Es ist alles sehr kompliziert…
Autor: Wolfgang M. Buchta, Photos: Ulli Buchta
Die Automobilgeschichte ist nicht immer einfach und geradlinig, aber wenige Firmenhistorien sind so verworren, wie die der Marke Talbot.
Ein umtriebiger Erbe
schreibt Industriegeschichte Gehen wir zurück ins Großbritannien Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, wo Charles Henry John Chetwynd-Talbot, 20th Earl of Shrewsbury, 20th Earl of Waterford, 5th Earl Talbot (1860–1921) mit 16 Jahren von seinem Vater nicht nur die Titeln, sondern auch ein beträchtliches Vermögen erbte.
Bemerkenswerterweise erging sich der junge Lord nicht in elegantem Müßiggang, sondern gründete gleich mehrere Firmen im Bereich Straßentransport im weitesten Sinn – womit allmählich klar wird, wie er sich seinen Platz in Austro Classic verdient hat …
Während die Gründung des „Staffordshire Polo Club“ (1895) nur mit viel Wohlwollen als dem Straßentransport zugehörig gelten kann, ist dies mit einer täglichen „Greyhound“-Postkutsche nördlich von Birmingham, die er für einige Jahre betrieb, schon eindeutiger.
Im zarten Alter von 23 Jahren – im Sommer 1884 – begann Lord Shrewsbury in Westminster, London mit dem Betrieb von 35 „Forder Royal Hansom Cabs“ – sozusagen die Fiaker Londons –, welche die ersten waren, die mit Gummireifen ausgestattet waren. An jeder Wagenseite war ein Krönchen und die Initialen „S“ und „T“ (für Shrewsbury und Talbot) aufgemalt.
Im Sommer 1888 hatte Lord Shrewsburys Betreiberfirma bereits mehr als 300 „Pferde im Stall“ und er brachte die „Shrewsbury and Talbot Cab and Noiseless Tyre Company Limited“ an die Börse.
November 1900 gründete Lord Shrewsbury die „Shrewsbury S T and Challiner Tyre Company Limited“ zur Erzeugung und Handel mit Cabs, Automobilen, Fahrrädern, Reifen, … was ihm 1903 eine Klage von Konkurrent Dunlop wegen des Imports von französischen Reifen von Michelin einbrachte.
1901 gründete er die „British Automobile Commercial Syndicate Limited“ an der – neben anderen Teilhabern – auch ein Mr. R. Weigel aus North Kensington beteiligt war, der es alsbald zum „Managing Director“ bringen sollte. Haupttätigkeit des „British Automobile Commercial Syndicate“ war der Import von (französischen) Automobilen der Marke Clement-Bayard, die in „Britain and its Empire“ als Clement-Talbot vermarktet wurden.
Der tüchtige Monsieur Clement
Adolphe Gustave Clement wurde 1855 in Pierrefonds – knapp 100 km nordöstlich von Paris – als Sohn eines Lebensmittelhändlers geboren. Schon der kleine Adolphe interessierte sich mehr für Mechanik und Technik, als für die Waren im Laden seines Vaters. Mit 17 Jahren baute es sich ein Fahrrad mit Holzrädern, absolvierte eine Schlosserlehre und ging mit 23 Jahren (1978) nach Paris und gründete die Fahrradwerkstatt „A. Clement & Cie.“, aus der bald eine Fahrradfabrik wurde.
1889 erwarb er von John Boyd Dunlop, dem Erfinder des luftgefüllten Reifens, für 50.000 Francs die Exklusivrechte für Frankreich – und machte damit ein Vermögen. 1891 trennte er sich von seinen Partnern und errichtete in Mezières, in den französischen Ardennen, eine riesige – 15.000 m2 – Fabrik – „La Macerien“, benannt nach der Eigenbezeichnung der Einwohner von Mezieres – mit eigenem Kraftwerk, Gießerei und Werkstatt zur Vernickelung
Der (ebenfalls) tüchtige Monsieur Darracq
1896 stieß ein gewisser Alexandre Darracq zu unserer Geschichte. M. Darracq wurde 1844 in Bordeaux geboren und erlernte den Beruf eines technischen Zeichners. 1891 gründete er die „Societe Gladiator“, die Fahrräder und – ab 1894 – Motorräder nach der Konstruktion von Felix Theodore Millet produzierte. Mit einem Fünfzylinder-Sternmotor im Hinterrad blieb das Millet-Motorrad ein Exot, dessen Produktion bereits 1895 wieder eingestellt wurde.
Darracq hatte „Blut geleckt“ und machte sich auch an die Konstruktion von Automobilen. Im Oktober 1896 verkaufte er die „Societe Gladiator“ an das „British Automobile Commercial Syndicate“, die gleichzeitig „Clement & Cie“ erwarben und die beiden Unternehmen mit der französischen Fahrradabteilung von Humber zur „Clement, Gladiator and Humber (France) Limited“ fusionierten. Die Fertigung von Fahrrädern, Motorrädern und Automobilen wurde fortgesetzt.
Clement und Darracq blieben der Firma vorerst als Direktoren erhalten, aber Darracq verließ das Unternehmen schon bald und gründete im Februar 1897 unter dem Namen „Automobiles Darracq S.A.“ ein neues Unternehmen, das als Automobilhersteller höchst erfolgreich sein sollte und uns Jahre später – in dieser Geschichte – wieder begegnen wird.
