70 Jahre Matchbox
Autor: Martin Winterle
Verehrte Leserinnen, verehrte Leser, geht es Ihnen auch manchmal so wie mir?
Wer oder was feiert ein rundes Jubiläum und ich denke mir, das kann doch nicht wahr sein. Bin ich doch selbst bald so alt und es hat mich immer begleitet und tut dies hoffentlich noch lange.
Bevor 1953 mit einer grünen Straßenwalze und roten Metallrädern die Produktion der eigentlichen Matchbox-Modelle begonnen wurde, gab es eine Vorgeschichte.
Anfang 1947 gründeten Leslie Smith und Rodney Smith in der Nähe von London die Gießereifirma „Lesney Products“. Der Name der Firma setzt sich aus der ersten Silbe von Leslie und der zweiten Silbe von Rodney zusammen. Die Beiden waren weder verwandt noch verschwägert, sondern Kameraden im gerade zu Ende gegangenen Weltkrieg gewesen. Als Zulieferbetrieb stellten sie kleine Gussteile für die Industrie her. Anlass zur Produktion von Spielzeug zur Weihnachtszeit war das englische Steuersystem. Dieses verlangte eine Inventur zum Jahreswechsel und damit die Besteuerung der gesamten Warenvorräte. Um die Steuerlast so gering als möglich zu halten, wurden erst nach Neujahr wieder Lieferungen angenommen. Um die Arbeiter dennoch durchgehend beschäftigen zu können, erdachten die beiden Unternehmer die Produktion dieser heute als „Early Lesney Toys“ bezeichneten Spielwaren. Neben Traktor und Zementmischer gab es einige Tierfiguren. Sie alle waren deutlich größer und schwerer als die folgenden, uns so vertrauten Matchbox-Modelle. Der sehr gute Absatzerfolg bewog die Firmenleitung, die Produktion kleiner Spielzeugfahrzeuge dauerhaft aufzunehmen. Namensgebend war die Art der Verpackung. Die kleinen Schachteln sahen Zündholzschachteln – englisch „Matchbox“ – sehr ähnlich.
Der Verkaufsschlager passte einerseits in die Hosentasche, andererseits reichte ein kleines Taschengeld zum Kauf eines Modells aus. Den Vertrieb vertraute man anfangs dem Agenten Richard Kohnstamm an. Dieser wurde wegen Meinungsverschiedenheiten 1959 ausbezahlt. Zwischenzeitlich war für den ausgeschiedenen Rodney Smith, John Odell als Teilhaber in die Firma eingestiegen.
Die wesentlichen Matchbox-Baureihen von 1953–1984 Die ab 1953 in den Verkauf gelangte Serie von Modellfahrzeugen erlangte mit der Nummer 75a, einen Ford Thunderbird, ihre größte Vielfalt. Es sollten zu keiner Zeit mehr als gleichzeitig 75 verschiedene Modelle im Angebot sein. Daher auch die Serienbezeichnung 1-75. Als also 1956 das Modell 1b, ebenfalls eine Straßenwalze in das Programm aufgenommen wurde, schied das Modell 1a aus. Diese Philosophie setzte sich bis zum Jahre 1970, in einzelnen Fällen bis 1974 fort. Etwa 240 Grundmodelle entstanden in dieser Zeit. Wegen ihrer dicken Achsen werden sie „Regular Wheels“ genannt.
Das Jahr 1956 brachte mit der Serie „Yesteryear“ eine völlig neue Art von Matchbox-Modellen.
Die ersten Modelle waren teilweise kaum größer als die „Regular Wheels“. Andere wiederum konnten mit maßstäblichen Größen zwischen 1zu35 und 1zu55 ohne weiteres eine Sammlung von Corgi Toys oder Dinky Toys ergänzen. Verkleinert wurden historische Vorbilder aus aller Welt. Als klassischen Zeitraum dieser Serie kann die Zeit bis 1984 gelten. Wie bei den „Regular Wheels“ wurde auch hier das Prinzip angewandt, bei Erscheinen einer B-Nummer, das idente A-Modell auslaufen zu lassen. Daher sind 24 A-Modelle, 16 B-Modelle, 13 C-Modelle und 7 D-Modelle bekannt.
Als 1964 die ersten Modelle platiniert (silberfarbig) mit Aschenbechern, Buchstützen usw. kombiniert wurden, waren die Oldtimermodelle endgültig für Schreibtische, Bücherregale, Glaskästen und als Zierde für den Schwarz-Weiß-Fernseher tauglich. Genau diesem Umstand verdanken zahllose Exemplare ihr (meist hilflos verstaubtes) Überleben – bis heute.
