Urgestein
Autor: Hannes Denzel
Bock & Hollender 3 ½ PS Einzylinder 550 ccm, Baujahr 1905
Österreich, ein Motorradland! Das aber – bis zum unrühmlichen Ende und Verkauf der Marke – von einem Hersteller dominiert wurde: Puch! Vor allem in der Zwischenkriegszeit gab es aber etliche Mitbewerber. Vom Hinterhofschmied, der nach Auftrag Einzelstücke anfertigte bis zu Fabriksunternehmen mit umfangreicher Modellpalette wie Delta Gnom – deren 100-jährigen Geburtstag wir ja heuer, 2024, feiern dürfen. Aber auch schon in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war Puch beileibe nicht der einzige Anbieter – selbst wenn wir die böhmischen Hersteller mit der Speerspitze Laurin & Klement weglassen, die damals noch der Donaumonarchie angehörten.
„So viele Zeitzeugen der österreichischen Motorradgeschichte sind aber verschwunden, weil sie nicht erkannt wurden … nicht gekauft wurden … keine Interessenten fanden … Teile, die etliche Male von Verkaufsprofis vergeblich auf Oldtimermärkten angeboten wurden, verschwanden schlussendlich in der Schrottpresse … unnützer Ballast … wozu den mitschleppen, wenn man doch mit einer halbdurchrosteten Tankhälfte einer 175er Puch mehr Umsatz machen kann, als mit einem kompletten Motorrad, auf dem „Monthlery“ oder „Vylea“ steht? Und von dem die Mehrzahl der potentiellen Käufer glaubt, das sei was Französisches, oder – gottbewahre – was Tschechisches?
Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich ein neues Verständnis entwickelt, werden seltene österreichische Motorräder – jetzt eben auch und gerade solche, die nicht Puch heißen – gesucht, gesammelt, restauriert und erhalten. Sie tauchen auf wie Phönix aus der Asche. Und – sie werden auch wieder bewegt.“
So steht es im Vorwort des Buches „Regenten, Giganten und Titanen – österreichische Motorradraritäten der Vorkriegszeit“ (erschienen im Verlag Hollinek), das sich mit den heimischen Motorradmarken neben Puch beschäftigt. Und in dem auch die Firma vorgestellt wird, die das hier vorgestellte Urgestein hergestellt hat. Wir zitieren:
„Regent: eine Marke des Herstellers Bock & Hollender. Gegründet wurde das Unternehmen 1896 als Fahrrad- und Zubehörhandlung von Heinrich Bock (der schon nach nur einem Jahr aus der Firma ausstieg) und seinem Teilhaber, Herrn Franz Hollender. Mehr als diese beiden interessiert uns aber Ferdinand Trummer, ein ehemaliger Lokomotivführer und daher mit praktisch-technischer Begabung gesegnet. Er konstruierte im Auftrag der obengenannten Herren ein Fahrrad, das den Namen Regent erhielt. Noch im selben Jahr entwarf Trummer ein motorisiertes Gepäckdreirad, 1899 dann ein Automobil. Das erste Motorrad kam 1903 oder ’04 und wurde von einem Einzylindermotor mit 2 ¾ PS angetrieben. 1905 wurde die Leistung auf beiwagentaugliche 3 ½ PS angehoben, dazu kamen zwei weitere Modelle: eine Reihen-Vierzylinder à la FN und eine Zweizylinder mit V-Motor. Beide waren völlig unterschiedlich konzipiert, mit Ausnahme der Schaltung im Hinterrad. Hatte die Vierzylinder Kardanantrieb, vertraute die Zweizylinder auf den herkömmlichen Flachriemen und kam insgesamt etwas sportlicher daher. Von der Vierzylinder ist – hier kommt das vielstrapazierte Verb „angeblich“ ins Spiel – ein einziges Exemplar erhalten geblieben, allerdings verborgen vor der Öffentlichkeit, und auch vom V2-Zylinder ist nur ein erhaltenes Exemplar belegt. Lediglich vom Einzylindermodell sind noch mehrere Stück bekannt.“
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buchs bezogen sich die „mehrere Stück“ primär auf das 2 ¾ PS-Einzylindermodell mit 300 ccm Hubraum aus dem Museum Krems Egelsee und einige Fragmente in privaten Händen. Aus einer dieser Teilesammlungen ist dank der Initiative Manfred Eilers in Vorarlberg wieder eine fahrbereite Bock & Hollender entstanden, ein 3 ½ PS-Modell mit einem Hubraum von 550 ccm aus dem Jahr 1905. Das belegen der lange Radstand, die verstärkte Gabel und vor allem die eigenartige Befestigung des Motors an Flanschen zwischen vorderem Rahmenunterzug und Sattelrohr. Zündmagnet, Vergaser (der übrigens im eigenen Haus konstruiert und hergestellt wurde) und Ventilsteuerung waren vor dem stehend angeordneten (Sack-)Zylinder angebracht. Flachriemen, Bandbremse und Tretkurbel mit Kette zum Anwerfen des Motors waren damals Standard. Die Karbidbeleuchtung gehörte nicht zum Lieferumfang ab Werk, wurde entweder vom Händler bestückt oder vom Kunden nachträglich angebracht. Die Motornummer 204 lässt Rückschlüsse auf den Output der Firma Bock & Hollender Kraftfahrzeugfabrik in Wien III zu, die 1911 die Herstellung von Motorrädern schon wieder einstellte.
„So viele Zeitzeugen der österreichischen Motorradgeschichte sind aber verschwunden, weil sie nicht erkannt wurden“ haben wir weiter oben in diesem Artikel schon erkannt. Unser Fotomodell ist der lebende Beweis dafür, denn sie hatte ihr ursprüngliches Erscheinungsbild, auch den Markennamen schon abgelegt gehabt, hat sogar eine völlig neue Identität angenommen. 1935 wurde sie – bereits 30 Jahre alt – von einem Herrn Leopold Horky aus Mödling modernisiert, mit vielen An- und Umbauten versehen – und so unter eigenem Namen einer neuen Genehmigung zugeführt. Das im noch erhaltenen Typenschein angeheftete Foto zeigt sie im damaligen Zustand. Gut darauf zu erkennen ist der FN-Satteltank, der wohl Schuld daran war, dass die „Horky“ später in die Hände eines Sammlers der belgischen Traditionsmarke kam, der sie wiederum nach Köln in Deutschland verkaufte. Dort wurde sie in Folge zerlegt und die noch vorhandenen Bock & Hollender-Originalteile ausgesiebt, um sie wieder zurück nach Österreich zu verkaufen. Über zwei weitere Hände kamen die dann endlich als um weitere Komponenten angewachsene Teilesammlung in die Hände Manfred Eilers. Was der damit anstellte, sehen wir hier auf den Fotos.
Manfred hat die Maschine seit der Restaurierung schon seit einigen Jahren im Einsatz und hat dabei etliche Kilometer auf den nicht vorhandenen Tacho geschrieben. Unsere Bilder sind bei der Kaiserzeitausfahrt in Haag an der Amper und der FranzJosefsFahrt in Bad Ischl entstanden, bei der er seit der ersten Austragung zu den gern gesehenen Stammgästen gehört.