1901 wurde die Firma in „Societe Française des Cycles Clement et Gladiator“ umbenannt. Adolphe Clement verließ 1903 das Unternehmen und erlitt ein „Horch-Schicksal“, d. h. er durfte den Namen „Clement“ nicht weiter kommerziell verwenden. M. Clement verfiel für seine neue Firma, die er im Levallois-Perret nordwestlich von Paris gründete, auf eine kreative Lösung: Im Mittelalter lebte in der Region Pierre du Terrail, Chevalier de Bayard (1476–1534), der sich einen Ruf als „Ritter ohne Furcht und Tadel“ („Chevalier sans peur et sans reproche) erworben hatte. Clement war von Chevalier de Bayards Heldentaten und der Historie so angetan, dass er nicht nur sein neues Unternehmen nach dem „Chevalier sans peur et sans reproche“ – Clement-Bayard nannte, sondern im Jahre 1909 sogar seinen Familiennamen amtlich auf Clement-Bayard ändern sollte. Bis 1922 wurden Automobile dieses Namens gebaut, ehe er das Werk an Citroën verkauft*.
Endlich: Talbot, eine neue Automarke
Kaum ein Jahr später hatte das „British Automobile Commercial Syndicate“ und die Marke Clement-Talbot ihre Schuldigkeit getan, und bereits am 30. September 1903 verkündete ein Flugblatt, das die Automobile der Marke Clement-Talbot in Zukunft als „Talbot“ angeboten würden, was für Kunden, Presse und Öffentlichkeit vielleicht ein wenig verwirrend war, denn am Kühlergrill, am Motor und am Getriebegehäuse fand sich weiterhin der Name „Clement“ – auch noch, nachdem im November 1904 ein neues Talbot-Werk in Ladbroke Grove, Kensington (London) eröffnet worden war.
Für das Modelljahr 1904 hatte Talbot sechs Modelle – vom Ein-Liter-Zweizylinder bis zum 4,9-Liter Vierzylinder – in zwei Baureihen im Angebot. Die Baureihe AC (Adolphe Clement) entsprach dem Clement-Gladiator Design und hatten in zwei Blöcke gegossenen Motore mit einer Nockenwelle, und die Baureihe CT (Clement-Talbot) hatte einzelne Zylinder mit einem T-Head mit stehenden Ventilen und zwei untenliegenden Nockenwellen. Die Ähnlichkeiten zu ihren französischen Gegenstücken war nicht zu übersehen.
Beiden Baureihen gemeinsam waren – für die Zeit – moderne Konstruktionsmerkmale wie ein Pressstahlchassis, Magnetzündung und Kardanantrieb. Der Entwurf war so gelungen, dass er mehrere Jahre ohne große Änderungen produziert wurde.
1906 kam der erste wirklich „britische“ Talbot auf den Markt, ein 20 HP von 3,8 Liter Hubraum. Konstrukteur war ein gewisser C. R. Garrard. Ein Talbot 12/16 HP mit 2,7-Liter-Motor folgte bald.
Beide Modelle waren leistungsstarke Automobile, die auch im Motorsport erfolgreich waren. Die zeitgenössische Werbung kreierte den Spruch vom „Invincible Talbot“ also vom „unbesiegbaren Talbot“, der viele Jahre verwendet wurde.
Talbot war mittlerweile eine rein britische Marke und das „t“ am Ende des Namens wurde ausgesprochen also „tælbət“. In Frankreich hingegen wurde die Marke ohne das „t“ am Ende als „talbo“ ausgesprochen.
1907 wurde der 12/16 durch den noch leistungsfähigeren 15 HP mit drei Liter Hubraum ersetzt und ein Jahr später ergänzten ein 25 HP und ein 35 HP das Angebot. 1908 schrieb sich der Talbot 25 HP in die (australischen) Geschichtsbücher ein, als die Herren Harry Dutton und Murray Aunger erstmals mit dem noch jungen Automobil (in ganz South Australia gab es 1908 schätzungsweise 500 Automobile) Australien von Süden nach Norden durchquerten.
Im zweiten Versuch schafften die beiden Abenteurer – mit dem zweitem Talbot – die gut 3.000 km lange Strecke von Adelaide nach Darwin in 51 Tagen. Dieser Talbot steht heute im National Motor Museum in Birdwood, South Australia.
Bis 1910 fuhr das Talbot-Werk in London doppelgleisig: Einerseits wurden bis zu 50 (britische) Talbots gefertigt, aber zusätzlich französische Clement-Talbot unter der Bezeichnung „Paris Models“ importiert. 1910 lief der Import allmählich aus … Ebenfalls 1910 wurde ein neuer Sechszylinder-Motor eingeführt.
1913 schrieb ein „stripped down“ Talbot 25 HP britische Motorgeschichte, denn es war der erste Wagen, der in Brooklands mit Percy Lambert am Steuer in einer Stunde 100 Meilen zurücklegte. Eine Leistung, die die Werbeabteilung von Talbot ausgiebig zu verbreiten wusste.
Kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs ersetzte der Talbot 25/50 den 25 HP, ein neuer, „kleiner“ Talbot von nur 2,6 Liter – der Type 15/20 ergänzte die Modellpalette nach unten. Mit dem Beginn des „Great War“, wie der Erste Weltkrieg bis heute in England genannt wird, musste auch das Werk in der Barlby Road auf Kriegsproduktion umsteigen. Statt sportlicher Automobile entstanden auf Basis des Talbot 25/50 Stabswagen, Ambulanzen und diverse Spezialfahrzeuge. Munition und Flugmotoren wurden in großer Menge produziert. Talbot erledigte auch Reparaturaufträge in großer Menge und war in die streng geheime Panzer-Entwicklung – „Panzer“ heißt bis heute im Englischen „Tank“, da aus Geheimhaltungsgründen die Panzer als Wassertanks bezeichnet wurden – eingebunden.
