Von der U-Bahn ins Museum
Autor: Christian Klösch (TMW)

Die „Mercury-Raumkapsel“ auf neuer Mission
Exakt 11.050 Tage hing die „Mercury-Kapsel“ im Schachtbereich zwischen den Aufzügen in der U-Bahnstation Schweglerstraße. Am 4. Dezember 2024 ging diese Mission zu Ende. Sie landete wieder gut im Museum und wird nun für ihren nächsten Auftrag vorbereitet – eine Ausstellung im Technischen Museum Wien. Mit der „Mercury“ sollen wichtige Momente und Meilensteine der Raumfahrtgeschichte wieder lebendig werden.
Die „Mercury-Kapsel“ des Technischen Museums Wien ist zwar nie ins Weltall geflogen, dafür ist sie aber ein originalgetreues, sehr detailreiches Mockup-Modell aus Holz und Metall im Maßstab 1:1. Mit einem Durchmesser von 1,8 m ist sie 4,3 m hoch, zusammen mit der roten Rettungsrakete erreichte sie eine Gesamthöhe von stattlichen 7,5 m. Im Cockpit mit seiner Instrumententafel befindet sich auch eine mit einem Raumanzug bekleidete Puppe. Das Modell kam am 12. Dezember 1964 zunächst als Leihgabe ins Museum und wurde später als Geschenk der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Wien an das Technische Museum übergeben.
Die 1960er- und frühen 1970er-Jahre waren eine Hochzeit von Raumfahrtausstellungen im Technischen Museum Wien und bei keiner durfte die „Mercury-Kapsel“ fehlen. Diese Zeit war geprägt vom „Space Race“ zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Zunächst hatte die östliche Supermacht bei der „Eroberung“ des Weltraums die Nase vorn. Der erste Satellit „Sputnik“ und die Hündin Laika starteten bereits 1957 ins All und Juri Gagarin (1934–1968) umrundete im April 1961 als erster Mensch die Erde. Die USA hinkten zu dieser Zeit der UdSSR immer hinterher. Das „Mercury-Programm“ von 1958–1963 war daher für die USA von großer Bedeutung.
Das Mercury-Programm – der Beginn der amerikanischen Raumfahrt Mit einer „Mercury-Kapsel“ flogen nicht nur der Rhesusaffe Sam im Dezember 1959 oder der Schimpanse Ham im Jänner 1961, sondern auch die ersten menschlichen Amerikaner ins All: Am 5. Mai 1961, wenige Wochen nachdem Juri Gagarin als erster Mensch die Erde umkreiste, gelang Alan Shepard (1923–1998) in einer „Mercury-Kapsel“ ein suborbitaler „Hüpfer“ ins All. Sein Flug, der als zweiter astronautischer Raumflug in die Geschichtsbücher einging, dauerte nur 15 Minuten und brachte ihn auf eine Höhe von 187 km – immerhin 87 km über die Kármán-Linie, die als Grenze zum Weltall angesehen wird. Fast ein Jahr nach Juri Gagarin umrundete am 20. Februar 1962 John Glenn (1921–2016) an Bord der Mercury „Freedom 7“-Kapsel in vier Stunden und55 Minuten dreimal die Erde.
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Die erste legendäre Astronautengruppe der Amerikaner wurde auch als „Mercury Seven“ bezeichnet und setzte sich aus John Glenn (1921–2016), Alan Shepard (1923–1998), Virgil Grissom (1926–1967), Scott Carpenter (1925–2013), Walter Schirra (1923–2007), Gordon Cooper (1927–2004) und Deke Slayton (1924–1993) zusammen.
John Glenn verlies die NASA bereits 1964 und diente von 1974–1999 für die Demokraten im amerikanischen Senat. Mit 77 Jahren flog er 1998 ein zweites Mal an Bord des Space Shuttle „Discovery“ ins Weltall. Alan Shepard stand im Februar 1971 als Kommandant der Apollo-14-Mission am Mond. Virgil Grissom hingegen hätte der erste Mensch am Mond sein können, doch er verbrannte 1967 bei einem Bodentest an Bord einer Apollo-Kapsel. Scott Carpenter flog nur einmal ins All, 1964 – zwei Jahre nach seinem Flug – verletzte er sich im Training so sehr, dass er dasAstronauten-Korps verlassen musste. Walter Schirra hatte das Glück, insgesamt dreimal ins All fliegen zu können, bevor er im Juli 1969 bei der NASA aufhörte und bei allen Mondlande-Missionen als Co-Kommentator im amerikanischen Fernsehen zu sehen war. Bleibt noch Gordon Cooper, der nach Mercury-Atlas 9 auch noch einmal 1965 an Bord von Gemini 5 ins All flog. Deke Slayton war der Einzige der ursprünglichen Astronauten, die nicht mit einer „Mercury-Kapsel“ ins All flog, da nach seiner Auswahl Herzrhythmusstörungen bei ihm festgestellt wurden. Doch Slayton wurde als Leiter des Astronauten-Büros einer der mächtigsten Männer der NASA, da er bestimmte, welcher Astronaut für die jeweilige Mission ausgewählt wurde. Erst 1975 flog er einmal ins All – bei der Apollo-Sojus-Mission. Dieses Unterfangen, bei der erstmals zwei Raumschiffe der USA und der UdSSR im Erdorbit andockten, markiert das Ende des „Space Race“ zwischen den USA und der UdSSR.
