Auf der Jagd nach dem Goldenen Beduinen
Autor: Roland Heckl
Über die kürzlich beendete Rallye „Dakar 2024“ berichtet Roland Heckl
Die 46. Ausgabe der „Dakar“ wurde zum fünften Mal in Saudi Arabien ausgetragen. Auf 12 Etappen und fast 8000 Kilometern wurden in 14 Tagen die Sieger aus 770 Teilnehmern in acht Hauptkategorien ermittelt.
„Die Dakar“ wurde ursprünglich von 1978 bis 2007 in Paris gestartet und endete anfänglich mit dem legendären Zieleinlauf nach 10.000 Kilometern am Atlantikstrand der namensgebenden Stadt im Senegal. 2008 musste aufgrund einer Terrordrohung abgesagt werden. Von 2009 bis 2019 fuhr man aus Sicherheitsgründen in Südamerika, ehe man seit 2020 dem finanziell verlockenden Ruf der Scheichs folgte und nach Saudi-Arabien übersiedelte. Viel sicherer wurde die „Dakar“ dadurch aber auch nicht, gab es doch auch 2022 zwei Anschläge, bei denen der französische Fahrer Philippe Boutron noch vor Beginn des Rennens in seinem Auto schwer verletzt wurde. Beim zweiten Anschlag auf einen Assistenzlastwagen mit einem improvisierten Sprengsatz entstand nur Sachschaden. 2024 wurde das Fahrzeug und die Ausrüstung des brasilianischen Fahrers Rodrigo Ravela von Piraten im Roten Meer aufgebracht, so dass dieser dankbar sein musste, mit einem „Leihwagen“ eines Freundes doch noch starten zu können.
Das nach sunnitisch-muslimischen Regeln streng konservativ und autoritär geführte Gastgeberland brachte der „Dakar“ viel Kritik ein, nutzen die Saudis das Event doch zu Tourismuswerbung und Imagepolitur. Das hat Saudi-Arabien auch bitter nötig, war der regierende Herrscher Mohammed bin Salman al-Saud nicht nur als Auftraggeber des Mordes an dem kritischen Journalisten Kashoggi 2018 in die Schlagzeilen geraten.
Auch sonst gibt es in Zeiten des Klimawandels Kritik an der „Dakar“. Man bemüht sich zwar seitens der Veranstalter dieser Kritik aktiv zu begegnen, letztlich wird der Großteil des Energiebedarfs, obwohl reichlich Sonnen- und Windenergie vorhanden wäre, immer noch von Verbrennungsaggregaten, die im Land des Erdölreichtums um gerade mal 60 Cent pro Liter betrieben werden, erzeugt. Trotzdem will die „Dakar“ bis 2030 klimaneutral werden.
Die „Dakar“ bildet seit 2022 den Auftakt zur „W2RC“ Weltmeisterschaft, einer Serie aus fünf Marathonrallyes. Weitere Stationen sind Abu Dhabi, Portugal, Argentinien und Marokko.