Als dritte unabhängige Baureihe gab es ab 1957 die sog. „Major Packs“. Produziert wurden Schwerfahrzeuge und Baumaschinen. Größenmäßig waren sie mit den PKWs der „Regular Wheels“-Serie kompatibel. Bis 1966 im Handel erhältlich, wurden die 15 Modelle nach und nach von der „King Size“-Serie abgelöst. Die „King Size“-Modelle waren baulich größer. Wie bei den anderen Baureihen auch, ging spätestens 1984 die Klassik zu Ende.
Was es als Zubehör (Accessories) zwischen 1957 und 1984 gab, waren Tankstellen, Feuerwehrstation, Verkehrszeichen, Garagen und Service Stationen und unverständlicherweise den Bedford Autotransporter (A2-A). Alle anderen Schwertransporter liefen nämlich unter Major Pack.
Wahrscheinlich wären die „echten“ Matchbox „Regular Wheels“ bis zum Sankt Nimmerleinstag weiter gebaut worden, hätte nicht 1969 der Barbie-Puppen-Guru Mattel dünne Drahtachsen in seinen „Hot Wheels“-Miniflitzern verbaut. Damit erreichten diese vorher nie dagewesene Laufeigenschaften. Alle anderen drei Anbieter waren gezwungen, sich dieser Novität anzuschließen.
Auch der Weltmarktführer Matchbox stellte die Produktion auf die Schnelllaufachsen um. Damit wurden aus den „Regular Wheels“ die „Superfast Wheels“. Zug um Zug wurden in der Folge alle 75 Modelle durch neue Baumuster ersetzt. Die Praxis, stets nie mehr als 75 Modelle gleichzeitig anzubieten, wurde beibehalten. Etwa 1984 endete auch hier das klassische Zeitalter. Als vor gut vier Jahrzehnten einerseits starker Mitbewerb aus Billiglohnländern, andererseits eigene finanzielle Probleme das Unternehmen in die Insolvenz zwangen, übernahm eine Firma aus Hongkong das Traditionsunternehmen. Alle nicht mehr in England hergestellten oder nach 1982 von den neuen Inhabern initiierten Modelle, auch abgeänderte Ausführungen bestehender Modelle, sind nicht mehr der klassischen Periode zuzurechnen.
Reizvoll ist erst der zweite Blick Alle klassischen Serien von Matchbox-Modellen lassen sich durch leicht erkennbare Unterscheidungsmerkmale zu einem spannenden Sammelgebiet, auch für reine Liebhaber, ohne professionelle Kenntnisse ausbauen. Bei den sog. „Regular Wheels“ beispielsweise gibt es vier grundverschiedene Rädertypen. Zuerst aus Metall, später aus Kunststoff. Verglasungen können verschieden farbig getönt sein, einzelne Bauteile unterschiedlich lackiert. Sechs verschiedene Verpackungen kamen von 1953–1970 in Umlauf. Vorsicht beim Kauf – es gibt mittlerweile täuschend echt gemachte, absolut wertlose Reproboxen!
Mehrere Ausführungen von Rädern existieren auch bei der Nachfolgeserie, den sog. „Superfast“-Modellen. Von den „Regular Wheels“ übernommene Baumuster wurden nicht selten in neuen Farben lackiert. Auch hier brachte die Zeit von 1970–1984 verschiedene Verpackungen in den Handel, denen zahlreiche Plagiate auf dem Fuße folgten.
Vorhin Erwähntes gilt sinngemäß auch für die klassischen „King Size“- und „Major Pack“-Modelle.
Ältere Yesteryear-Modelle unterscheiden sich von späteren Auflagen vor allem durch ihre schmalen Räder. Die meisten Oldtimer erlebten in ihrem Produktionszeitraum wenigstens zwei, nicht selten noch mehr unterschiedliche Lackierungen. Materialmäßige und farbliche Unterschiede gibt es fast bei allen Bauteilen wie Sitze, Grill, Lenkräder, Dächer, Abdeckungen, Felgen, Bodenplatten usw. Von den vier unterschiedlichen Verpackungen (1956–1984) waren jene drei ab 1969 bereits teilweise mit Cellophan-Fenster „verglast“. Ab 1979 „geblistert“, also zum Aufhängen an SB-Displays geeignet.