„Space Race“: Der steinige Weg der Frauen ins All Das internationale „Space Race“ gewannen die USA, die Sieger des inneramerikanischen „Wettstreits“ zwischen Männern und Frauen waren eindeutig die Männer.
Die „Mercury Seven“ prägten das Bild der Astronauten in der Öffentlichkeit und erreichten durch das 1979 erschienene Buch „The Right Stuff“ von Tom Wolfe Heldenstatus. Sie alle waren Testpiloten des Militärs und weiße Amerikaner. Dass zeitgleich zu den männlichen auch 13 Pilotinnen aufgrund einer privaten Initiative das gleiche Ausbildungsprogramm wie die Männer absolvierten und dabei zur Überraschung aller Beteiligten ähnliche und zum Teil bessere Testergebnisse als ihre männlichen Kollegen erzielten, erfuhr die Öffentlichkeit erst viel später. Die Beste unter ihnen war die Pilotin Jerrie Cobb (1931–2019). So kam es, dass nicht eine Amerikanerin, sondern die Russin Walentina Tereschkowa (* 1937) am 16. Juni 1963 als erste Frau ins Weltall flog. Von den Frauen der „Mercury 13“ flog nur Wally Funk (* 1939) mit 82 Jahren im Juli 2021 ins All. Der Milliardär Jeff Bezos lud sie als späte Anerkennung ihrer Leistung zu einem 10-minütigen Flug zum Rand des Weltalls mit der Kapsel „New Shepard“ ein.
Erst Ende der 1970er-Jahre wurde die amerikanische Raumfahrt weiblicher, diverser und vor allem wissenschaftlicher. Wie frauenfeindlich das gesellschaftliche Klima der 1960er-Jahre in den USA noch war, zeigt auch folgende Begebenheit: Die „Mercury-Kapsel“ wurde von der Firma „McDonnell Aircraft“ in St. Louis entwickelt und hergestellt. Die rote Rettungsrakete an der Spitze der Kapsel entwarf die Technikerin Joan Fencl Bowski (1933–2010). Alle beteiligten Techniker von „McDonnell Aircraft“ waren zum Erststart eingeladen, nur sie nicht. Die offizielle Begründung der NASA war, dass es keine Toiletten für Frauen auf dem Startgelände gäbe …
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„Mercury-Kapsel“ – sechs Originale und das Mockup des TMW Nach sechs erfolgreichen Flügen mit der einsitzigen „Mercury-Kapsel“ wechselte die NASA zum Gemini-Programm (1963–1966), das mit ihrer größeren zweisitzigen Kapsel schon als „Pathfinder“ für das Mondlandeprogramm „Apollo“ diente.
Alle Mercury-Kapseln – bis auf die „Liberty Bell 7“, die nach der Landung im Ozean im Juli 1961 im Meer versank –, konnten alle Kapseln nach der Wasserung geborgen werden und sind jetzt in Museen quer durch die USA zu sehen. Die Kapseln von den Flügen von Alan Sheppard und John Glenn sind im „National Air- and Space Museum“ in Washington D.C. ausgestellt, die anderen befinden sich in Museen in Texas, Kansas und in Chicago. Grissoms Kapsel konnte erst im Juli 1999 in einer Tiefe von 4.900 m im Atlantischen Ozean vor Florida geortet und auch geborgen werden. Heute ist sie im Cosmosphere inHutchinson, Kansas ausgestellt.
Das Mockup der „Mercury-Kapsel“ des Technischen Museums Wien war lange Jahre in verschiedenen Ausstellungen zu sehen und hing dann als Blickfang und beliebtes Fotomotiv im Stiegenhaus direkt beim damaligen Eingang des Museums. Nach der Schließung des Museums im Jahr 1992 und der darauffolgenden Generalsanierung landete die Kapsel zunächst im Depot. Aber bereits am 3. September 1994 – lange vor der Wiedereröffnung des Museums 1999 – startete sie pünktlich zur Eröffnung der U-Bahnstation Schweglerstraße zu ihrer jetzt zu Ende gegangenen Langzeitmission. Die Wiener Linien statteten traditionsgemäß alle U3-Stationen mit Kunstwerken aus. Die Station Schweglerstraße stand aufgrund ihrer räumlichen Nähe zum Technischen Museum Wien unter dem Motto „Kunst und Technik“ und zeigte auch einige Exponate des Museums im Schachtbereich zwischen den Aufzügen: Neben einem Personenkraftwagen „Mini Cooper“, Räder einer Lokomotive und einem Sportflugzeug hing ganz oben kaum noch erkennbar die „Mercury-Kapsel“.
Nach 30 Jahren im Orbit Schweglerstraße hat die Kapsel viel Patina angesetzt. Wie viele von diesen Mockup-„Mercury-Kapseln“ für Museen und Ausstellungen in den 1960er-Jahren angefertigt worden sind, ist unbekannt. Vor einigen Jahren ist eine dieser Objekte um immerhin fast 40.000 Dollar versteigert worden. Jetzt wird die Kapsel im Museumsdepot gereinigt, instandgesetzt und restauriert, bevor sie spätestens ab 2027 wieder im Technischen Museum Wien als ein Meilenstein der Raumfahrtgeschichte bewundert werden kann.
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