Der tüchtige Herr Roesch
Georges Henry Roesch wurde 1891 als Sohn eines Garagisten in Genf geboren, ging zur Lehre zu Delaunay-Belleville nach Saint-Denis (nördlich von Paris) und wechselte 1914 zu Daimler nach Coventry. Mit einem deutschen Namen, deutschem Akzent und geringen Englisch-Kenntnissen war 1914 vermutlich nicht der beste Zeitpunkt zur Übersiedlung nach Großbritannien gewesen, denn mit Kriegsbeginn stand er als „Enemy Alien“ unter Generalverdacht und war allerlei Schikanen und Einschränkungen unterworfen.
Nach gut einem Jahr fand er bei Talbot einen Posten als Chefingenieur, wo man ihm – vielleicht auch um ihn von der Kriegsproduktion ein wenig fern zu halten – die Entwicklung eines kleinen Tourenwagens von 1.750 ccm für die Nachkriegsproduktion anvertraut.
Währenddessen wurde Talbot resp. der Namensgeber von einem Schicksalsschlag getroffen: Lord Ingestre, der einzige Sohn des Earl of Shrewsbury war im Krieg ums Leben gekommen. Der Earl war ein gebrochener Mann und verlor das Interesse an „seinem“ Automobilhersteller …
Das war aber nicht das einzige Problem des Autobauers, denn alle Hersteller waren von der Nachkriegsdepression schwer getroffen. Unzählige Armee-Fahrzeuge, die jetzt nach Kriegsende nicht mehr benötigt wurden, fluteten den Markt und der für neue Automobile war damit eingebrochen. Chefingenieur Georges Roesch hatte zwar ein neues Modell entworfen, aber der Markt dafür war „über Nacht“ verschwunden. Die große Fabrik war ohne Einnahmen und für einige Zeit war der Umbau von Talbot 25/50 Ambulanzen auf PKW die einzige Einnahmequelle von Clement-Talbot Ltd.
Auch die anderen Gesellschafter glaubten nicht mehr an den Erfolg von Talbot und waren mehr als glücklich, dass es einen Interessenten gab, der die Firma übernehmen wollte. Dieser „Interessent“ war niemand anderer als die britischen Eigentümer von Darracq, einer Marke, der wir in dieser komplizierten Geschichte bereits begegnet sind.
Endlich ein neuer Name in unserer Geschichte
Die neuen Eigentümer übernahmen kurz darauf auch die Automobilsparte der altehrwürdigen (britischen) Marke Sunbeam, die seit 1887 Fahrräder, Motorräder, Automobile, Autobusse, Flugzeuge und Flugmotoren gebaut hatte und nach Kriegsende so wie viele andere Firmen in finanzielle Probleme gekommen war.
Die neuen Besitzer fassten die drei Firmen 1920 unter der Bezeichnung „S.T.D. Motors“ – Sunbeam, Talbot, Darracq – zusammen. Die Modelle Talbot 25/50 und Talbot 15/20 blieben im Programm und ein kleiner (französischer) Darracq von nur 970 ccm Hubraum wurde als (britischer) Talbot 8/18 ins Programm aufgenommen.
Der Talbot 8/18 war kein großer Erfolg und so nahm sich Roesch des „Findelkinds“ an und vergrößerte den Motor auf 1.100 ccm. Der so entstandene Talbot 10/23 verkaufte sich leidlich und blieb bis Mitte der 1920er-Jahre in Produktion, während die größeren und älteren Modelle allmählich eingestellt wurden.
Die STD-Gruppe war in dieser Zeit auch im Motorsport und bei Geschwindigkeitsrekorden aktiv und sehr erfolgreich, allerdings meist unter dem Markennamen Sunbeam.
1921 waren drei Wagen in Indianapolis am Start, von denen einer als „Talbot-Darracq“ bezeichnet war, und in der Voiturette-Klasse war der 1,5-Liter- Talbot (britisch) in der ersten Hälfte der 1920er- Jahre mit Kenelm Lee Guinness und Henry Segrave am Steuer fallweise erfolgreich.
Als 1926 die Grand-Prix-Rennformel auf 1,5 Liter Hubraum und 600 kg (ab 1927 700 kg) Mindestgewicht geändert wurde, kam Talbot mit einem 1,5-Liter-Grand-Prix-Wagen – 8-Zylinder-Reihenmotor mit Kompressor, zwei obenliegende Nockenwellen und 160 PS Leistung – heraus, der allerdings ein bißchen ein „Etikettenschwindel“ war, denn er wurde nicht von Roesch bei Talbot, sondern bei Sunbeam von Louis Coatalen – ein weiterer anglo-französischer Kosmopolit in den Diensten von STP – entworfen.
STP war – wieder einmal – in finanziellen Schwierigkeiten und die Gesellschafter sahen nicht ein, warum die ohnedies spärlichen Geldmitteln für Motorsport „verblödelt“ werden sollten – so wanderte der Sunbeam von England nach Suresnes (Frankreich) und wurde dort als Talbot-Darracq 700 (für 700 kg) realisiert. Nach zwei erfolglosen Rennsaisonen – 1926 und 1927 – wurde auch die französische Rennabteilung geschlossen und die Fahrzeuge an ein italienisches Privatteam verkauft.
