Staatsbesuch
Autor: Christian Vanik
Wer sich mit einem königlichen Daimler aus Coventry nach Süddeutschland aufmacht, der braucht sich um Gesprächsstoff nicht zu sorgen.
Im Programmheft der Classic Gala Schwetzingen wurden für 2022 fünf Daimler nacheinander gelistet: ein Nachbau der Motorkutsche von 1886 mit dem Zusatz D für Deutschland und in weiterer Folge mit Zusatz GB für das Vereinigte Königreich ein Special Sports Barker Drop Head Coupé von 1951, zwei SP 250 von 1962 und 1964 sowie eine Limousine von Queen Elizabeth II von 1987. Mit besagter Limousine Ihrer Majestät habe ich mich bei der Verwandtschaft in Deutschland auf Besuch gemacht. Das mit der Verwandtschaft kann man sowohl auf die Automobilmarke als auch auf die Königin beziehen; starten wir mit dem Automobilnamen.
Gottlieb Daimlers Bemühungen, einen Verbrennungsmotor zu konstruieren, der nicht bloß stationär, sondern auch mobil einsetzbar sein sollte, waren von Erfolg gekrönt und Daimler erhielt am 3.4.1885 das Patent auf seinen Ein-Zylinder-Motor, der ob seiner Form auch liebevoll „Standuhr“ genannt wurde. Diese läutete eine neue Zeitrechnung in der Mobilität ein, Daimler rüstete damit zunächst ein Zweirad, dann ein Boot und 1886 schließlich eine Kutsche aus. Dass daraus ein Welterfolg wurde, ist bekannt. Daimlers Motoren wurden in Lizenz auch in Frankreich von Peugeot und Panhard & Levassor gefertigt und in die gleichnamigen Automobile verpflanzt. Auch im Vereinigten Königreich wollte man nicht nur auf Schienen mobil sein und so kam es, dass man 1893 das Daimler Motor Syndicate gründete, das aber nur die Lizenzfertigung von Motoren im Auge hatte und nicht den Bau von Automobilen, wie bisweilen irrtümlich angenommen wird. Eine Gesellschaft mit dem Ziel, Automobile zu bauen, wurde erst 1896 gegründet und bis das erste Gefährt zu seiner ersten Ausfahrt antrat, war es 1897. Dann aber waren die britischen Ingenieure sehr innovativ und wandelten einen technologischen Rückstand bald in einen Vorsprung um. Man hatte die laufruhigsten Motoren durch das Knight-Patent, war der erste Hersteller von Zwölfzylinder-Motoren in Europa, bot mit dem Vorwahlgetriebe eine Vorstufe zur Automatik und war unbestritten erste Wahl an Königshäusern weltweit mit Aufbauten des vornehmsten Karosseriebauers Hooper of London, der ein Tochterunternehmen von Daimler war. Die Liste der belieferten Monarchen reichte neben dem Vereinigten Königreich von Portugal, Spanien, den Niederlanden, Schweden, Griechenland, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Afghanistan, Korea und Thailand bis nach Japan.
