Happy Birthday, Raumfahrt!

Autor: Christian Klösch (TMW)


Vor 100 Jahren erschien Hermann Oberths Klassiker „Die Rakete zu den Planetenräumen“ und machte die Öffentlichkeit damals „mondsüchtig“ – auch in Österreich

Hermann Oberth (1894–1989)

gilt als „Vater der Rakete“ – zumindest im deutschsprachigen Raum. Geboren 1894 in Hermannstadt in Siebenbürgen – damals Teil der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie – interessierte er sich schon früh für die Raumfahrt. Wie viele Kinder seiner Generation verschlang auch er die Bücher von Jules Verne. Besonders die „Reise um den Mond“ hatte es ihm angetan. Verne lässt darin seine Helden an Bord einer hohlen Kanonenkugel zum Mond schießen. Dass die Besatzung die enorme Beschleunigung des Geschoßes nicht überleben würde, war dem Gymnasiasten Oberth schon damals klar, und so begann er, angeregt durch Verne, zu rechnen und sich Gedanken darüber zu machen, wie es möglich wäre, tatsächlich zum Mond zu reisen.

Hermann Oberth – ein Pionier mit später Anerkennung

Oberth zog es nach dem Ersten Weltkrieg zum Studium nach Deutschland und er begann sich intensiv mit Raketentechnik, Flüssigtreibstoffraketen und Raketentriebwerken zu beschäftigen. Doch dieses Gebiet der Technik existierte noch nicht. Mit 29 Jahren suchte er verzweifelt einen Professor, der seine Dissertation annahm. Doch seine Arbeit passte weder zur Astronomie noch zur Physik und auch nicht zum Maschinenbau. Er blieb zunächst ohne Doktortitel und arbeitete als Gymnasiallehrer in seiner Heimat. Auch für seine fertige Dissertation fand er keinen Verlag. Nur der auf esoterische Literatur spezialisierte Michael Verlag in München nahm das Manuskript an. Doch dann schlug „Die Rakete zu den Planetenräumen“ ein wie eine Bombe und machte Oberth über Nacht berühmt. Bereits drei Jahre zuvor hatte der amerikanische Raketenpionier Robert H. Goddard (1882–1945) in den USA mit „Methods for Reaching Extreme Altitudes“ eine Abhandlung über die Flüssigtreibstoffrakete veröffentlicht und dort einen medialen Raumfahrtboom ausgelöst. Mit Oberths Veröffentlichung erreichte diese Begeisterung nun den deutschsprachigen Raum. Plötzlich schien ein Flug in den Weltraum nur mehr eine Frage der Zeit zu sein und nicht mehr an prinzipiellen technischen Fragen zu scheitern. Der vermeintliche Wettlauf zum Mond zwischen Oberth und Goddard elektrisierte die Öffentlichkeit, machte eine ganze Generation „mondsüchtig“ und löste einen wahren „Raketenrummel“ aus.

Max Valier – Propagandist der Raumfahrt

Der „Raketenhype“ wurde auch mit tatkräftiger Unterstützung eines weiteren Altösterreichers befeuert: Der Südtiroler Max Valier (1895–1930), im Ersten Weltkrieg bei der k.k. Fliegertruppe, brach sein Astronomiestudium in Innsbruck und Wien ab, um Anfang der 1920er zunächst als Propagandist für Hans Hörbigers Welteislehre durch die Lande zu ziehen. Nach dem Erscheinen von Oberths Buch wechselte er seinen Meister: Er propagierte nun Raketen und träumte von Flugzeugen und Automobilen mit Raketenantrieb. Bereits ein Jahr nach Oberth veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit ihm sein populärwissenschaftliches Buch „Vorstoß in den Weltenraum“. In zahllosen Vorträgen und Zeitungsartikeln popularisierte er den Bau von Raketen, den Flug zu Mond, Venus und Mars, den Bau von Erdsatelliten und von Raumstationen im Erdorbit. Tragisch war Valiers Ende: Bei Experimenten mit Raketentreibstoff kam er 1930 bei einer Explosion in seinem Labor ums Leben. Der deutsche Ingenieur und Schriftsteller Otto M. Gail (1896–1956) arbeitete davor eng mit Valier zusammen. Seine Science-Fiction-Romane „Der Schuss ins All“ (1925), „Der Stein vom Mond“ (1926) und sein Jugendbuch „Hans Hardts Mondfahrt“ (1928) waren Bestseller. In der Öffentlichkeit entstand eine Erwartungshaltung, dass der Flug in den Weltraum und zum Mond innerhalb weniger Jahre, sicher aber noch vor Ende der 1920er-Jahre möglich sein würde.

Die Erfindung des Countdowns

Der einzige, dem es noch vor Ende des Jahrzehnts gelang, zumindest filmisch auf dem Mond zu landen, war der Wiener Regisseur Fritz Lang (1890–1976). 1929 kam sein Klassiker „Die Frau im Mond“ in die Kinos. Als wissenschaftlichen Berater hatte er Hermann Oberth engagiert. Ein dramaturgischer Kniff, um die Spannung im Film zu erhöhen, prägt bis heute die reale Raumfahrt: Fritz Lang gilt als Erfinder des Countdowns.