Emilio Materassi hatte mit dem Talbot-Darracq ein paar Erfolge, eher er 1928 in Monza in die Zuschauer raste, von denen 27 dabei ums Leben kamen. Der Rest des Teams wurde von Gaston Brilli-Peri (der übrigens 1922 mit einem Steyr in der Targa Florio am Start gewesen war) erworben. Auch Brilli-Peri hatte damit einige Erfolge, ehe er damit 1930 in Tripoli verunglückte. In Summe war der Talbot-Darracq 700 für Talbot kein (werbemäßiger) Erfolg gewesen.
In London herrschte inzwischen in der Barlby Road „Katerstimmung“. Die Verkaufszahlen waren matt und auch ein neuer 16/50 – 2,5 Liter Sechszylinder – konnte daran nichts ändern. Coatalen orderte Roesch, der inzwischen in Frankreich tätig war, zur Rettung zurück.
Roesch machte sich an die Arbeit und konnte schon nach sechs Monaten seinen detaillierten Entwurf präsentieren: Ein kleiner Sechszylinder von 1.665 ccm mit oben liegenden Ventilen – für seine Zeit sehr drehfreudig (bis zu 4.500 U/min) sorgte für den Antrieb. Eine Vorgabe war, das die komplette Neuentwicklung auf den vorhandenen, alten Werkzeugmaschinen, die teilweise auf den Beginn des Jahrhunderts zurückgingen, gefertigt werden konnte.
Hoch war auch der selbstgesteckte Anspruch von Georges Roesch: Der Wagen sollte die Qualität und die Zuverlässigkeit eines Rolls Royce Twenty bieten – mit halb so großem Motor und zu einem Viertel des Preises.
Kaum ein Jahr nach Projektbeginn konnte Roesch den Talbot 14/45 präsentieren, der zum Preis von £ 395,– die Sensation der Olympia Motorshow des Jahre 1926 war.
Dem erst 35-jährigen Konstrukteur wurde Lob von „höchster Stelle“ zu Teil: Nein, nicht König Georg V. gratulierte, aber Laurence Pomeroy, der „König der Konstrukteure“, der einst den Vauxhall 30/98 entworfen hatte.
Als Jahresproduktion wurden 1.000 Stück angepeilt, denn die Fabrik konnte 100 Stück pro Monat abliefern.
Mit dem kleinen Motor und einer luxuriösen (= schweren) Karosserie war der Talbot 14/45 zwar kein „Rennwagen“, sondern mehr auf der luxuriösen Seite, aber eine gute Basis für weitere Entwicklungen.
Bald nahm man von der Single-Modell-Strategie wieder Abstand, und bereits 1930 wurde der Motor auf 2,25 Liter Hubraum vergrößert und in zwei Versionen angeboten: Talbot 75 Touring und Talbot 90 Sports. Mit kürzerem Radstand hieß der 14/45 Talbot Light Six oder Talbot Scout und später Talbot 65. 1930 waren zwei Talbot 90 beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans am Start und kamen hinter zwei Bentley Six Litre auf die Plätze drei und vier. Aber nicht nur das: Ein serienmäßiger Talbor 90 Tourer gewann – beim ersten Versuch – den „Index of Performance“.
Der „Invincible Talbot“ war zurück und zahlreiche sportliche Fahrer wussten dies zu schätzen. Talbot reichte 1931 den kräftigeren Talbot 105 mit einem neuen Motor von 3 Liter Hubraum nach. Das neue Spitzenmodell war mit einer Auswahl von Karosserien erhältlich, darunter ein formschöner „Airline Saloon“, wie Mr. Roesch selber einen fuhr.
Mit dem Talbot 105 bekam der Einsatz im Motorsport wieder ganz neuen Schwung:
– Le Mans 1931: 3. Platz im Grand Prix d’Endurance
– Alpenfahrt 1931: Coupe des Glacier ohne einen einzigen Strafpunkt
– Alpenfahrt 1932: 3 Talbot 105 am Start – Coupe des Alpes (erstmals seit Rolls Royce 1913)
– usw.
1934 hatte die Baureihe der „Roesch Talbots“ mit dem auf 3,3 Liter vergrößerten Motor Talbot 110 ihren Höhepunkt. Der Talbot 110 galt als der wohl beste Sportwagen seiner Zeit und Klasse.
Aber Talbot baute nicht nur grandiose Sportwagen und elegante Limousinen, sondern auch bemerkenswerte Nutzfahrzeuge. 1929 orderte die „London County Councel“ Ambulanzen mit extra niederem Boden – und Herr Roesch konstruierte eine spezielle, niedrigbauende Hinterachse. Diese Ambulanzen waren – durch den ganzen Krieg hinweg – bis in die 1950er im Einsatz.