Die Route führte 2024 über insgesamt 8000 km, davon 4632 gezeitete Wertungskilometer, vom Roten Meer zum Persischen Golf und zurück. Erstmals gab es auch eine Marathonetappe über 48 Stunden durch die größte Wüste der Welt, „Das leere Quartier“. Dabei mussten die Fahrer am ersten Tag um Punkt 16 Uhr das nächstgelegene Biwak anfahren, wo es lediglich improvisierte Verpflegung aus der Gulaschkanone, aber keinerlei Unterstützung durch Mechaniker oder Ersatzteile gab. Selbst die Handys (Satellitentelefone) wurden den Fahrern abgenommen. Es gab außer der medizinischen Notfallhilfe keine Verbindung zur Außenwelt. Geschlafen wurde in selbst aufgebauten, einfachen Wurfzelten, ehe es am frühen Morgen in den zweiten Teil der Marathonetappe ging. Dies sollte den ursprünglichen Abenteuergeist der „Dakar“ wieder aufleben lassen, die sich ja auch mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, zu einer Materialschlacht der Werkteams auszuarten, die mit erheblichem personellen und finanziellen Aufwand versuchen, das prestigeträchtige Rennen für sich zu entscheiden. War im Vorjahr noch – man glaubt es kaum – besonders heftiger Starkregen, der die Wüste in eine Matschlandschaft und ausgetrocknete Flussläufe in Springfluten verwandelte, die größte Herausforderung, stellten sich heuer besonders das spitze Vulkangestein am Anfang und am Ende der Rallye als absolut reifenmordend heraus. Kaum ein Team, das mit den zwei standardmäßig mitgeführten Reserverädern, die mit den eingebauten hydraulischen Wagenhebern schon fast so schnell, wie in der Formel 1 zu wechseln sind, durchkam. Die meisten mussten lange Wartezeiten in Kauf nehmen, bis der Servicetruck oder ein Teamkollege vorbei kam und weiteren Ersatz brachte.
Die Autos
Hochfavorisiert ging Audi Motorsport neuerlich mit einem elektrifizierten Antrieb, dem Hybrid-Fahrzeug RS Q e-tron E2, pilotiert von den Altstars Stéphane Peterhansel, Carlos Sainz senior und Mattias Ekström, an den Start. Ohne Getriebe und ohne zu schalten steht zu jedem Zeitpunkt enorm viel Kraft und Drehmoment zur Verfügung. Der Strom für das, trotz Karbonkarosserie, zwei Tonnen schwere Elektrogeschoss mit zwei mal 340 PS wird an Bord von einem mit konstanter Drehzahl laufendem zwei Liter Vierzylinder-Turbo mit 270 PS, der nebenbei auch für die Kühlung der Batterien sorgt, erzeugt. Trotz dieses Anachronismus gelingt so immerhin eine Spritersparnis von 30 - 40%. Der Elektromotor bietet überdies Vorteile, wenn in höheren Regionen gefahren wird, in denen Verbrennungsmotoren konstruktionsbedingte Leistungsverluste durch die dünnere Höhenluft mit sich bringen.
Zwei Jahre lang war Audi mit seinem innovativen Konzept vom Pech verfolgt, im dritten Anlauf konnte man heuer endlich den ersehnten Sieg einfahren: der zweifache Rallyeweltmeister und dreifache Dakarsieger Carlos Sainz senior setzte sich letzten Endes mit einem Vorsprung von einer Stunde und zwanzig Minuten vor dem Belgier Guillaume De Mevius auf Toyota Hilux und seinem eigentlichen Widersacher, dem Franzosen Sébastien Loeb auf Prodrive Hunter BRX (mit 3,5 Liter 400 PS V6 Ford Motor) durch. Der Spanier ist mit 61 Jahren somit auch der älteste Fahrer, der die „Dakar“ auf vier verschiedenen Marken für sich entscheiden konnte. Der 14-malige Sieger der Rallye, „Monsieur Dakar“ Stéphane Peterhansel, als auch der zweifache DTM Sieger und Rallyecrossweltmeister Mattias Ekström mussten als Assistenz- und Geleitfahrer herhalten, um den Audisieg zu fixieren.
Die Motorräder
Auch bei den Motorrädern blieb es bis zum Schluss spannend. Sieg und Niederlage lagen am Ende nur 11 Minuten (!) auseinander. Das Rennen lautete diesmal Ross Branch auf der indischen Hero gegen die gesamte Hondamannschaft. Letztendlich musste sich der Südafrikaner nur dem Hondafahrer Ricky Brabec aus den USA geschlagen geben.