Diese Vormachtstellung behauptete man auch knapp nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Straight Eight-Modellen, welche damals die größten und repräsentativsten Automobile weltweit auf dem Markt waren. Sie ergingen an die Monarchen von Großbritannien, Schweden, den Niederlanden, Monaco, Äthiopien und Thailand und damit an doppelt so viele, als Rolls-Royce mit dem Phantom IV erreichte. Doch der Markt hatte sich gewandelt von Chauffeur-Limousinen zugunsten von Selbstfahrer-Modellen und kostengünstiger Fertigung. Es gibt kein besseres Beispiel dafür, als das hinreißend schöne Modell „Special Sports“ von Daimler, welches 1948 präsentiert wurde. Der Motor war ein 2,5-Liter-Reihen-Sechszylinder mit Konzept aus der Vorkriegszeit, die Karosserie wurde beim Karosseriebauer Barker gefertigt und der Preis lag bei dem für ein Eigenheim. Zeitgleich bot Jaguar den XK 120 mit komplett neu entwickeltem 3,4-Liter-Reihen-Sechszylinder, besseren Fahrleistungen, mindestens ebenso gutem Aussehen zu einem Bruchteil des Preises an. Der XK 120 wurde außerdem zu einer Ikone im Motorsport, während der Special Sports ungeachtet seines Namens nie in einem Rennen antrat. Angesichts der aristokratischen Geschichte von Daimler Coventry kommen einem in diesem Zusammenhang unweigerlich die Worte von Sir Winston Churchill in den Sinn „No Sports“. Sehr wohl sportlich war das 1959 vorgestellte Modell SP 250. Die Zahl ist ein Hinweis auf den Hubraum, der wie beim Special Sports 2,5 Liter beträgt. Aber während im Special Sports ein Reihen-Sechszylinder der langhubigen Sorte seine Dienste versieht, kommt im SP 250 ein hochdrehender V8-Motor zum Einsatz, der dieses Modell zum sportlichsten Daimler aller Zeiten macht. Von diesem Motor gab es auch eine größere Variante mit 4,5 Liter Hubraum, die für den Einsatz in repräsentativen Viertürern gedacht war und 1960 im Majestic Major (Saloon) startete. 1961 fand er auch Einzug in die verlängerte Version, Majestic Major Limousine. Mit diesem Motor, der 220 PS leistete, war die Limousine die weltweit schnellste Vertreterin ihrer Art. Dabei muss angemerkt werden, dass der Brite nicht wie der Kontinentaleuropäer alle Viertürer als Limousine bezeichnet, sondern nur Exemplare mit sieben oder mehr Sitzplätzen in drei Sitzreihen. Die von 1961–1968 produzierte Majestic Major Limousine war zwar flott, aber mit ihrer Pontonkarosserie nicht gerade ein ästhetisches Meisterwerk, wenn man die Vorgängermodelle mit Karosserien von Hooper als Maßstab nimmt. Für zwei Bestellungen aus Königshäusern reichte es freilich allemal, König Hussein von Jordanien orderte drei Stück und König Bhumibol von Thailand ließ eine Landaulette anfertigen. Da konnte auch der Daimler-Benz 300 nicht mithalten, der mit dem deutschen Kanzler den Gipfel seiner Reputation erreichte und deshalb vom Volk mit dem Beinamen „Adenauer“ tituliert wurde. Auch von ihm gab es ab 1960 eine auf drei Sitzreihen verlängerte „Pullman“-Version mit erhöhtem Dach, zu Bestellungen durch Königshäuser brachte sie es im Unterschied zur Majestic Mayor Limousine freilich nicht. Da hatte Daimler/Coventry offenbar noch immer mehr Goodwill bei Hof und Jaguar-Chef Sir William Lyons, der 1960 Daimler übernahm, wusste dies und wollte diesen Markt mit einem überzeugenden Produkt bedienen.
Das vom ihm selbst konzipierte Modell nahm die Formensprache des „Razor Edge“ Design der großen Karosseriebauer wieder auf und ließ alle Ponton-Limousinen plump aussehen. Die 1968 präsentierte Daimler-Limousine sollte zum gefragtesten Automobil unter regierenden Monarchen werden, dass alle Rolls-Royce-Modelle oder solche von Daimler-Benz in den Schatten stellte. Mit 18 Modellen für zehn Monarchen in neun Ländern ist die bis 1992 gefertigte Daimler- Limousine einsamer Spitzenreiter. Die zeitgleich produzierten Rolls-Royce Phantom VI und Daimler-Benz Mercedes 600 kamen zusammen gerade mal auf sieben Exemplare für sechs Monarchen. Die Daimler-Limousine ist noch heute State Car für die Monarchen in Schweden, Dänemark und Luxemburg und drei Schwestermodelle meiner Limousine von 1987 sind noch immer beim Königshaus in Großbritannien im Einsatz.