Die Erfolge – sportlich wie kommerziell – konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass STD Motors – wieder einmal – in finanziellen Nöten war. Eine Anleihe mit zehnjähriger Laufzeit („Ten Year Garanteed Note“) von 1924–1934 konnte nicht bedient werden und der Masseverwalter zog bei STD Motors ein …
Ein neuer Herr im Haus
Im Februar 1935 kaufte die aufstrebende Rootes Gruppe die Clement-Talbot Ltd. und im Juli des Jahres folgte Sunbeam. Der Talbot 110 – der letzte Roesch Talbot blieb bis 1938 in Produktion, aber bereits 1936 hatte Rootes Georges Roesch gebeten, einen kleinen Talbot Ten auf Basis des Hillman Aero Minx zu entwickeln. Diesem „Kuckuckskind“ – das mit einigen attraktiven Karosserien angeboten wurde – folgten weitere „badge engineered“ Rootes-Modelle wie der Talbot 3 Litre (1938), der ein frisch eingekleideter Hillman Hawk war, und bald (ab 1939) wurden in der Barlby Road Sunbeam-Talbot gebaut – davon aber später mehr.
Georges Roesch ertrug dies bis 1939 und wechselte dann zu David Brown. Ja, zu dem David Brown, dessen Namen wir mit Aston Martin und Lagonda assoziieren, aber das war knapp zehn Jahre später. Vorerst war Mr. Brown einmal damit beschäftigt, mit Traktoren und Getrieben das Kapital für den Kauf von Aston Martin zu verdienen. Roesch sah seinen Lebenszweck nicht im Entwurf von Traktoren, verließ David Brown und kam schließlich zu Frank Whittle, dem britischen Gasturbinen-Pionier, wo er bis zum Ende seines Arbeitslebens blieb.
Fügen wir doch noch zwei Namen zusammen – Sunbeam-Talbot
Von 1938–1953 verwendete die Rootes Gruppe „Sunbeam-Talbot“ als eigene Marke für Fahrzeuge, die meist leicht veränderte Hillmans waren.
Erstes Modell der neuen Marke war der Sunbeam-Talbot Ten und der bis auf die Motorisierung baugleiche Sunbeam-Talbot 2 Litre, die 1938 resp. 1939 auf den Markt kamen. Beide waren unschwer als das Erfolgsmodell Hillman Minx zu erkennen.
Konzernschwester Humber spendierte die Basis für den Sunbeam-Talbot 3 Litre und Sunbeam-Talbot 4 Litre. Die beiden waren zuvor schon als Talbot 3 Litre resp. Talbot 4 Litre im Programm gewesen. Außer dem neuen Namen hatte sich wenig geändert.
Die beiden großen Sechszylinder von Sunbeam-Talbot wurden 1940 kurz nach Kriegsbeginn eingestellt. Die beiden kleineren „überlebten“ den Krieg und wurden praktisch unverändert bis 1948 weitergebaut.
Abgelöst wurden die Vorkriegsmodelle durch den Sunbeam-Talbot 80, eine viertürige Limousine mit 1.185 ccm und 47 PS. Das überraschend agile Fahrzeug erreichte eine Spitze von 117 km/h und wurde gerne bei Rallyes eingesetzt.
Mit stärkerem Motor – als Nachfolger des Sunbeam-Talbot 2 Litre – aber gleicher Karosserie wurde der Sunbeam-Talbot 90 angeboten. Der 2-Liter-Vierzylinder ermöglichte eine Höchstgeschwindigkeit von 124 km/h. Bis 1954 wurde der Sunbeam-Talbot 90 in drei Serien – Mark I, Mark II und Mark IIA – gebaut. Der Mark III hieß dann nur mehr Sunbeam.
In der Zwischenzeit „on the Continent“
Haben wir etwa vergessen, dass STD Motors auch in Frankreich, genauer in Suresnes ein Werk hatte, wo unter dem Namen „Automobiles Talbot“ teilweise eigenständige Modelle entstanden sind? Nein, haben „wir“ natürlich nicht vergessen! Durch die Zahlungsprobleme/die Insolvenz von STD Motors war auch „Automobiles Talbot“ betroffen und auch der französische Zweig des Konzerns fand einen Käufer.
Der große Auftritt des Antonio Lago
Antonio Franco Lago, Anthony Lago oder Tony Lago wurde 1883 in Venedig geboren, und seine Familie übersiedelte 1893 nach Bergamo. Antonio Lago war ein schillernder Charakter, der in der Gesellschaft von Künstlern und Schauspielern aufwuchs, denn sein Vater war Besitzer eines Theaters in Bergamo. In Mailand schloss er ein Ingenieursstudium am Politecnico di Milano ab.
Lago war in Kontakt zu so unterschiedlicheren Persönlichkeiten wie Papst Johannes XXIII und Benito Mussolini. Im Ersten Weltkrieg – den er im Rang eines Majors beendete – war er Pilot beim Corpo Aeronautico Militare und später Gründungsmitglied (eines der ersten 50) der Partito Nazionale Fascista von Benito Mussolini.
Was jetzt nach einem fanatischen Faschisten klingt, wurde bald zu einem lautstarken Kritiker des „Duce“, so lautstark, dass er schließlich nach Frankreich fliehen musste. Die Geschichte weiß zu berichten, dass Lago zur Selbstverteidigung immer eine Handgranate bei sich trug, und diese 1919 sogar einmal verwendete, als drei Jungfaschisten ihn in einer Trattoria ermorden wollten.
Lago war für verschiedene „High Tech-Firmen“ seiner Zeit tätig – Pratt and Whitney oder die Self-Changing Gears Ltd, dem Hersteller des Wilson-Vorwählgetriebe – und war bereits mit STD Motors in Kontakt gekommen, als er sie von der Qualität seiner Getriebe überzeugen wollte.
