Im Oldie-Cockpit bei der Stanserhorn-Airshow
Autor: Von Jürgen Schelling, Photos: Uwe Stohrer
Was ist die Steigerung zum Zuschauen bei der Stanserhorn-Airparade in den Schweizer Hochalpen? Selbst in einem teilnehmenden Oldtimer mitzufliegen.
An diesem sonnigen Sommertag bereitet die Crew das auffällig gelb-violett lackierte Propellerflugzeug am kleinen Schweizer Flugplatz Langenthal-Bleienbach nahe Bern auf den bevorstehenden Flug vor. Pilotin Natascha Wirth und ihr Copilot Clemens Rüb haben bereits eine sorgfältige Vorflugkontrolle absolviert. Nun wird der 360 PS starke Motor angelassen. Trotz tropischer Temperaturen muss er noch einige Minuten warmlaufen. Nun rollt die Maschine auf die Runway, Startrichtung 23. Jetzt geht es ab in den Himmel. Ziel ist eine Flugschau. Besser gesagt die Stanserhorn-Airparade über dem gleichnamigen Gipfel in den Schweizer Alpen. Das ist für diese PC-6 Porter quasi ein Heimspiel: Denn unterhalb des Stanserhorn wurde sie vor 61 Jahren bei Pilatus in Stans gebaut.
Sonor brummend schraubt sich der sechssitzige Oldie in den nächsten 30 Minuten auf 6000 Fuß, das sind knapp 2000 Meter Flughöhe. Nun kommen Vierwaldstättersee, Flugplatz Buochs und der 1897 Meter hohe Gipfel des Stanserhorn in Sicht. In wenigen Minuten geht es mit der Vorführung der Porter los. Weitere 22 Motorflieger, ein Helikopter und sogar ein geschlepptes Segelflugzeug vom Typ Pilatus B4 starten von unterschiedlichen Flugplätzen in der ganzen Schweiz aus zur Flugschau.
Mittlerweile hat die Porter kurz nach 15 Uhr in etwa 2000 Meter den Vierwaldstättersee erreicht. Die Crew ist konzentriert und beobachtet intensiv, ob nicht doch einer der heute zahlreichen Drachenflieger am Himmel irgendwo den Flugweg kreuzt. Dann nimmt die Porter mit etwa 150 km/h Kurs in Richtung Stanserhorn-Gipfel.
Alle Piloten fliegen zuerst ins Holding, einer eigens definierten Warte-Region östlich des nahegelegenen Flugplatzes Buochs in einer Höhe zwischen 2000 und etwa 2600 Metern. Nach Freigabe per Funk geht es von dort mit vorgegebenem Kurs zum Stanserhorn-Gipfel. Die Flugzeuge verlassen nach ihrer Vorführung das Gebiet immer in eine andere Richtung. So sind gefährliche Annäherungen der Teilnehmer ausgeschlossen. Normalerweise müssen Flugzeuge in der Schweiz aus Sicherheitsgründen einen Abstand von mindestens 150 Meter zum Boden haben. Am steil abfallenden Stanserhorn ist das gar kein Problem. Deshalb können die Maschinen hier parallel zu den Zuschauern an der Aussichtsterrasse vorbeifliegen. Statt von unten auf Augenhöhe oder sogar von oben auf die Oldies zu blicken, macht den besonderen Reiz aus. Dazu stellt das Alpenpanorama eine einzigartige Bühne bereit. Kunstflugmanöver sind allerdings keine erlaubt.
Die bei der Airparade eingesetzte Porter ist ein frühes Exemplar der Modellreihe aus den 1960er- Jahren. Damals hatte sie einen Sechszylinder. Spätere Baujahre erhielten eine kräftigere Propellerturbine. 2022 erlebte die Maschine aus Bleienbach den zweiten „Erstflug“ nach aufwändiger Restaurierung. Und nun ist sie ein wertvolles Unikat – die letzte flugfähige Porter auf der Welt mit Kolbenmotor. Zudem besonders: Sie ist das originalgetreue Replikat eines eidgenössischen PC-6, der erst im Himalaya berühmt wird und später dort verunglückt.