Für den Daimler war der Schlosspark von Schwetzingen somit ein natürliches Habitat und er erhielt auch einen besonderen Platz im Schlossgarten zugewiesen, thronte förmlich über den anderen Modellen aus den 1980er-Jahren. „Gekrönt“ wurde er auch mit einer besonderen Auszeichnung – dem „Prix Superieur“. Zudem brachte ihm sein exzellenter Originalzustand auch einen Preis in der Altersklasse des Concours ein. Das Einzige, was 2022 Wünsche im prachtvollen Schlosspark von Schwetzingen offenließ, war das Wetter, das leider zu „britisch“ war. Abseits davon verwöhnten die Organisatoren Johannes Hübner und Wolfgang Gauf die Teilnehmer mit einem Welcome-Barbecue, einem Feuerwerk, einem Konzert im Schlosstheater und einem Gala-Dinner – alles zusammen für jeweils zwei Personen zu einem wohlfeilen Preis. Die Teilnahme kann daher also nur empfohlen werden. Man sollte aber schon ein besonderes Automobil haben, denn das Niveau der insgesamt 269 Teilnehmerfahrzeuge ist äußerst hoch. Man muss freilich nicht Teilnehmer sein, um das besondere Ambiente und die großzügige Platzierung im Schlosspark zu genießen, es gibt auch Zuseher-Tickets. Abseits des Schlossgartens trifft man in Schwetzingen auf einen hübschen Hauptplatz, der ebenfalls zum Verweilen einlädt und Heidelberg ist nicht mal eine halbe Stunde entfernt.
Nur 130 km von Schloss Schwetzingen entfernt liegt Schloss Langenburg und das bringt uns auf den zweiten Verwandtschaftsaspekt in dieser Geschichte. Der Name des britischen Königshauses lautet erst seit dem 17. Juli 1917 Windsor. Davor war man seit der Hochzeit von Queen Victoria auch im Namen mit dem Haus von Sachsen Coburg-Gotha verbunden. Dass im Ersten Weltkrieg ausgerechnet deutsche Bomber vom Typ „Gotha“ Bomben auf England warfen, machte diese Form der Namensgebung schlichtweg untragbar. Das Projekt der verbalen Anglisierung wurde gestartet, dass auch andere Familien betraf. Der Gatte von Queen Elizabeth II entstammt einer Verbindung der Geschlechter Sonderburg-Glücksburg aus Schleswig Holstein und Battenberg aus Hessen. Der britische Zweig der Battenbergs mutierte 1917 zu Mountbatten – als wäre Google Translate am Werk gewesen. Die engen familiären Beziehungen blieben aber über die Landesgrenzen und Namenspolitik erhaben und so war der Besuch von Queen Elizabeth II in Deutschland im Jahre 1965 einerseits ein Staatsbesuch, andererseits ein Privatbesuch bei Verwandten. Ein Ort, der dabei angesteuert wurde, war Schloss Langenburg in Baden-Württemberg, Residenz der Hohenlohe-Langenburg. Fürstin Margarita von Hohenlohe Langenburg, die Großmutter des heutigen Familienoberhauptes Fürst Philipp zu Hohenlohe-Langenburg, war eine Schwägerin von Queen Elizabeth II. Erfreulicherweise ist Fürst Philipp nicht nur als Großneffe der Queen verwandtschaftlich dem britischen Königshaus verbunden, sondern auch leidenschaftlich dem Automobil, und so beherbergt Schloss Langenburg auch eine kleine, aber feine Sammlung von Automobilen, die man unbedingt besichtigen sollte, wenn man in der Nähe ist. Prunkstück der Sammlung ist eine Daimler-Benz Mercedes 300 Pullman-Limousine von 1960, welchen die deutsche Republik als ihr repräsentativstes Automobil der Monarchin 1965 für ihre Tour durch Deutschland zur Verfügung stellte.
Zwischen der Classic Gala in Schwetzingen und dem Concours d’Elegance am Tegernsee liegt gerade mal eine Woche – also ideal, um an beiden Wettbewerben teilzunehmen. Dennoch war ich der Einzige der Teilnehmer aus Schwetzingen, der auch beim 19. GP von Deutschland antrat, wie der Bewerb sich auch nennt. Von 2004–2018 wurde er auf Schloss Ludwigsburg nördlich von Stuttgart (oder nach Daimler-Koordinaten Cannstatt) ausgetragen. Erst 2019 wechselte man an den Tegernsee. Er hat damit eine um eine Ausgabe längere Geschichte als die Classic Gala Schwetzingen und genießt auch den höchsten FIVA-Status als A-Concours, während Schwetzingen als B-Concours der FIVA rangiert. Der markanteste Unterschied ist die Zahl der Teilnehmer. Am Tegernsee war die Zahl der Fahrzeuge auf 50 begrenzt. Erstaunlich war, dass nur sechs Fahrzeuge aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg hier vertreten waren, aber dafür zehn, welche noch nicht das Alter für historische Fahrzeuge erreicht haben. Veranstalter ist die Retro Messen Gesellschaft, welche unter anderem auch die Retro Classics Stuttgart organisiert, Veranstaltungsort ist das Gelände des Seehotels Überfahrt in Rottach-Egern.
