwar angedacht, kamen aber nicht zur Ausführung. Die schwedische Regierung wiederum entschied sich trotz bester Erprobungsergebnisse mit dem Pinzgauer für die heimische Marke Volvo. Vermutlich hat die Beschäftigungslage der inländischen Industrie den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben.
Tests in großen Höhen führte man ebenfalls durch. Probefahrten mit Experten der Armee Perus fanden nicht nur in den Wüstengebieten an der Pazifikküste statt, sondern man überquerte auch die Gebirgspässe in den Anden. Der Höhenunterschied von etwa 4800 Metern zwischen Lima und dem Anticona wurde mit unveränderter Vergasereinstellung bewältigt. Die Dieselloks der berühmten Andenbahn hingegen mussten alle 1500 Höhenmeter wegen der Anpassung an die Höhe gewechselt werden. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen und innenpolitisch prekären Lage kam es jedoch zu keinem Geschäftsabschluss.
Mit Venezuela konnte dagegen ein Vertrag über die Lieferung einer großen Stückzahl an Pinzgauern zustande gebracht werden. Die Unterzeichnung wäre allerdings beinahe geplatzt, weil eine Lieferung von Kürassier-Panzern an Chile vonseiten Österreichs praktisch über Nacht gestrichen wurde, was Zweifel an der Vertragstreue österreichischer Unternehmen aufkommen ließ.