Aerodynamisch von Rekord zu Rekord:
Autor: Redaktion
...mit Liegestühlen, Blauwalen und Delphinen von NSU
Aerodynamik bei NSU: Ende der 1960er Jahre macht sich vor allem der NSU Ro 80 einen Namen ob seiner ebenso futuristischen wie windschnittigen Form. Seine keilförmige Karosserie ermöglicht einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,35 cW. Damit setzt der Ro 80 bei Serienautos neue Maßstäbe und wird – nicht zuletzt auch aufgrund seines Designs und des neuartigen Wankelmotors – „Auto des Jahres 1967“. Doch schon rund zwei Jahrzehnte zuvor ist NSU vor allem im Motorradbereich überaus windschnittig unterwegs, holt auf den internationalen Rennstrecken bemerkenswerte Siege und stellt zahlreiche Weltrekorde auf.
1951: acht neue Geschwindigkeitsweltrekorde mit NSU-Maschinen
Eine treibende Kraft der Neckarsulmer Rekordambitionen ist Wilhelm Herz: Der erfahrene Motorradrennfahrer steht schon seit Jahren in Diensten von NSU und fährt mit der Marke viele Erfolge ein. 1948 gelingt es ihm schließlich, die NSU-Cheftechniker von seinen Rekordplänen mit einer Konstruktion von Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld, einem Pionier in der Aerodynamik, zu überzeugen: Das Fachsenfeld’sche Fahrzeug wird aufgrund seiner besonderen Form und der für ein Motorrad ungewöhnlichen Länge von den Neckarsulmern kurzum „Rekordzigarre“ getauft. Die Konstruktion ist vielversprechend und wird ausgiebig getestet, allerdings vereitelt ein Unfall von Wilhelm Herz die Rekordpläne. Da kein anderer NSU-Rennfahrer die Rekordzigarre fahren will, stellt Dr. Walter Froede, Leiter der NSU-Entwicklungsabteilung, das Projekt ein. Ganz ad acta legt man die Rekordpläne in Neckarsulm jedoch nicht. Jetzt zahlt es sich aus, dass man mehrgleisig gefahren ist und noch weitere aerodynamische Konzepte verfolgt hat: Im April 1951 starten auf der Autobahn München-Ingolstadt NSU-Rennmotorräder zu Geschwindigkeitsfahrten. Dabei fährt Wilhelm Herz auf einer NSU-Kompressormaschine mit 500 Kubikzentimetern Hubraum, deren namensgebende Verkleidung mit der markant-spitzen Schnauze sofort erraten lässt, bei welchem Meeresbewohner sich die Aerodynamik-Techniker inspirieren ließen. Auf der Delphin I erzielt Herz 290 Stundenkilometer – Weltrekord! Die Bilanz der Rekordfahrten des Jahres 1951 kann sich sehen lassen: insgesamt acht neue Geschwindigkeitsweltrekorde für NSU.
Im gleichen Jahr nimmt der gelernte Grafiker Gustav Adolf Baumm Kontakt zu NSU auf. Er stellt den Neckarsulmern sein Rekordprojekt vor, das weit über das Fachsenfeld’sche Konzept hinausgeht: Der Fahrer liegt nun auf dem Rücken, was eine niedrige Aufbauhöhe des Rennmotorrads von nur 75 Zentimetern ermöglicht. Mit einem umgebauten Bügelbrett überzeugt Baumm NSU-Entwicklungschef Froede von der Steuerbarkeit eines solchen Gefährts und bekommt finanzielle und technische Unterstützung. Nach der erfolgreichen Präsentation seines ersten „Baumm’schen Liegestuhls“ erhält Baumm 1952 einen Vertrag von NSU und entwickelt zusammen mit der Forschungsabteilung den „Baumm I“ und den „Baumm II“, die hervorragende Luftwiderstandsbeiwerte erzielen. Bei NSU nennt man die spacigen Rekordgefährte ganz bodenständig „Liegestühle“ – mit den gängigen Assoziationen haben sie allerdings nicht viel gemein: Allzu gemütlich sind sie nicht und für die Erholung im Garten sind sie ebenfalls kaum geeignet. Dafür brechen sie Rekorde, weshalb sie auch „fliegende Liegestühle“ heißen dürfen: Gustav Adolf Baumm gelingt es, als Konstrukteur und Fahrer 1954 insgesamt elf Weltrekorde in den Klassen von 50 bis 175 Kubikzentimeter einzufahren.