KTM, samt den angeschlossenen Teams von Husqvarna und GasGas, spielte nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Matthias Walkner beim Kampf um den Gesamtsieg heuer keine Rolle. Österreichs letzter Dakar Sieger aus dem Jahr 2018 übersah bereits im Dezember 2023 beim Training in Kalifornien im Staub des Vordermanns eine fünf Meter hohe Abrisskante und kam am Gegenhang schwer zu Sturz. Der Bruch des linken Schien- und Wadenbeins, sowie das zertrümmerte Sprunggelenk wurden in Palm Springs erstversorgt. Jetzt liegt Walkner nach endlosen Operationen immer noch im UKH Graz und ist erst mal froh, dass sein Bein nicht amputiert werden musste. Ob und wann er in den Motorradsport zurückkehren kann ist derzeit völlig ungewiss.
Doch ein anderer österreichischer Stern ging am Himmel des Motorradrallyesports bei der diesjährigen „Dakar“ auf. Der aus dem Zillertal stammende Neffe des zweifachen Motocrossweltmeisters Heinz Kinigadner (als Dakarsieger 1994 wegen eines Motortauschs disqualifiziert), Tobias Ebster, war die Überraschung der Marathonrallye: der 26-jährige „Mini-Kini“ war als sogenannter „Kistenfahrer“, also als ein auf sich allein gestellter Privatfahrer, ohne Teamunterstützung, lediglich mit einigen Ausrüstungskisten, die vom Veranstalter vom Start zum Ziel transportiert werden, auf einer KTM unterwegs. Ebster gewann nicht nur die Unterwertung dieser „Kistenfahrer“, sondern belegte mit dem hervorragenden 20. Gesamtrang den besten Platz, den jemals ein Privatfahrer bei der „Dakar“ erreichen konnte. Nach dieser Leistung wird er wohl seinen bisherigen Beruf als Tischler & Pizzafahrer an den Nagel hängen und bald in einem der Profiteams zu finden sein.
Auch der aus Albanien stammende Wahlösterreicher Ardit Kurtaj erfüllte sich als Privatfahrer mit einer Husqvarna seinen Lebenstraum bei der „Dakar“ dabei zu sein. Das Budget für das große Abenteuer in der arabischen Wüste hat der Kärntner Hüttenwirt mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne sowie einiger Sponsoren aufgestellt.
Quads, T3, T4
Von zehn gestarteten Quads kamen heuer sieben ins Ziel. Der französische Vorjahressieger Alexandre Giroud musste sich diesmal dem Argentinier Manuel Andujar, beide auf Yamaha, mit einem Rückstand von 8 Minuten geschlagen geben.
In der Klasse der leichten Prototypen T3 war heuer eigentlich der junge Pole Eryk Goczal das Maß aller Dinge. Es war ein Familienausflug, denn auch sein Vater und sein Onkel waren in eigenen Fahrzeugen in dieser Rennklasse unterwegs. Der 19-jährige Maturant und Vorjahressieger aus der T4 Klasse wurde jedoch nach der 7. Etappe wegen einer nicht regelkonformen Kohlefaserreibscheibe bei der Kupplung disqualifiziert. So war der Weg frei zum ersten weiblichen Sieg bei der „Dakar“ nach Jutta Kleinschmidt 2001: Cristina Gutierrez-Herrero aus Spanien triumphierte im Damenteam mit einem Vorsprung von 35 Minuten auf Mitchell Guthrie aus den USA.
Mit dabei in der T3-Klasse war auch der Sohn des dreimaligen österreichischen Formel 1 Weltmeisters Niki „Nazionale“, Lukas Lauda, der sein Fahrzeug und seinen Helm seinem Vater zu ehren im Stil der McLaren von 1984, als rollendes Zigarettenpackerl, lackierte. Lukas, der bisher seinen Bruder Matthias bei dessen Rennsportaktivitäten im Hintergrund unterstützte, erfüllte sich mit der Teilnahme an der „Dakar“ einen Jugendtraum. Der 44-Jährige wollte einfach nur ankommen und erreichte sein Ziel als Neunundfünfzigster.
