Europas höchste Flugschau

Autor: Jürgen Schelling


Wer diese Parade fliegender Oldies noch einmal erleben wollte, musste hoch hinaus in die Alpen – auf den 1900 Meter hohen Stanserhorngipfel in der Schweiz

Das Faszinierende für Flugzeugfans Mitte Juli auf dem 1900 Meter hohen Stanserhorn inmitten der Zentralschweiz: Über, seitlich und sogar unterhalb des Alpengipfels fliegen etliche wunderschöne Oldtimer vorbei. Das Ganze nennt sich Air-Parade. Es bietet für Zuschauer ebenso spektakuläre wie ungewohnte Perspektiven. Denn für Flugzeuge ist üblicherweise außerhalb von Ortschaften aus Sicherheitsgründen ein Abstand von mindestens 150 Meter zum Boden vorgeschrieben. Am steil abfallenden Stanserhorn ist das überhaupt kein Problem. Deshalb fliegen die Maschinen auf Augenhöhe mit den Zuschauern an der Aussichtsterrasse und auf dem Gipfel vorbei.

Bereits zu Beginn kommt eine Douglas DC-3 oder genauer ihre Militärversion C-47 Dakota mit gewaltigem Sound aus zwei je 1200 PS starken Doppelsternmotoren angerauscht. Das Vielzweckflugzeug aus den 1940er-Jahren zählt zu den absoluten Ikonen in der Luftfahrt. Einige Exemplare sind bis heute in Südamerika im regulären Linieneinsatz als Passagier- oder Frachtflieger. Einschließlich Lizenzbauten wurden unglaubliche 16.000 Exemplare der C-47/DC-3 produziert. Selbst in Action-Szenen des James-Bond-Streifens „Ein Quantum Trost“ hat es eine C-47 Dakota geschafft, die anders als ihre Schwester DC-3 ihre Einstiegstüre hinten im Rumpf auf der Pilotenseite links und nicht wie die zivile Version rechts hat.

Drei Doppeldecker in Formation sind anfliegende Bücker. Der Flugzeughersteller aus dem deutschen Rangsdorf südlich von Berlin war in den 1930er-Jahren der international bekannteste Hersteller von Kunstflug-Doppeldeckern. Unzählige Meisterschaften nicht nur in Europa wurden während dieser Ära von Piloten auf den beiden legendären Typen Bü 131 Jungmann oder Bü 133 Jungmeister gewonnen. Bücker-Flugzeuge sind präzise zu fliegen, voll kunstflugtauglich, aber auch als Schulflugzeuge nutzbar. Beide Muster wurden in Rangsdorf nach 1935 in Serie gebaut. Lizenzbauten entstanden über Jahrzehnte hinweg, Nachbauten bis heute. Der Zweisitzer Jungmann zählt in der Schweiz ebenso wie in Österreich zu den beliebtesten Oldtimerflugzeugen. Gleich drei Bücker – eine einsitzige Jungmeister mit Sternmotor flankiert von zwei Jungmann mit Reihentriebwerken – rauschen im engen Formationsflug an den Zuschauern vorbei.

Mit den nächsten Klassikern geht es auf eine Zeitreise in die Anfänge der Aviatik. War bei früheren Airparaden noch die britische deHavilland Gipsy Moth mit Baujahr 1931 der Methusalem, so wurde sie dieses Jahr gleich zweimal von US-Oldies übertrumpft: Die seltene Travelair E-4000, ein Dreisitzer-Doppeldecker mit offenem Cockpit und 250 PS starkem Sternmotor, ist sogar noch zwei Jahre älter. Ähnlich betagt, aber mit Baujahr 1930 immerhin ein Jahr jünger ist die Stinson SM-8A Junior. Der Hochdecker mit geschlossener Kabine war einst ein Verkaufsschlager in den USA. Rund 300 Exemplare wurden damals gebaut. Der Preis in den 1930er-Jahren: 5775 US-Dollar. Beide nun fast 100-jährigen Klassiker umrunden den Gipfel im vollendeten Formationsflug.

Aus eidgenössischer Produktion von Pilatus schaut zunächst eine Pilatus P-2 vorbei. Auch zwei ihrer Nachfolger vom Typ Pilatus P-3 sind in enger Formation zu sehen, die ihre Vorführung jeweils mit einem Smokesystem für Rauch zusätzlich optisch hervorheben.
Auch ein mächtiger Boeing-Columbia 107-II Vertol-Hubschrauber begeistert die Zuschauer mit seiner Vorführung. Der auffällig rot-weiß lackierte Riese mit Tandemrotor wurde bereits 1963 gebaut und fliegt seit vergangenem Jahr Schwerlasttransporte für ein Schweizer Helikopterunternehmen. Der generalüberholte Oldie ist der größte zivile Heli in Europa und noch ständig im Arbeitseinsatz.

Ein Klassiker des britischen Herstellers DeHavilland ist der frühe Airliner Dragon Rapide. Der Doppeldecker aus den 1930er-Jahren kommt vom fliegenden Museum „Luftraum Süd“ am deutschen Flugplatz Aalen-Elchingen. Die zweimotorige Dragon Rapide wurde ab 1934 als Kurzstrecken-Verkehrsflugzeug für sechs bis acht Passagiere angeboten und erwies sich als riesiger kommerzieller Erfolg. Mehr als 700 Exemplare wurden gebaut. Am Stanserhorn präsentiert sich die Dragon Rapide als entspannter Cruiser.

Ebenfalls zweimotorig, aber größer und schneller als der alte Brite, kommt das neben der C-47 größte Flugzeug kurz vor Schluss der Air-Parade. Es ist die legendäre Douglas DC-3. Die 1943 gebaute Maschine hat fast 29 Meter Spannweite und kann neben den beiden Piloten bis zu 16 Passagiere mit etwa 260 km/h befördern. Der am Schweizer Flugplatz Grenchen stationierte Ex-Airliner mit Einziehfahrwerk begeistert die Zuschauer durch seine hochglanz-polierte Aussenhaut und wunderbar dynamisch geflogene Manöver rings um den Gipfel.

Das mit Abstand schnellste Flugzeug und krönender Abschluss ist eine Douglas A26 Invader, die als Überraschungsgast erscheint. Der zweimotorige Ex-US-Schnellbomber aus der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde einst von einer US-Firma aufwändig zum extravaganten Geschäftsreiseflugzeug mit Toilette, Bar und Platz für mehrere Passagiere modifiziert. Erst vor kurzem wurde die Maschine umfangreich restauriert. Was trotz des Umbaus gleich bleibt ist ein unglaublicher Sound, enormes Speed sowie eine spektakuläre Vorführung überm Stanserhorn.

Alle Piloten genießen die Möglichkeit, ihre Klassiker in dieser atemberaubenden Kulisse präsentieren zu dürfen. Die Oldies bei ihren Vorbeiflügen sind angesichts einer Vorbeiflughöhe von 2000 Meter und der unvergleichlichen Bergkulisse spektakulär anzusehen. Organisator Ernst Frei, als Ex-Captain der Schweizer Lockheed Super Constellation „Star of Switzerland“ ohnehin Oldtimer-affin, gibt zu jedem Flugzeug samt Piloten via Lautsprecher Informationen sowie Anekdoten zum Besten. Und so ist die Air-Parade für alle Beteiligten ein unvergessliches Erlebnis.

Leider war es nach mehr als einem halben Dutzend Airparaden in den vergangenen zehn Jahren jetzt das letzte Mal, dass sie stattfand.


 

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