Die durch Presse und Film geschürte Erwartungshaltung der Öffentlichkeit entsprach jedoch nicht dem technischen Fortschritt. Woche für Woche, Monat für Monat warteten Presse und Publikum ungeduldig auf den Durchbruch in der Raketentechnik: Theoretisch hatte man die Funktionsweise der Rakete verstanden, von der technischen Umsetzung, vor allem bei Treibstofftanks, Pumpen, Raketenmotoren oder der Steuerung, war man – wie sich später herausstellte – noch Jahrzehnte entfernt.

Raumfahrt- und Raketenpioniere in Österreich in der Zwischenkriegszeit

In Deutschland sammelten sich die Raketenpioniere im „Verein für Raumschifffahrt“, den Max Valier und Johannes Winkler (1897–1947) 1927 in Breslau gründeten. Aber auch Wien entwickelte sich damals zu einem Zentrum der Raumfahrtforschung, wie der Weltraumhistoriker Karlheinz Rohrwild feststellte: Schon 1920 entwarf Franz Ulinski (1890–1974) das Konzept von elektrischen Ionenantrieben für Raumschiffe und der Einzelgänger und Autodidakt Herman Potočnik (1892–1929) beschrieb in seinem 1929 erschienenen Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums – Der Raketen-Motor“ die technischen Grundlagen für geostationäre Raumstationen. 1927 gründeten die Privatgelehrten Franz Hoefft (1882–1954) und Guido Pirquet (1880–1966) die „Österreichische Wissenschaftliche Gesellschaft für Höhenforschung“, die bis 1933 bestand und Ausstellungen, Vorträge und Veranstaltungen durchführte. Auf Initiative des Erfinderverbandes und des Flugtechnischen Vereins konstituierte sich 1931 die „Österreichische Gesellschaft für Raketenforschung“, deren Ehrenpräsident Hermann Oberth wurde. Im selben Jahr gründete sich noch die „Österreichische Gesellschaft zur Förderung der Raumforschung“, als dessen Obmann der Maschinenbauingenieur Franz Kareis (1909–1943) fungierte. Während Pirquet und Hoefft wichtige theoretische Grundlagen zur Technik und zu interplanetaren Bahnen lieferten, war Franz Kareis ein Praktiker: 1930 und 1932 baute und startete er in Salzburg und Wien erfolgreich Raketen. Seine Testrakete K7 flog von Königsbrunn nach Stammersdorf.

Im Sommer 1928 experimentierte Aurelius Bisail (1905–1987), Mitglied des „Österreichischen Flugtechnischen Vereins“, im Überschwemmungsgebiet der Donau bei Kagran mit raketenbetriebenen Modellflugzeugen. Ebenfalls im Sommer 1928 baute der Wiener Otto Paul Fuchs (1897–1965) zwei Raketen und startete sie in der Nähe des Neusiedlersees, wobei eine Flughöhe von 700 m erreicht wurde. Der St. Pöltner Mechaniker Karl Cerny (1908–1967) baute 1934 ein mit Flüssigtreibstoff betriebenes Raketenauto.

Berühmt wurde der steirische Raketenpionier Friedrich Schmiedl (1902–1994), der in Graz Chemie studierte und ab 1928 begann, Feststoffraketen vom Schöckl aus zu starten. Seine Forschungen finanzierte er durch die Beförderung von Briefen mit selbst kreierten Sonderstempeln, die bei Sammlern als „Raketenpost“ heiß begehrt waren. Zwischen 1928 und 1933 startete er 21 Versuchsraketen. Als 1934/35 der private Besitz von Sprengstoff in Österreich aufgrund der politischen Verhältnisse verboten wurde, beendete dies nicht nur seine Experimente, sondern auch die Raketenforschung in Österreich.

Berlin und die Gruppe um Wernher von Braun wurden danach zum Mekka der Raketenenthusiasten. Das finanzkräftigere Deutsche Reich mit seinen Flugzeugwerken und Forschungsinstituten zog junge österreichische Ingenieure an, die dort Karriere machten, wie etwa Eugen Sänger (1905–1964). Aber auch Hermann Oberth bot sich den NS-Machthabern als williges Werkzeug an: Als Techniker wird er heute als „Vater der Rakete“ gefeiert, gleichzeitig haftet seiner Person bis heute der Makel des NS-Kollaborateurs an. Jene Raumfahrtenthusiasten der ersten Stunde wie Friedrich Schmiedl, die ihren Traum von der Reise zum Mond nicht zugunsten einer Karriere in der Rüstungsindustrie des Dritten Reiches aufgeben wollten, verloren den Anschluss an die internationale Entwicklung und gerieten in Vergessenheit.

Das Zeitalter der Raumfahrt begann Ende der 1950er-Jahre und das „Space Race“ zum Mond trugen in den 1960er-Jahren die USA und die Sowjetunion aus – die Grundlagen dazu schufen aber die vielen Raumfahrtenthusiasten der 1920er- und 1930er-Jahre, die Oberths Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“ gelesen hatten.

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