Ist der Baumm’sche Liegestuhl vornehmlich für Rekordfahrten geeignet, werden andere strömungsgünstige Konzepte auch bei Rennen eingesetzt. Mit der NSU Rennmax Typ Delphin gewinnt NSU im Jahr 1954 alle gestarteten Rennen in der Klasse bis 250 Kubikzentimeter Hubraum mehrfach als Doppel-, Dreifach- oder Vierfachsieger. 1954 kommt beim Rennen auf der Solitude in der Nähe von Stuttgart auch zum ersten Mal die Vollverkleidung Typ „Blauwal“ zum Einsatz. Im Vergleich zur Rennmax mit Delphin-Verkleidung ist bei der strömungsgünstigeren Blauwal nochmals mehr Speed möglich. Gleich beim ersten Rennen belegen die Rennfahrer Werner Haas und Rupert Hollaus die ersten beiden Plätze. Haas gewinnt im Jahr 1954 auf der Blauwal die Weltmeisterschaft und die Deutsche Meisterschaft in der Klasse bis 250 Kubikzentimeter Hubraum. In der Klasse bis 350 Kubikzentimeter kann Hermann Paul Müller mit einer modifizierten Rennmax Typ Blauwal mit 288 Kubikzentimetern Hubraum die Deutsche Meisterschaft nach Neckarsulm holen.
Herz fährt 339 km/h: Geschwindigkeitsweltrekord mit der Delphin III
Im Sommer 1956 geht NSU erneut auf Rekordjagd. Idealer Ort dafür sind die berühmten Bonneville Salt Flats: Der ausgetrocknete Salzsee im amerikanischen Bundesstaat Utah bietet beste Bedingungen. Für die Rekordfahrten ist ein 22 Meter breiter Fahrstreifen speziell präpariert. H. P. Müller stellt dort mit dem „Baumm II“ gleich mehrere Geschwindigkeitsrekorde auf und erreicht unter anderem mit dem 125-Kubikzentimeter-Motor der NSU Rennfox 242 Stundenkilometer. Wilhelm Herz geht in Utah mit dem „Baumm IV“ und der „Delphin III“ an den Start. Der vollverkleideten Delphin III mit der markanten Heckflosse kommt eine besondere Aufgabe zu: Auf ihr will Herz so schnell fahren wie noch nie zuvor ein Mensch auf einem Motorrad. Trotz nicht optimaler Bedingungen und einiger Widrigkeiten, die vor Ort noch Veränderungen an der Delphin III erfordern, wagt sich Herz am 4. August an den Rekordversuch. Mitgereist sind auch NSU-Generaldirektor Gerd Stieler von Heydekampf und der Technische Direktor Viktor Frankenberger; der Rundfunk berichtet direkt aus Utah. Das Aufgebot lohnt sich: 339 Stundenkilometer erreicht Herz mit der Maschine – und demonstriert mit dem neuen Weltrekord eindrucksvoll die Neckarsulmer Fertigkeiten im Motorradbau und auf dem Feld der Aerodynamik.
„Windschnittig“: neue Aerodynamik-Ausstellung im Audi museum mobile
Spitzenleistungen bei Geschwindigkeit – und Spitzenwerte auch beim Verbrauch – sind nur zwei Aspekte des umfangreichen Themas Aerodynamik. In der aktuellen Ausstellung „Windschnittig“ nimmt Audi Tradition alle Technikinteressierten mit auf eine Zeitreise durch die Geschichte der Aerodynamik. Die neue Sonderschau im Ingolstädter Audi museum mobile ist bis zum 9. Juni 2024 zu sehen, zeigt die grundlegenden aerodynamischen Konzepte der Zeit bis 1945 und stellt die Vordenker der Aerodynamikforschung vor. Edmund Rumpler, Paul Jaray und der oben erwähnte Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld – wer sich mit der Geschichte der Aerodynamik beschäftigt, kommt an ihnen nicht vorbei. Diese drei Techniker beginnen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts damit, Karosserieformen von Motorwagen dem Luftstrom anzupassen. Die Gäste erwarten in der Ausstellung „Windschnittig“ mehr als ein Dutzend Großexponate, darunter ebenso seltene wie einzigartige Fahrzeuge. Der zweite Teil der Ausstellung, der die Geschichte der Aerodynamik nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt und aktuell bereits im August Horch Museum in Zwickau zu sehen ist, startet ab Juli 2024 im Audi museum mobile – ihr Titel: „Form vollendet“.