Seniorenausflug

Autor: Hannes Denzel


BMW 328 und Veritas RS feiern Geburtstag am Attersee

Das Salzkammergut und seine Seen: kleine und größere Gewässer, eingerahmt von pittoresken Gebirgszügen – tief und unergründlich wie der Traunsee, geschichtsträchtig wie der Hallstättersee, sagenumwoben wie der Toplitzsee. Etwas aus dem Rahmen fällt der Attersee, der für viele der als stur verschrienen Einheimischen gar nicht mehr zum Salzkammergut gehört, jedenfalls aber am Rand desselben liegt. Zwar wird auch die Südostseite noch von massiven Gebirgszügen des Höllengebirges eingesäumt, die Westseite zeichnet sich aber durch eine sanfte Hügellandschaft aus, die in den Salzburger Flachgau und ins Hausruckviertel übergeht. Diese Gegend ist wegen ihrer Lieblichkeit besonders bei Touristen beliebt und wenn man auf der schmalen Straße direkt am Seeufer unterwegs ist, trägt jedes zweite Auto, das einem im Sommer entgegenkommt, ein deutsches Nummernschild.
 

Ein ganz besonderes Exemplar mit D-Kennzeichen war im Frühjahr 2023 für längere Zeit im Attergau zu Gast. Um sich hier von der belastenden Restauration zu erholen, quasi als Fitnesstest an Oldtimerveranstaltungen teilzunehmen (dem Nussdorfer Bergpreis und der Salzkammergut-Nostalgia), vor allem aber, um hier seinen 85ten Geburtstag zu feiern. Wir sprechen von einem BMW 328 aus dem Jahr 1938, dem die Gegend bei Kurzausflügen auf den schmalen, landschaftlich reizvollen und mit vielen Kurven und Kehren ausgestatteten Kleinstraßen (wir durften ihn dabei mit der Kamera begleiten) so gut gefallen haben muss, dass er bei seiner Rückkehr ins Münchner „Seniorenwohnheim“ seinem Zimmergenossen davon erzählt haben muss: denn nur ein paar Wochen später hat auch der – ein Veritas RS 2 Liter – am Attersee vorübergehend Quartier bezogen. Auch er hat hier bei Ausflügen seinen Geburtstag gefeiert – er ist ein rüstiger 75er – auch ihn durften wir dabei mit der Kamera begleiten.

Die beiden Autos verbindet aber mehr außer Geburtstagen und den gemeinsamen Besitzer: sie sind auch verwandtschaftlich verbandelt. Die Geschichte sowohl des 328er BMWs als auch seines Epigonen, des Veritas, sind in vielen Büchern und Artikeln gut dokumentiert, sollen hier also nur in kurzen Worten erzählt werden:

Nach dem zweisitzigen Wartburg Sport und dem 315/1 war der 328er der erste international erfolgreiche Zweisitzer-Roadster aus dem Hause BMW. Allerdings keine reine Neuschöpfung, sondern die Weiterentwicklung des ebenfalls sportlich eingesetzten 319/1. Gebaut wurde er im Werk Eisenach. Seine Premiere feierte er 1936 gleich mit einem Sieg auf der Nürburgring Nordschleife, am Steuer der bekannte Motorrad-Renn- und Rekordfahrer Ernst Jakob Henne. Kein Geringerer als BMWs Chefkonstrukteur Rudolf Schleicher hatte sich den 319er und später den 326er Sechszylindermotor vorgenommen, ihn mit einem Zylinderkopf aus Leichtmetall mit im halbkugeligen Brennraum hängenden Ventilen und drei 30er Solex Fallstrom-Vergasern versehen – die Leistung des nur 830 Kilo leichten, erstmals hydraulisch gebremsten Supersportlers stieg damit von 50 auf 80 PS bei 4500 Umdrehungen. Seine Höchstgeschwindigkeit wurde mit 150 kmh angegeben – in der käuflichen Straßenversion. Handling, Leistung und Leichtbau waren damals Trumpf, um zu gewinnen. 462 Stück des zweisitzigen BMW-Sechszylinder-Supersportwagens wurden zwischen 1937 und 1940 ausgeliefert – eingeschlossen die drei Rennprototypen aus dem Jahr 1936 und diverse Superleggera-Variationen für die Mille Miglia sowie das Kamm Stromlinien-Coupé.