Viel markanter, als der Unterschied zwischen den zwei Concours in Süddeutschland war freilich, was sich in der kurzen Woche dazwischen ereignete und die ganze Welt bewegte. Sogar der Chauffeur des öffentlichen Autobusses, der rund um den Tegernsee verkehrt, machte eine Durchsage an alle Passagiere und informierte sie über das Ableben Ihrer Majestät Queen Elizabeth II am 8. September 2022. Zwei Tage zuvor hatte sie noch mit Liz Truss ihre 15. Angelobung eines Premierministers vorgenommen, sie, die am längsten regierende, die „ewige Königin“.
Sie war der Inbegriff der pflichtbewussten Monarchin und in dieses Bild passt, dass ihre Daimler-Limousine von 1987 zwar in ihrer klassischen Eleganz beeindruckt, aber sich jeglicher Dekadenz verweigert, mit welcher Aufsteiger sich gerne inszenieren. Wer in dieser Daimler-Limousine fuhr, brauchte kein Automobil als Aufputz seiner selbst. Und wer fuhr aller in der Daimler-Limousine Ihrer Majestät? Der erste dokumentierte Einsatz nach der Indienststellung am 30. Juni 1987 war die Beförderung von Ihren Königlichen Hoheiten (damals) Prince Charles, seiner Gattin Diana und ihrer beiden Söhne William und Harry am 30. August 1987 in Schottland, im Zuge des traditionellen Urlaubes am Landsitz der Königin in Balmoral. Am häufigsten war wohl Ihre Königliche Hoheit die Duchess of York in diesem Daimler unterwegs, was 17 durch Bildmaterial verifizierte Einsätze nahelegen. Die Königin selbst war auch im Fond dieser Limousine, aber eher selten und bei weniger offiziellen Terminen, die keine Vorfahrt mit dem State Car verlangten, die aber auch nicht rein privat waren. Ein Beispiel für so einen Termin war am 6. Februar 1992 ihr Besuch in Snettisham in Norfolk nahe ihres Landsitzes Balmoral, wo sie gerne den Winter verbrachte. Das Besondere an diesem Termin mit der Daimler-Limousine war, dass er exakt 40 Jahre nach der Thronbesteigung Ihrer Majestät stattfand.
In Summe haben also drei Generationen von Monarchen des Vereinigten Königreichs in diesem Wagen Platz genommen – Queen Elizabeth II, der damalige Prince of Wales und aktuelle King Charles III und sein Sohn und Thronfolger Prinz William. Wenn man die Tür zu dieser Limousine aufmacht, weht einem der Hauch der Geschichte entgegen, das ruft auch nach zehn Jahren Besitz noch Gänsehaut bei mir hervor. Das lässt wohl kaum jemand kalt und so wurde die Limousine beim 19. GP von Deutschland auch mit dem Sonderpreis „Bedeutendste Herkunft“ ausgezeichnet. Hier zeichnet sich eine neue Kategorie ab. Bis vor Kurzem war man ja nur auf Renngeschichte fixiert. Eine informelle Auszeichnung gab es für den Daimler mit Jaguar XK-Motor auch. Für die Pokalübergabe beim Concours am Tegernsee ist die deutsche Rennfahrer-Legende Jochen Mass zuständig. Als die Daimler-Limousine 1987 an das Königshaus geliefert wurde, betrat Jaguar wieder die Rennsportbühne in der Gruppe C und begann Porsche und Mercedes zu ärgern. Mass, der damals gegen Jaguar antrat, begleitete die Ehrung mit den Worten, das sei zwar der langsamste Jaguar, mit dem er je zu tun hatte, aber der Schönste.
Aber auch die beiden anderen österreichischen Teilnehmer durften sich freuen: Sven Stockmar holte sich Platz 2 in der Klasse der Automobile aus den 70er- und 80er-Jahren mit seinem Rolls-Royce Camargue von 1983, der zu der kleinen Serie gehört, die von Hooper als Modell „Beau Rivage“ geringfügig umgestylt wurde und Franz Steinbacher erreichte mit seinem Lincoln Zephyr Convertible Coupé von 1939 Rang 3 in der Klasse D (1931–1945).