Die Mistel
Autor: Hannes Denzel
Hannes Denzel über das GEM-Ixion 0,7 HP 100 ccm Baujahr 1902
Bei der Beschreibung dieser einfach gestrickten Pioniermaschine machen wir eine Rundreise durch halb Europa – starten tun wir in Frankreich und zwar in der Universitätsstadt Lille, nahe der belgischen Grenze. Dort entwarf Léon Cordonnier im Jahr 1901 einen sehr rustikal anmutenden (die Zylinder vermutlich in einer Form „gebacken“) Reibrollenmotor mit 100 Kubik Hubraum, der nach dem Zweitakt-Prinzip arbeitete und einen Oberflächenvergaser hatte. „Ixion“ nannte Cordonnier seine Schöpfung, nach einer etwas zweifelhaften Figur der griechischen Mythologie, die wegen eines an einem Verwandten begangenen Mordes dazu verdammt war, an ein Feuerrad gebunden auf ewig am Himmel zu rotieren. Der Name leitet sich von ischys = Stärke und io = Mond ab und erinnert an die Mistel = Ixias (so weiß es Wikipedia).
Der Ixion Motor bzw. dessen Lizenz ließ sich gut verkaufen, Abnehmer saßen in England, in Schweden (Allvelo), Belgien (Gillet Herstal), Deutschland (Komet) und in Dänemark. In der Hauptstadt Kopenhagen (Kjobehavn) nahm sich Georg Emil Mathiasen des Motors an, der ohne Umbauten an jedes herkömmliche Fahrrad montiert werden konnte, und vertrieb ihn unter seinem Namenskürzel G.E.M.
Mathiasen war ein sehr umtriebiger Mensch, Maschinenbau-Ingenieur und Fabrikant, dessen Handelsbeziehungen bis Schweden, England und Ungarn reichten, und der später mit der Konstruktion und Herstellung von Waschmaschinen bekannt wurde. Er war auch als Generalkonsul tätig, z.B. in Ungarn. Das G.E.M. Ixion brachte er 1902 auf den Markt.
Auch nach Österreich führen Spuren dieses frühen Hilfsmotors, und zwar nach Wien VIII zu Anton Scheibert. Der begann 1905 mit dem Lizenzbau von Ixion Motoren, über die bei Tragatsch aber nur wenig Gutes berichtet wird: „… den Antrieb des Vorderrads besorgte ein Reibrollenmotor. Die verhältnismäßig kurze Produktionsdauer dieser Konstruktion lässt darauf schließen, dass sie sich nicht besonders gut bewährte.“
Tatsächlich schob Scheibert schon 1907 ein neues Modell nach – wieder nach dem „Clip-On“-Prinzip –, wobei der ca. 200 Kubik große Motor jetzt ein 1 ¼ PS starker Viertakter mit automatischem Ansaug- und mechanisch gesteuertem Auslassventil war, aber auf dem unteren Rahmenrohr befestigt über einen Flachriemen das Hinterrad antrieb. Auch wenn am Motorgehäuse Scheiberts Name und „Wien“ aufgetragen sind, handelt es sich dabei aber vermutlich um einen Lizenz des französischen Herstellers Clement. Scheiberts Spuren als Hersteller reichen bis ins Jahr 1912, aber das ist ohnehin eine andere Geschichte.
Von den Ixion-Motoren sind weltweit nur eine Handvoll erhalten geblieben, keiner davon scheint von Scheibert zu stammen.
Unser Fotomodell konnten wir zwar in Österreich bei einem Sammler von hilfsmotorisierten Fahrrädern ablichten, es kommt aber aus Dänemark und wurde von Georg E. Mathiasen hergestellt, wie man am kombinierten Kraftstoff/Akkumulatorgehäuse und der freiliegenden Schwungscheibe gut erkennen kann.