Noch ein Österreicher mischte in dieser Klasse mit: der unter dem Pseudonym Freddy Fast antretende, Salzburger Erbe eines Gewürzherstellers, der früher Skirennen und Enduros fuhr, ehe er nach einem schweren Sturz und einer Knieverletzung auf Autos umsteigen musste, schaffte es nicht ins Ziel und musste in der 8. Etappe die Segel streichen.
Die Einsteigerklasse der vierrädrigen Dakar Wertungen, die Klasse T4, das sind seriennahe Side-By-Side-Fahrzeuge, die jedermann ab Werk kaufen kann und nur leicht modifiziert sind, gewann der Franzose Xavier de Soultrait mit hauchdünnem Vorsprung von nur 2 Minuten 25 Sekunden vor dem Schweizer Jerome de Sadeleer.
Die Lastwagen
Auch heuer waren die Seriensieger der Vorjahre auf Kamaz, sowie zahlreiche russische und weißrussische Fahrer nicht dabei, weil sie eine Erklärung der FIA, die den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt, nicht unterzeichnen wollten. So holten sich unsere tschechischen Nachbarn den Sieg: Martin Macik, konnte die LKW Wertung mit seinem selbst modifizierten Iveco um knappe zwei Stunden vor seinem Landsmann Ales Loprais für sich entscheiden. Auch ein reines Damenteam mischte in der LKW-Wertung mit. Anja Van Loon aus den Niederlanden, surften mit Beifahrerin Floor Maten und Mechanikern Marije van Ettekoven in ihrem Iveco erfolgreich über die Dünen.
Die allradgetriebenen Wüstenschiffe sind mit Sechszylinder Turbo Diesel mit 1100 PS und etwa 13 Liter Hubraum unterwegs und erzielen Durchschnittsgeschwindigkeiten bis zu 100 km/h. Sie sind damit nur unwesentlich langsamer als Motorräder und Autos.
Future 1000
In dieser neu eingeführten Klasse - mehr Labor, als Wertung - war das Ziel, möglichst viele Kilometer mit alternativen Antriebssystemen zurückzulegen. 10 Starter nahmen die Herausforderung an und versuchten mit Elektro-, Hybrid- oder Wasserstoffantrieb maximale Reichweite unter härtesten Rennbedingungen zu erreichen. Mit dabei waren Motorräder, Autos und Trucks mit Batterie-, Brennstoffzellen- und Ethanolantrieb.
Bei den Motorrädern liegt die Herausforderung darin, einen guten Ausgleich zwischen dem Gewicht der Batterien, dem Handling der Maschine und der Reichweite zu finden. Bei den E-Bikes gibt es keine Fußbremse mehr, beide elektromagnetischen Bremsen werden am Lenker bedient und können so genauer dosiert werden. Die E-Bikes sind wartungsarm und mit einem bürstenlosen Elektromotor mit drehender Spule ausgestattet. Ein Problem ist die Kühlung der Batterien. Trotz Rekuperation – das Aufladen der Batterien beim Bremsen – wird derzeit mit einer 20 KW Batterie eine Reichweite von 150-200 Kilometer erzielt.
Bei den Trucks ist man da schon weiter: das spanische KH-7 Siegerteam nützt mit seinem MAN 6x6 ein Hybridsystem aus grünem Wasserstoff und Biokraftstoff aus hydriertem Pflanzenöl. Der Wasserstoff wird zunächst mit 350 bar gespeichert, und dann mit 8,5 bar zusammen mit dem Biosprit im Verhältnis 80:20 direkt in den Brennraum des Motors eingespritzt. 10 kg Wasserstoff reichen für eine Reichweite von 900 km. So erreicht man eine Emissionsersparnis von 85-90% gegenüber herkömmmlichen Dieselfahrzeugen.