Nach 1939 bestimmten andere Fahrzeuge das Verkehrsgeschehen, an die Herstellung von Sport- oder gar Rennwagen war nicht zu denken – die deutschen Autohersteller waren zu Rüstungsbetrieben umfunktioniert worden und viele davon wurden von den Alliierten Bombern in Schutt und Asche gelegt. Aber kaum war der Krieg vorbei, brach bei vielen gleich wieder das Rennfieber aus, obwohl kaum mehr geeignete Infrastruktur dafür vorhanden war. Um solche neu erstehen zu lassen, schlossen sich ein paar Herrschaften zu einer Art Firma zusammen, die sie „Veritas-Arbeitsgemeinschaft für Sport- und Rennwagenbau“ nannten. Die ARGE bestand aus Ernst Loof – vor dem Krieg Rennleiter des BMW-Werksteams, selbst Rennfahrer und Motorentuner – dem ehemaligen kaufmännischen Leiter des BMW-Werks Allach, Lorenz Dietrich, dem Radrennfahrer Ernst Miethe und dem hauptsächlich auf zwei Rädern erfolgreichen Rennfahrer, TT-Sieger und Europameister Georg „Schorsch“ Meier.

1947 stellte die Arbeitsgemeinschaft ihr erstes Produkt vor, einen Rennwagen mit Aluminiumkarosserie auf dem Fahrgestell eines Vorkriegs-BMW 328 samt dessen getuntem Motor (wahlweise mit 1,5 und 2 Liter Hubraum), weshalb als Name auch BMW-Veritas auf seiner Schnauze prangte. Der Wagen bewies sich bei ein paar kleineren Rennen 1947, hatte seinen ersten großen Auftritt im Mai 1948 auf dem Hockenheimring, wo Karl Kling in der Sportwagenklasse und Schorsch Meier bei den Formelfreien gewinnen konnten. Dadurch wurde das BMW-Management in München aufmerksam und reagierte mit einem Verbot der Namensnennung. Ab da hießen die Autos Veritas RS, was natürlich für Rennsport steht. Schorsch Meier errang damit noch den Titel eines Deutschen Formel 2-Meisters, zog sich im Verlauf des Jahres aber aus dem Unternehmen zurück. Für ihn kam Jean-Baptiste Lefêbvre, ein französischer Offizier. Er half, so manche behördliche Hürde zu nehmen, weshalb das in eine GmbH umgewandelte Unternehmen stark expandieren und zu einer echten Macht vor allem im deutschen, aber auch internationalen Rennsport werden konnte. Neben den Rennwagen wurden aber auch straßentaugliche Coupés und Cabrios hergestellt, die teilweise mit Heinkel-Motoren versehen waren. Der Rest ist Geschichte, die aber schon im Jahr 1950 mit einem Konkurs endete.

Aber wenden wir uns den Geburtstagskindern zu: unser 328er BMW stammt also aus dem Jahr 1938, sein Lebenslauf ist lückenlos dokumentiert. Weil ihn der Erstbesitzer bei Wettbewerben einsetzen wollte, wurde er bereits vom Werk mit dem auf 130 PS leistungsgesteigerten Motor, größeren Duplexbremsen und einem unmittelbar hinter den Sitzen eingebauten Renntank mit 100 Liter Volumen ausgestattet. Zeitgenössische Bilder zeigen ihn bei Rennen mit zwei Reservereifen am Buckel. Weil die Bilder in SW sind, kann man die graue Farbe nur erahnen, aber erhaltene Lackreste belegen, dass er nach der Restaurierung wieder den Farbton wie bei der Auslieferung trägt.