Für die Crew wird es nun spannend. Ihr Zeitfenster beträgt nur sechs Minuten zwischen 15.24 und 15.30 Uhr. Jetzt fliegt die Porter an hunderten Zuschauern auf der Ausflugsterrasse und am Gipfel vorbei, damit diese einen spektakulären Anblick genießen können. Gleichzeitig muss der seitliche Abstand zum Gelände aber groß genug sein, um den Sicherheitsbestimmungen zu genügen. Pilotin Natascha Wirth steuert die Maschine, ihr Cockpitkollege Clemens Rüb überwacht die Motordaten und unterstützt beim Beobachten des Luftraums
Um die Bedeutung ihres besonderen Oldtimers zu verstehen, braucht es einen Blick 63 Jahre zurück: Eidgenössische Bergsteiger wollen 1960 die Erstbesteigung auf den 8167 Meter hohen Dhaulagiri in Nepal versuchen. Deshalb schließen Verantwortliche der Expedition in den Himalaya mit Flugzeugbauer Pilatus einen Mietvertrag ab. Der damals nagelneue PC-6-Prototyp ist mit einem Lycoming-Kolbenmotor ausgerüstet. Auf den Namen „Yeti“ getauft, startet diese Porter am 12. März 1960 in Zürich. Von Ende März an beginnen die Versorgungseinsätze im Hochgebirge von Nepal. Die gelb-violette Porter fliegt mit Material oder Bergsteigern zum Basislager Zwei in bis zu 5750 Meter Höhe. Nur Wochen später, am 5. Mai, verlässt die Crew das Fliegerglück. Der Yeti stürzt unmittelbar nach dem Start in dünner Luft ab. Beide Piloten überstehen den Crash unversehrt. Das Flugzeug ist jedoch irreparabel beschädigt und kann auch nicht abtransportiert werden.
An diese Vergangenheit erinnert die neue alte Maschine. Sie wurde am Flugplatz Langenthal von einer Gruppe mit dem passenden Namen Yeti-Flyers restauriert. Zu ihr gehören Aviatik-Liebhaber und mehrere pensionierte Mitarbeiter von Pilatus Aircraft, die alle mit der PC-6 bestens vertraut sind. 6000 Arbeitsstunden stecken in der wunderbar restaurierten Maschine.
Die 1962 gebaute Porter ist sogar eines der jüngeren Flugzeuge bei der zweieinhalbstündigen Airparade. Die größte Maschine, die zweimotorige DC-3 aus Grenchen, ist noch einmal 17 Jahre älter. Der Methusalem unter den Oldies am Stanserhorn ist aber eine DeHavilland Gipsy Moth. Dieser offene Doppeldecker mit 85 PS und Baujahr 1930 bringt es auf stolze 93 Jahre. Auch ein Helikopter erreicht den Gipfel: Der Agusta-Bell 206 B Jet Ranger ist mit Baujahr 1980 ebenfalls bereits ein echter Klassiker.
Aus den Augenwinkeln registriert die Crew der Porter, dass zahlreiche Zuschauer trotz der Hitze aufs Stanserhorn gekommen sind. Einmal rings um den Gipfel kurven, dann geht es zum zweiten Mal an der Ausflugsterrasse des Bergrestaurants vorbei. Den Piloten macht es natürlich Spaß, relativ nah auf Augenhöhe an den Zuschauern vorbeizufliegen. Dann ein letzter Vorbeiflug in entgegengesetzter Richtung. Anschließend geht es auf einem anderen Kurs weg vom Stanserhorn und zurück Richtung Langenthal-Bleienbach. Dort setzt die Porter nach einer weiteren halben Stunde Flug wieder sanft am Heimatflugplatz auf.