Lago übersiedelte 1933 nach Frankreich und übernahm 1935 die Automobiles Talbot S.A. samt Werk in Suresnes zum Schnäppchenpreis von £ 63.000,–. Um allfälligen Rechtsstreitigkeiten um Namensrechte zu entgehen (und wohl auch aus Eitelkeit) benannte er die neue/alte Marke in Talbot-Lago um und damit begann das wohl schillerndste Kapitel in der auch bisher nicht langweiligen Geschichte von Talbot. Antonio Lagos Sanierungskonzept war schlüssig: Sparmaßnahmen, Motorsport und Werbung – und die Rennwagen sollten möglichst nahe an den Serienautomobilen sein.
Am Automobilsalon von Paris im Jahre 1934 stahl Talbot noch kurz vor der Insolvenz mit zwei neuen Modellen allen anderen Herstellern die Show, den zwei Modellen mit Sechzylinder-Motoren von 3,0 (T120) resp. 4,0 (T150) Liter Hubraum.
Der Talbot T120 hatte einen von Walter Becchia (vermutlich basierend auf den Motoren von Roesch) entworfenen Reihensechszylinder mit obenliegen-den Ventilen, der aus 3,0 Liter Hubraum 90 PS lieferte und der über ein Wilson-Vorwählgetriebe – Antonio Lago war offenbar auch ein guter Verkäufer gewesen – die Kraft auf die Hinterräder abgab.
Traditionell bauten die Hersteller von Luxusfahrzeugen ein „running chassis“, also ein fahrfähiges Chassis mit Motor und schickten ihre Kunden dann zu einem Karosseriebauer ihrer Wahl, wo dann mehr oder weniger gelungene Aufbauten entstanden. Für den T120/T150 bot Talbot Werkskarosserien an, die ein Entwurf von Figoni & Falaschi waren, den Talbot verwendet durfte. Mit der Roadsterkarosserie erreichte der T120 eine Spitze von gut 145 km/h.
Nach der Übernahme waren der Talbot-Lago T120 und der Talbot-Lago T150 die ersten Modelle der „neuen“ Marke. Der Talbot-Lago T150 C („C“ für Competition) bot eine Fülle von leistungssteigernden Details wie größere Ölwanne, effizientere Bremsen und höhere Verdichtung.
Der T150 C wurde in zwei Versionen angeboten: Als Talbot T 150 C SS (Speciale Sport oder Super Sports) mit kurzem Radstand von 2,65 m und als Talbot Lago Speciale mit einem Radstand von 2,95 m und um 130 kg höherem Gewicht, der für luxuriöse Karosserien gedacht war. Allerdings war der Motor mit 140 PS so leistungsstark, dass auch der Talbot Lago Speciale fallweise im Motorsport eingesetzt wurde.
1937 schrieb der Typ Automobilgeschichte, denn beim Grand Prix von Frankreich (XXXI Grand Prix de l’Automobile Club de France) waren vier Talbot-Lago T150C am Start und belegten die Plätze 1, 2, 3 und 5. Ein Sportwagen gewinnt einen Grand Prix? Und das in der Epoche der dominanten Silberpfeile? Genau wegen diesen hatte der Automobile Club de France den Grand Prix am Autodrome de Linas-Montlhéry listigerweise als Sportwagenrennen ausgeschrieben …
Und das absolute Maximum der Baureihe war der Talbot T 150 C SS mit der „Goutte d’Eau“ (Wassertropfen) Karosserie von Figoni & Falaschi, der in nur elf Stück entstanden ist. Die Spitze lag bei 160 km/h und ein serienmäßiger „Goutte d’Eau“ war 1938 in Le Mans am Start und kam auf den dritten Gesamtrang. 2006 wurde ein „Goutte d’Eau“ bei einer Auktion um US$ 3.905.000,– zugeschlagen.
Da Talbot-Lago allerdings von Rennerfolgen und dem Verkauf einiger weniger Supersportwagen nicht leben konnte, kam 1936 der „kleine Bruder“ des T 150 Talbot-Lago T23 Baby – auf den Markt. Der (das?) Talbot-Lago Baby wurde wahlweise mit drei Motoren angeboten – die bewährten Drei- resp. Vierliter-Sechszylinder mit 90 resp. 105 PS und ein kleinerer Motor von 2,6 Liter Hubraum, der 75 PS leistetet. Abhängig vom Motor war er steuerlich als 15CV, 17CV oder 23CV eingestuft. Die Spitzengeschwindigkeiten mit Werkskarosserie wurden mit 130 km/h, 135 km/h resp,. 145 km/h angegeben.
Serienmäßig erfolgte die Kraftübertragung über ein manuelles Vierganggetriebe. Das Wilson-Vorwählgetriebe wurde optional angeboten. Ab Werk gab es das Talbo-Lago Baby als Roadster, als 2+2 Coupé oder als Cabriolet. Die Kunden konnten aber auch ein „Running Chassis“ erwerben und zum Karosseriebauer ihres Vertrauens gehen.
Die Typen T4 Minor, Cadette-15 und Major bezeichneten verschiedene Radstände und verschiedene Leistungsstufen.
Für das Grand-Prix Reglement von 1938 hatte Antonio Lago großes vor: Mit einem 4-Liter-V16-Motor sollten sechs Grand Prix-Wagen entstehen. Vom „Comité de la Souscription Nationale pour le Fonds de Course“ bekam Lago dafür – auf Basis einiger technische Zeichnungen – eine Förderung von 600.000 Francs, die er angeblich anderweitig verwendet haben soll.