Das Hyse-Forschungsteam, bestehend aus namhaften japanischen Marken, betrieb einen Side-by-Side Buggy mit einem modifizierten Kawasaki 1000 cm3 Motor, der 250 PS bei 200 Nm auf den weichen Sand brachte. Hier wurde reiner Wasserstoff in den Motor eingespritzt.
VW-Nutzfahrzeuge ging ebenfalls mit einem Wasserstoff-Amarok an den Start und hat dafür bereits einen Umrüstsatz von Diesel auf Wasserstoff entwickelt. Der 3,5 Tonner hat eine Reichweite von 500-600 Kilometern und nützt eine Brennstoffzelle für den Elektroantrieb mit Akku.
Ein weiterer Buggy wurde von Airbus Technikern entwickelt und verwendet eine Hybridtechnik aus Bioethanol und Elektroantrieb. Hier wird ebenfalls der Schadstoffausstoß um 90% reduziert. Auf den Verbindungsetappen wurde elektrisch gefahren, im Rennen der Hybridantrieb genützt. Das ganze sollte auch noch einem guten Zweck dienen: einem Bildungsprojekt im Senegal und einem Projekt für besser angepassten Wohnraum für Menschen mit Behinderungen.
Abseits der Wertung
Leider war auch in diesem Jahr neben zahlreichen Verletzten ein Toter zu beklagen. Der 45-jährige spanische Fahrer Carles Falcón starb an den Folgen seines schweren Unfalls auf der zweiten Etappe, 15 km vor dem Ende der Sonderprüfung, in einem Spital in Spanien. Über 70 Tote in der 46-jährigen Geschichte der Dakar – mehrheitlich Zuschauer – sind eine traurige Bilanz.
Gesamt tummeln sich bei der „Dakar“ etwa 3500 Leute, bestehend aus Fahrern, Beifahrern, Mechanikern, Teammanagern, aber auch Supportcrews, medizinischem Personal und natürlich Journalisten. Zwei Biwak-Lager mit Werkstätten, Feldspital, Küche, etc. werden abwechselnd auf- und abgebaut. Der Transport dieser Unterstützungskarawane erfolgt über eine „Serviceroute“ genannte, öffentliche Straße. Es gibt 14 Hubschrauber, darunter vier für die TV-Übertragung, 89 Allradfahrzeuge, davon elf für medizinische Zwecke, 40 für den Transport auf den Verbindungsstrecken und 38 Fahrzeuge, die speziell für den Einsatz in der Wüste gebaut wurden. Außerdem sind 21 Schlafbusse und 14 Wohnmobile sowie 25 LKW, 23 für den Organisator und zwei als mobile Krankenstationen im Einsatz. Für verunglückte Teilnehmer steht ein 65-köpfiges medizinisches Team parat, davon 15 Notärzte, drei Chirurgen und zwölf Physiotherapeuten.
Der anfallende Müll, auch die Wracks auf der Strecke, werden übrigens bereits seit 1988 nicht mehr einfach im Sand verscharrt, sondern eingesammelt und wenn möglich recycelt.
Die Regeln
16 Stationen der technischen Abnahme muss jedes Fahrzeug absolvieren, ehe es an den Start darf. Eine weitere Herausforderung ist, dass der Veranstalter das Roadbook erst 15 Minuten vor Start verteilt. Eine Vorbereitung auf die Strecke ist dadurch nur sehr eingeschränkt möglich. Die Anweisungen sind für Motorräder immer noch auf Papierrollen gedruckt und werden mittels Daumenbewegung abgespult.
