Legendärer Sieg bei der Mille Miglia vor 90 Jahren: Caracciola gewinnt 1931 auf Mercedes-Benz SSKL
Autor: Redaktion
Was für ein Überraschungssieg: Der große und trotz zahlreicher Erleichterungsmaßnahmen immer noch schwere Mercedes-Benz SSKL (W 06 RS) mit Rudolf Caracciola am Steuer gilt gegenüber der italienischen Konkurrenz nicht als Favorit bei der fünften Auflage der Mille Miglia am 12. und 13. April 1931.
Doch das Team aus Stuttgart bewältigt die 1.635 Kilometer lange Strecke von Brescia nach Rom und zurück schneller als alle Lokalmatadore: Caracciola und sein Beifahrer Wilhelm Sebastian kommen nach 16 Stunden, 10 Minuten und 10 Sekunden ins Ziel. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 101,6 km/h, allein das ist eine Sensation. Denn kein Fahrer zuvor hat jemals einen Schnitt von mehr als 100 km/h erreicht. Und schließlich ist Caracciola der erste nichtitalienische Fahrer, der die Mille Miglia gewinnt.
Mille Miglia 1931
151 Teams sind für das Straßenrennen gemeldet. Die Strecke verläuft von Brescia über Parma nach Bologna, von dort über den Apennin nach Florenz und Siena bis Rom. Zurück geht es über Perugia und Macerata an die Adria und über Rimini, Bologna und Verona zurück nach Brescia. