Wilde Maus
Autor: Alexander Korab
Ein Fiat-Siata 500 Sport feiert 85. Geburtstag
Die Mille Miglia zählt neben Le Mans, der Monte und Paris-Dakar wohl zu den berühmtesten Langstreckenrennen der Motorsportgeschichte. Sie wurde ab 1927–1957 veranstaltet und hat wesentlich dazu beigetragen, die Italiener für den Motorsport zu gewinnen, um es einmal ganz unprätentiös auszudrücken. Hunderte Kilometer der Strecke waren gesäumt von Zuschauern, die bei der großen Show dabei sein wollten. Sie tobten vor Begeisterung, wenn einer der Ihren auf einem italienischen Fabrikat über die Ziellinie schoss. Aber nur wenige konnten sich einen Alfa Romeo leisten, einen Lancia oder einen Ferrari. Da haben viele einen Fiat Balilla fit gemacht oder einen Topolino ausgeräumt, um sich zumindest einen Klassensieg zu holen. Vielleicht war auch Caesare Rollo aus Rom ein Mille-Fan, aber so genau weiß man das nicht. Jedenfalls kaufte er im Krieg einen gebrauchten Fiat 500 mit Fetzendach (Trasformabile) Baujahr 1940, der schon zwei Besitzer gehabt hatte. Vielleicht hat ihn ein Freund aus Apulien überredet, an der Mille Miglia teilzunehmen und den Topolino für das Rennen zu optimieren. Möglicherweise haben sie zusammengelegt und bei der bekannten Tuningfirma „Siata“ in Turin einen Querstromkopf bestellt. Der „Super-Testa“ verwandelte das seitengesteuerte Motörchen des Fiat 500 mit 14 PS in ein heißes OHV-Aggregat mit hängenden Ventilen und einer Leistung von über 20 PS. Damit konnte man ein Tempo von über 100 km/h fahren, was für einen Kleinwagen damals schon ganz ordentlich war. Das ist allerdings alles Hypothese. Sicher wissen wir nur, dass ein Topolino mit Fahrgestellnummer 500*072869 ab 1944 einem Caesare Rollo gehört hat und eben genau dieses Auto als „Fiat Siata 500“ mit Startnummer 162 und dem Fahrer Pierri Lucatelli aus Taranto auf der Starterliste der Mille Miglia 1947 stand. Was dann geschah, kann heute niemand mehr sagen. Gewonnen wurde dieses Rennen bekanntlich vom Team Romano/Biondetti auf Alfa Romeo 8C 2900B Berlinetta Touring, gefolgt von Nuvolari/Carena auf Cisitalia 202 SMM und Bernabei/Pacini auf Cisitalia 202 SMM „Cassone“. Die Startnummer 162 sucht man auf der Ergebnisliste vergeblich. Entweder ist das Auto irgendwann ausgefallen, was offenbar niemand kommentiert hat, oder es ist gar nicht zum Start erschienen. Die Sache wird wohl für immer im Dunkel der Geschichte verborgen bleiben.
Es gibt originale Papiere zu diesem Fahrzeug, welches heute gar kein richtiger Topolino mehr ist. Insgesamt 19 Besitzer sind seit 1940 eingetragen und man kann nur vermuten, dass es ein gewisser Giovanni Alvasini aus Tivoli bei Rom war, der sich mit dem frisierten Topo auf den Weg nach Turin machte, um bei Siata eine neue Karosserie fertigen zu lassen. Jedenfalls passt der hübsche Barchetta-Body aus Aluminium, mit dem das Auto heute ausgestattet ist, stilistisch genau in diese Epoche. Alvasini besaß das Auto von 1950–1958. Aber auch das ist Hypothese und man weiß nicht, wann genau, warum und zu welchem Zweck der Fiat neu eingekleidet wurde.
Siata (Società Italiana Applicazioni Trasformazioni Automobilistiche) war 1926 von Giorgio Ambrosini gegründet worden. Es war der älteste Tuningbetrieb Italiens und lieferte zunächst nur spezielle Zylinderköpfe für Fiat-Modelle wie etwa den „Super-Testa“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bei Siata auch Sonderkarosserien und komplette Fahrzeuge hergestellt. Mitte der 1950er-Jahre umfasste die Modellpalette 13 verschiedene Typen, vom Kleinstwagen bis zum Supersportwagen mit V8-Motor.
Nachdem unser Fiat 500 zum Siata geadelt worden war, verblieb er die nächsten 25 Jahre im Raum Rom, ohne weiter aufzufallen. Sein 15. Besitzer brachte ihn Anfang der 1980er-Jahre nach Rovigo in die Provinz Venetien – wahrscheinlich schon mit der Absicht, ihn einmal bei der Historischen Mille Migla einzusetzen. Rovigo liegt an der SS16, die von Padua nach Ferrara führt – ein klassisches Teilstück der Mille Miglia-Strecke. Es sollte jedoch noch ein paar Jahre dauern, ehe es so weit war. 1994 stand der Fiat-Siata 500 Sport schließlich ein weiteres Mal – diesmal mit Startnummer 120 – auf einer Starterliste der Mille Miglia. Mit dem Fahrerteam Vago/Niggi sah er diesmal auch das Ziel und landete auf dem ehrenvollen 187. Platz. Seither sind 30 Jahre vergangen und der Wagen feiert demnächst seinen 85. Geburtstag. Das wäre doch ein würdiger Anlass für einen dritten Start bei der Mille Miglia.