Für die Autos gibt es das Roadbook mittlerweile digital auf einem Tablet, durch das der Beifahrer mittels Fernbedienung navigiert. Daneben gibt es ein zweites Tablet für die Wegpunkte, die mittels GPS Kontrolle angefahren werden. Das Fahrzeug muss innerhalb eines 200 m Radius herankommen, um als „passiert“ gewertet zu werden. Das führt dazu, dass manche Fahrer versuchen, tangential abzukürzen, dadurch die 200 m Zone knapp verfehlen und deshalb glauben, sich verfahren zu haben. Andere Fahrer folgen dann diesen wirren Spuren, wodurch sich rund um die Wegpunkte ein heilloses Chaos ergibt, bei dem man viel Zeit verlieren kann.
Zu allem Überfluss gibt es auch noch versteckte, nicht im Roadbook angeführte, Wegpunkte. Nicht passierte Wegpunkte werden mit Zeitstrafen geahndet. Der präzisen Navigation kommt also mindestens eben so viel Bedeutung zu, wie fahrerischem Können und robuster Highspeedtechnik. Dabei sind naturgemäß die Motorradfahrer im Nachteil, weil sie alles alleine machen müssen.
Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ist je nach Fahrzeugklasse generell limitiert und beträgt bei den schnellsten Autos 170 km/h. Es gibt aber auch Abschnitte mit Geschwindigkeitsbeschränkungen, die mittels Radar kontrolliert und ebenfalls mit Zeitstrafen geahndet werden. Eine weitere Sicherheitsmaßnahme ist ein Ton über Kopfhörer, wenn sich ein anderes Fahrzeug von hinten nähert, das sogenannte Überholsignal.
Technik & Taktik
Bei den Autos wird mit dem linken Fuß gebremst, der rechte Fuß bedient das Gaspedal. Während einer Etappe wird durchschnittlich etwa 6000 Mal kupplungsfrei geschaltet, die Kupplung ist nur beim Anfahren in Verwendung. Die meisten Fahrzeuge können den Reifendruck vom Cockpit aus regeln: 0,8 bar genügen im weichen Sand.
Üblicherweise starten die Etappensieger des Vortags am Folgetag als Erste, was zu erheblichen Nachteilen führt, da sie keinen Spuren folgen können und deshalb einen Mehraufwand an Navigation haben. Dies führte in der Vergangenheit zu taktischen Etappenergebnissen, um am nächsten Tag diesem Problem zu entgehen. Zum Ausgleich werden Zeitgutschriften an die ersten Starter vergeben. Solche Gutschriften gibt es auch wenn man anhält, um verunglückten Teilnehmern zu helfen. Kameradschaft und Teamgeist werden bei der „Dakar“ immer noch hoch gehalten und zählen mehr, als zu gewinnen.
Abgesehen von den fünf Hauptwertungen gibt es zahlreiche Subwertungen, zB für das beste Damenteam, die besten Neulinge, die Verwendung nachhaltiger Treibstoffe, oder die bereits erwähnten Kistenfahrer. Sie fahren, navigieren und schrauben selbst und sind dabei ganz auf sich alleine gestellt. Geschlafen wird – wenn überhaupt - in Minizelten im Fahrerlager. Abenteuer pur, das so manchen an seine körperliche und mentale Grenze bringt. Sie fahren mehr gegen sich selbst, gegen die eigene Erschöpfung, als gegeneinander. Für sie ist vor allem die Ankunft das Ziel bei der „Dakar“.
Auch Behinderte können an der „Dakar“ teilnehmen, wie das Beispiel des Spaniers Isidre Esteve Pujol zeigt. Er fuhr früher in der Motorradwertung und ist seit einem schweren Sturz 2007 querschnittsgelähmt. Er steuert Bremse und Gas in seinem Toyota Hilux mittels zusätzlichen Ringen am Lenkrad, die gedrückt oder gezogen werden.
Ungewöhnlich auch Aliyyah Kolec von den Seychellen, die die Tortur der „Dakar“ mit dem Asperger-Syndrom bewältigte. Sie setzte die Familientradition ihres Vaters Martin fort, der in 1990er Jahren erfolgreicher LKW-Fahrer war.