Als der Wagen 1939 präsentiert wurde, hatte er einen auf 4,5 Liter vergrößerten Sechszylinder und entstand in zwei Typen – MC 90 und MD 90. MD 90 „Monoplace Décalée“ mit versetzter Fahrerposition und MC 90 „Monoplace Centrale“ mit zentralem Sitz.
Beim GP von Frankreich am 9. Juli 1939 waren drei Talbot – üblicherweise, wenn auch nicht ganz korrekt als T26 bezeichnet – am Start: Raymond Mays mit dem Talbot-Lago T26 „Monoplace Centrale“ und Philippe Étancelin und René Le Bègue mit zwei Talbot-Lago T26 „Monoplace Décalée“. Die beiden MD 90 kamen mit drei Runden Rückstand auf die Plätze 3 und 4, Raymond Mays fiel nach 10 (von 51) Runden aus. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs keine zwei Monate später lässt nur Spekulationen über weitere mögliche Erfolge des T26 – bleiben wir bei der Bezeichnung – zu. Nach 1945 war der Talbot-Lago Grand Prix auf jeden Fall bis Anfang der 1950er-Jahre auf den Rennstrecken im Einsatz und auch halbwegs erfolgreich.
Antonio Lago und Talbot-Lago kamen gut durch die Kriegsjahre und präsentierten nach Kriegsende den Talbot-Lago Record (1946) und den Talbot-Lago T26 Grand Sport (1947). Beide Typen hatten den 4,5-Liter-Motor aus den Vorkriegs-Rennwagen (von denen zumindest einer in einen Zweisitzer umgebaut wurde) und das Wilson-Vorwählgetriebe.
1950 konnte mit einem auf Zweisitzer umgebauten Vorkriegs-Monoposti das Vater-Sohn-Team Louis Rosier und Jean-Louis Rosier das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewinnen.
Zwei Jahre später sollte ein Talbot-Lago T26 GS mit Spyder-Karosserie als tragischer Held in die Annalen von Le Mans eingehen: Nach einer Solofahrt(!) fiel der Gentleman Driver Pierre Levegh eine Stunde und 10 Minuten vor Schluss aus – in Führung liegend!
Der Talbot-Lago T26 Record war ein großer Wagen, der als zwei- oder viertürige Limousine angeboten wurde. Die meisten hatten Werkskarosserien, aber einige wurden auch von externen Karosseriebauern eingekleidet. Die Motorleistung wurde mit 170 PS und einer Spitzengeschwindigkeit mit 170 km/h angegeben. Die Standard-Limousine wurde im Frühjahr 1948 um 1.250.000 Francs angeboten. Zum Vergleich: der Citroën 15-Six kostete 330.220 Francs, war also stärker im Preis gestiegen.
Knapp fünf Jahre später – auf der Paris Motor Show im Herbst 1952 – hatte der Talbot-Lago T26 Record eine moderne Pontonkarosserie und ein Preisschild von 2.250.000 Francs. Unser Referenzfahrzeug, der Citroën 15-Six kam allerdings jetzt auch auf 829.920 Francs, war also deutlich stärker im Preis gestiegen.
Die Bezeichnung Talbot-Lago T26 Grand Sport wird – wie bereits erwähnt – meist fälschlich – sogar hier – auch z. B. für die Le Mans-Wagen verwendet, die eigentlich umgebaute Grand Prix-Wagen waren. Der „echte“ Talbot-Lago T26 Grand Sport (oder auch „GS“) wurde 1947 präsentiert und nur 36 mal gebaut, oder genauer gesagt wurden 36 „running chassis“ gebaut, die alle von externen Karosseriebauern wie Pourtout, Figoni & Falaschi, Chausson, Saoutchik oder Ateliers Henri Chapron individuell nach Kundenwünschen gestaltet wurden. Kein Wunder, dass überlebende Exemplare heute gesuchte Raritäten und Seriensieger bei den großen Concours sind.
Angetrieben wurde der GS vom bekannten 4,5- Liter-Sechszylinder, der allerdings in der letzten Ausbaustufe 195 PS lieferte und für eine Spitze von 200 km/h gut war. Kein Wunder, dass der GS bei Rennen erfolgreich war, wobei – siehe oben – nicht immer klar ist, ob ein „echter“ GS oder ein umgebauter Grand Prix-Wagen in den Starterlisten stand.
Von Rennsiegen und Traumwagen allein kann ein Automobilhersteller nicht leben – in rund 25 Jahren war Talbot-Lago nicht weniger als viermal pleite – und so wurde im Juni 1951 der Name Talbot-Lago Baby wiederbelebt.
Das Baby der 1950er-Jahre hatte die Karosserie des Talbot Lago Record, aber mit einem Vierzylindermotor von 2,7 Liter und einer Leistung von 110 PS. Da es finanzielle und produktionstechnische Probleme mit dem Vierzylinder gab, wurde das Baby bald mit dem bewährten (= alten) 2,6-Liter-Sechszylinder ausgestattet. Der Talbot-Lago Baby wurde zwar von 1951–1953 alljährlich auf der Paris Motor Shows präsentiert, aber die Produktion war sehr limitiert.