Ein „echtes“ Matchbox-Auto immer noch um ein Taschengeld? Vor vielen Jahren saß am Flohmarkt hinter dem Innsbrucker Rathaus eine sehr wohlbeleibte Dame auf einem sichtlich überforderten Campingsessel. Zu ihren Füßen standen auf einer ehemaligen Tischdecke eine Unzahl kleiner Spielzeugautos in allen Stadien der Verwesung. In der Mitte ein 356er Porsche, unverglast und ohne Reifen. Auf meine Frage nach den Preisen bekam ich folgendes in bestimmtem Ton zu hören: „Das sind alles Matchbox, die gibt es nicht mehr und 10 Schilling will ich dafür haben!“ Ich bückte mich (ging damals noch leichter …), angelte den ehemals roten Porsche aus der Masse und sagte: „Schau, das ist kein Matchbox, die Reifen fehlen und das Glas ist auch nicht mehr vorhanden – was willst du dafür haben?“ Nach umständlichem Herumdrehen und vergeblichen Leseversuchen und der Erkenntnis, dass es tatsächlich kein Matchbox-Modell ist, verlangte sie 2 Schilling.
Längst steht er neu lackiert und original bereift in meiner Sammlung. Eine Verglasung hatte er weder im Neuzustand noch heute – es ist ein Märklin der Reihe 8000. So viel zum Thema der Wertigkeiten.
Auch wenn die Schnäppchen immer seltener werden, es gibt sie noch!
Was man bei Matchbox-Modellen haben sollte, sind zwei wesentliche Voraussetzungen, um Erfolg und Freude beim Sammeln zu haben: Geduld und Fachwissen!
Es gibt Modelle, deren Bauzeitraum mehrere Jahre betrug, während es bei anderen nur wenige Monate waren. Daraus resultiert oft die Tatsache, dass ein seltenes Modell in bespieltem Zustand mehr kostet, als ein perfektes mit großer Auflage. Ist eine Sammlung bereits fortgeschritten, wird ein guter Katalog zur Notwendigkeit. Solche gibt es immer wieder preiswert antiquarisch zu kaufen.
Nur intensive Sammler werden in der Lage sein, die seit 1957 aufgelegten, kleinen Kataloge bis 1984 komplett zu bekommen. Viele Jahrgänge von diesen gibt es auch in deutscher Sprache. Warum sie in Spielwarenläden (gab es damals noch!) zur freien Entnahme auflagen, lasse ich Sie liebe Leserin/lieber Leser selbst raten.
Matchböxe waren von Beginn an als Sammlerstücke angedacht. Die Sammler damals waren nicht selten jene Knaben, welche heute als grauhaarige Rentner nichts anderes im Sinn haben. Nur meistens mit einem anderen Budget versehen. Für die fachgerechte Aufbewahrung seiner Lieblinge bot der Hersteller Sammelkoffer (Carry Cases ) in verschiedenen Größen an. Diese konnten bequem zum Spielen mit Freunden mitgenommen werden.
Was ich unbedingt noch erzählen möchte Bevor ich die Vitrine schließe und das Licht im Modellbauzimmer lösche, erlauben Sie mir noch eine kleine Geschichte zum Abschluss.
Durch einen glücklichen Umstand lernte ich einen der bedeutendsten Matchbox-Sammler und -Kenner Europas kennen. Dipl.-Ing. Christian Falkensteiner aus Linz ist Herr über etliche tausend Modelle aller Baureihen und Epochen. In hunderten von originalen Koffern haben, numerisch aufsteigend, nach Varianten unterteilt, historische „Regular Wheels“ und „Superfast“ ihre Heimat gefunden. Ganze Schränke füllen weitere Produktreihen, die Fachbibliothek sucht ihresgleichen. Seine perfekten Englisch-Kenntnisse erleichterten Einkaufs- und Studienreisen in die ganze Welt. Weltweit sind auch die Kontakte, die er pflegt. Welch liebenswerter Charakter Dipl.-Ing. Falkensteiner ist, bezeugt aber eine von ihm geschaffene Einmaligkeit zum Wohle der weltweiten Matchbox-Gemeinde. Auf seiner Webseite: www.cfalkensteiner.com kann jeder Sammler sein unerschöpfliches Wissen völlig kostenlos herunterladen.
Dass Dipl.-Ing. Falkensteiner auch kleine Modelle alter Citroëns sammelt, selbst einen im Original fährt und zahlreiche Oldtimerveranstaltungen im In- und Ausland besucht, möchte ich genau so wenig verschweigen, wie seine Liebe zur Austro Classic. Er nennt eine fast vollständige Sammlung ab der ersten Ausgabe sein Eigen.
Wie erklärte ich nun meinem Freund Christian, bei seinem ersten Besuch in unserem Haus meine kleine Matchbox-Sammlung? „Christian, ich sammle sie nicht – ich liebe sie!“