Die Kosten
Die Startgebühr für Motorräder liegen bei etwa 16.000 €. Dazu kommen Servicekosten, Ersatz- und Verschleißteile und natürlich Reise- Aufenthalts- und Vorbereitungskosten. Das Gesamtbudget eines Privatfahrers beträgt um die 100.000 €. Mit dem Doppelten muss man durchschnittlich für einen Autostart rechnen. Das Rallyefahrzeug, das ohne weiteres noch einmal so viel kosten kann, ist bei dieser Kalkulation noch gar nicht berücksichtigt. Manche Fahrer verkaufen ihr ganzes Hab & Gut um einmal dabei sein zu können, andere werden als Werksfahrer eines großen Teams für die Teilnahme bezahlt.
Als Trucker kann man einen Teil der Kosten wieder hereinholen, wenn man als sogenannter „Schneller Assistenz LKW“ für die namhaften Teams unterwegs ist und Reifen, Ersatzteile, Werkzeug und natürlich einen Mechaniker an Bord hat, um bei einer Panne oder einem Unfall auf der Strecke helfen zu können.
Die Oldtimer
Nicht viel anders sind die Preise bei der Dakar Classic Wertung, die 2024 zum vierten Mal ausgetragen wurde. Damit versuchte das Organisationsteam um Rallye-Direktor David Castera und Classic-Leiter Pierre Lenfant den Spagat zwischen neuer Mobilität mit alternativen Antrieben und dem ursprünglichen Abenteuerspirit.
Gegenüber dem Vorjahr gab es mit 78 Teams (Autos & LKW) in drei Kategorien mit den Baujahren 1997-1999, 1986-1996 und vor 1986 einen leichten Rückgang in der Teilnehmerzahl, die auf maximal 100 beschränkt ist. Die drei Kategorien waren wiederum in vier Geschwindigkeitsklassen unterteilt, die von den Crews frei wählbar waren. In den Top Ten fanden sich schließlich hauptsächlich diejenigen, die langsame oder mittlere Zielzeiten gewählt hatten. Beachtliche 71 Teams erreichten das Ziel.
Zusätzlich gab es noch zwei Untergruppen: die “Authentic Codriver Challenge” für Fahrzeuge ohne moderne Zusatzinstrumente, die nur mit einer mechanischen Stoppuhr und einem mechanischen Tripmaster unterwegs sein durften, und die “Iconic Classic Club Classification“ für Originalfahrzeuge, die schon einmal bei einer „Dakar“ dabei waren.
Es gibt einige technische Voraussetzungen, damit ein Fahrzeug an der Dakar Classic teilnehmen darf, dazu gehören Überrollkäfig, Schalensitze mit Hosenträgergurten, zusätzliche Bremslichter, Feuerlöscher und mindestens zwei Reserveräder. Der verbaute Motor muss nicht original sein, aber ungefähr dem Baujahr entsprechen. Handschaltung ist verpflichtend. Für die Teams sind feuerfeste Rennanzüge und natürlich Helme vorgeschrieben.
7366 Kilometer, davon 3586 als Wertungsprüfung mit den Schwerpunkten Gleichmäßigkeit und Navigation waren in der Classic auf einer gesonderten Strecke zu bewältigen. Jeder Kilometer, jede Minute, die von der Vorgabe abwichen, brachte Punkteabzüge. Dies verlieh der Navigation nochmals zusätzliche Bedeutung. Täglich waren etwa 300 km an Spezialprüfungen auf unbefestigten Pisten zu absolvieren. Die Wertung erfolgt ebenso mittels Messschläuchen, wie hier zu Lande.
Dominiert wurde die Dakar Classic von französischen und spanischen Teams. Viele davon bestanden aus familiären Kombinationen. Das größte Kontingent stellte Toyota mit 23 Fahrzeugen. Neben jeepartigen gab es aber auch Fahrzeuge, die man bei einer derartigen Veranstaltung nicht erwartet hätte.