Im Mai 1955 war es wieder einmal so weit: Antonio Lago präsentiert einen kleinen Talbot-Lago, der zum Volumsmodell der Marke werden sollte. Der Talbot-Lago T14 oder auch Talbot-Lago Sport war ein – verglichen mit allen anderen Modellen – kompaktes und modernes Coupé mit einem im Jahr zuvor präsentierten neuen Vierzylinder von 2,5 Liter Hubraum, mit zwei Nockenwellen, fünf Hauptlagern und einer Leistung von 120 PS. Es war sicher kein Zufall, dass der Motor perfekt in den Motorsport – 2,5 Liter ohne Kompressor – passen würde.
Der Prototyp hatte eine Alukarosserie, aber die Serienmodelle eine aus Stahlblech. Die Reaktionen der potentiellen Käufer waren bestenfalls „lauwarm“, denn unter der schönen Karosserie steckten ein Chassis aus den 1930er-Jahren und ein unzuverlässiger Motor.
Als allerletzten Versuch erwarb Talbot-Lago bei BMW einen ausgereiften V8-Motor (Stichwort: Barockengel), dessen Hubraum von 2.840 ccm auf 2.476 ccm – 14CV Steuerklasse! – verkleinert wurde. Gleichzeitig wurde der Talbot-Lago Sport auf Talbot-Lago America – womit klar war, wohin die neuen Wagen gehen sollten – umbenannt. Vom Talbot-Lago America fand ein rundes Dutzend Exemplare Käufer.
Jetzt hatte Antonio Lago genug und akzeptierte das Angebot von Simca-Präsident Henri Pigozzi, der schon länger auf das Werk in Suresnes spitzte. Im Sommer 1958 wurden die Verträge unterzeichnet und 1959 ging dann die Übernahme über die Bühne.
Das kürzeste Kapitel einer langen Geschichte
Mit der Übernahme im Jahre 1959 hatte Simca nicht nur – wie gewünscht – das Werk Suresnes bekommen, sondern auch die Markenrechte an der Marke Talbot und – aus Sicht von Simca vielleicht der unattraktivste Teil des Deals einige Talbot-Lago America, die ohne Motoren im Werk herumstanden.
BMW hatte wohl keine Intention Konkurrenten Simca mit Motoren zu beliefern, aber zum Glück hatte Simca selbst einen V8-Motor von 2.351 ccm im Programm. Dessen Wurzeln lagen in den 1930er-Jahren in Detroit, denn es war der „gute, alte“ Ford V8, der den von Ford France gebauten Ford Vedette angetrieben hatte und mit der Übernahme von Ford France an Simca gekommen war.
Dieser Motor kam also in die verbliebenen Talbot-Lago Americas, aber der Wagen mit Simca-Motor um 2 Mio. Francs war kein sehr verlockendes Angebot – zeitgenössische Quellen sprechen von fünf Stück. Simca nahm sich nicht einmal die Mühe, den Talbot-Lago America am Autosalon in Paris im Herbst 1959 zu zeigen. Lediglich ein „zusammengeschustertes“ Concept Car mit der Bezeichnung Simca-Talbot erinnerte an den einst großen Namen, und dieses Concept Car sollte nach dem Autosalon nie wieder auftauchen.
Von der Marke Talbot war in Poissy, dem Hauptsitz von Simca, nicht mehr die Rede …
Die Großen fressen die Kleinen
1958, also genau im Jahr der Übernahme von Talbot durch Simca, erwarb Chrysler, der kleinste der „Großen Drei“ aus Detroit, von Ford jene 15% an Simca, die Ford einst gegen Ford France abgetauscht hatte.
General Motors hatte 1929 Opel (und bald darauf Vauxhall) erworben, Ford hat eine erste Tochter in England 1909 gegründet – nur Chrysler hatte kein Standbein in Europa.
1963 erhöhte Chrysler seinen Anteil an Simca auf 64% und in weiterer Folge auf 77%. 1964 Übernahm Chrysler die britische Rootes Gruppe und 1967 wurden die beiden europäischen Töchter zu Chrysler Europe zusammengeschlossen, womit wieder einige Marken aus der Geschichte von Talbot unter einem Dach vereint waren.
Allerdings nicht für lange, denn bereits 1977 kam das (ungeplante) Ende von Chrysler Europe. In den USA war Chrysler in finanzielle Turbulenzen geraten und stand kurz vor der Insolvenz. Der neue Vorstandsvorsitzende Lee Iacocca machte sich daran, das Familiensilber zu verkaufen. Die profitable Rüstungssparte „Chrysler Defense“ (wo unter anderem der M60 Kampfpanzer gebaut wurde) ging 1982 um knapp US$ 350 Mio. an General Dynamics und wurde in „General Dynamics Land Systems“ umbenannt. Die ohnedies ungeliebte Europa Tochter 1978 um einen symbolischen Preis von US$ 1,– (plus Übernahme der Schulden) an Peugeot.
Was tun mit Chrysler, Simca, Sunbeam oder Matra?
Peugeot hatte sich um den einen Dollar jede Menge wertvolle Produktionskapazität gekauft, aber auch eine bunt zusammengewürfelte Modellpalette von – teilweise – veralteten Fahrzeugen.
Peugeot fand „in irgendeiner Schublade“ die Rechte an der Marke Talbot, die nach 20 Jahren ohne ein einziges Talbot-Modell ein weitgehend unbeschriebenes Blatt war, und machte sich daran, alle zugekauften Baureihen auf Talbot umzufärben. Neue Modelle, die bei Simca, Chrysler oder Sunbeam in Entwicklung gewesen waren, kamen gleich als Talbot – oder im Fall des letzten Simca als Peugeot 309 auf den Markt.