Während des Krieges dämmerte der Wagen unbenutzt in einem sicheren Versteck, wurde erst nach Ende der Weltschlacht wieder entdeckt und vermutlich von einem englischen Besatzungssoldaten nach Großbritannien verschleppt. Dort setzte sich seine Rennkarriere fort, bis Mitte der 60er-Jahre musste er seine Leistungsfähigkeit bei den in GB so beliebten Hillclimbs unter Beweis stellen, eine Art Kurzstreckensprint hinauf auf englische Hügel. Danach wurde er neuerlich abgestellt und verfiel wieder in Dämmerschlaf wie das Dornröschen im Märchen.

Der Prinz kam in den 90er-Jahren, sein Kuss war aber halbherzig und ließ den Supersportler wie ein aus der Mode geratenes Gebrauchtfahrzeug aussehen. Fahrtauglich musste er scheinbar nur deshalb sein, um auf Achse zu einem Händler gebracht zu werden. Der fand einen Käufer in Deutschland, so richtig erbarmt hat sich seiner aber erst der aktuelle Besitzer, der ihm vor einigen Jahren in Österreich eine radikale Frischzellenkur angedeihen ließ, in deren Zug der zwischenzeitlich in Blau umgefärbte Wagen auch wieder das originale Grau verpasst bekam. Wichtig war hierbei die maximale Originalität, alle noch vorhandenen Spuren der Zeit sollten erhalten bleiben. Dazu gehörten die gestempelten Karosserie- sowie auch Anbauteile, welche alle die selbe zwei- oder dreistellige Nummer tragen. Sie wurden mühevoll aufgearbeitet, die Lufthutze auf der Motorhaube instand gesetzt, der niedriger gesetzte spezielle Motor und Getriebe (was ein Ankurbeln nicht mehr möglich machte, weil die Rahmenöffnung nun zu hoch war) komplett überarbeitet. Das Zugeständnis zum Original erstreckte sich hin auf die alten noch vorhandenen Ribe-Schrauben bis zu Metallbindern und dergleichen. In diesem Zustand präsentierte sich der BMW unserer Kamera bei einer ausgiebigen Fotosession in seinem ureigenen Terrain, nämlich einer Bergstrecke – auch wenn die am Attersee liegt und nicht am Semmering oder in Worcestershire wie der legendäre Shelsley Walsh Hillclimb. Eine Strecke nur 910 Meter lang (1000 Yards), die schon im Jahr 1905 erstmals himmelwärts berast wurde – und heute immer noch wird …

Der Veritas RS stammt aus 1948 und wurde seinerzeit an den Schweizer Rennfahrer Hans Schuler ausgeliefert. Seine Rennhistorie ist im Original belegt und umfasst fünf Ordner mit Schriftverkehr und reicht aktiv bis in die 50er- Jahre. Schuler hat den Wagen mit wechselnden Motoren sowohl in der Formel 2 (für 1,5 Liter- Fahrzeuge) als auch bei den Formelfreien (bis 2 Liter) eingesetzt, auch viele Siege vor allem in seinem Heimatland sind belegt. Mit einem geringen Kampfgewicht aufgrund diverser Manipulationen am Fahrgestell von nur 680 Kilogramm und einem auf 140 PS bei 5.500 U/min leistungsgesteigerten Motor, konnte man in der Nachkriegszeit jederzeit in die vorderen Ränge fahren, egal ob auf der Rundstrecke oder bei Bergrennen. In den 50er-Jahren wurde der Wagen vom aktiven Rennen freigestellt, er taucht in den 70er-Jahren bereits als Oldtimer wieder auf. In den 90er-Jahren ist ein weiterer Besitzerwechsel nachweisbar, der Wagen wurde danach nur technisch restauriert und bei verschiedenen Oldtimerrennen und -treffen wieder interessiertem Publikum vorgeführt. Beulen, Dellen und Risse zeigen im Kleid seine sportliche Vergangenheit ebenso wie die Aufkleber am Wagen vom Eifelrennen, Treffen der Legenden am Nürburgring, der Paul Pietsch Klassik, usw. Am Attersee allerdings war er rein privat. Wenn auch er die Gegend weiterempfiehlt, wer wird uns dann in der nächsten Saison im Salzkammergut besuchen?


 

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