Frauen sind bei der härtesten Rallye der Welt zwar in jeder Rennklasse vertreten, aber dennoch klar in der Minderheit. Wenn die Damen aber in einer „Ente“, die noch dazu im Hippie Stil vom tschechischen Pop-Künstler Josef Rataj gestaltet wurde, antreten, ist ihnen schon vor dem Start der Titel „Sieger der Herzen“ sicher. Das Damenteam Barbora Holická und Lucie Engová aus Tschechien hatte sich zum Ziel gesetzt, als erster Citroën 2CV die „Dakar“ zu beenden. Schon 14 Mal war bei der „Dakar“ das kultige Fahrzeug, dessen Spitzname „Ente“ sich von der sagenhaften Kurvenneigung des Fahrwerks ableitet, die an ein Entengewatschel erinnert, angetreten, hatte aber bisher nie das Ziel erreicht. In Anspielung auf den Spitznamen und den Namen des Rennens nannten die Damen ihr Projekt „Duckar“.
Dass die Wahl auf dieses Fahrzeug fiel, lag auf der Hand, hat die zweifache tschechische Rallye-Meisterin Holická, ihre Erfolge bisher auch immer auf Citroëns eingefahren. Der 2CV Baujahr 1979 wurde 2023 erstmals von Holická bei der Rallye Berounka Revival eingesetzt und von Mechaniker Tomáš Neruda fit für die „Dakar“ gemacht.
Lucie Engová ist eine erfahrene Beifahrerin in der tschechischen Rallye-Meisterschaft und Tochter des verstorbenen Břetislav Enge, einer Motorsportlegende seines Heimatlandes, der in den 70er und 80er Jahren sowohl an der Europameisterschaft, als auch an der Tourenwagen-Weltmeisterschaft teilgenommen hat. Engovás Bruder ist Tomáš Enge, der 2001 in der Formel 1 startete. Einen großen Namen des tschechischen Motorsports an ihrer Seite zu haben, hat sicherlich dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf Holickás „Duckar“ Projekt zu lenken, das nur durch die großzügige Unterstützung ihrer Fans möglich wurde.
Mission completed! Die Damen fuhren in ihrer „Ente“ auf das Podium im Zielort Yanbu und ernteten dort fast mehr Jubel, als die anderen Sieger.
Wo eine „Ente“ unterwegs ist, ist auch der ewige Rivale von Renault, der R4, nicht weit. Die Franzosen Michel Blanc und Frédéric Benedetti pilotierten eine 4x4 Version aus dem Jahr 1980, der in seinem „ersten Leben“ bei der französischen Gendarmerie im Einsatz war. Gefahren wurde mit einem 1397 cm³ Motor des Renault 5 Alpine mit 93 PS. Damit hatte das Gefährt rund 750 kg inklusive der beiden Fahrer. Um zu verhindern, dass der Auspuff bricht, wurde dieser kurzerhand aufs Dach verlegt.
Auch heuer fuhr wieder ein Toyota Land Cruiser HDJ 80, pilotiert vom Spanier Carlos Santaolalla Milla und dem 22-jährigen Jan Rosa I Vinas als Beifahrer, die im Vorjahr knapp geschlagen wurden, als erster auf die Zielrampe. Er unterstützte mit seiner Fahrt eine Organisation, die sich um Lernschwächen von Kindern, wie Legasthenie oder ADS, annimmt und sich für inklusive Bildung einsetzt.
Toyota bestätigte mit dem Sieg bei den Oldtimern eindrucksvoll seinen bereits jahrzehntelangen Status als „Standard der Wildnis“.
Die „Dakar“ eignet sich, wie keine andere Motorsportveranstaltung, dazu neue technische Konzepte auf ihre Zuverlässigkeit zu erproben. Schön, dass trotzdem mit der Classic-Wertung der Bogen zu den Anfängen gespannt werden kann.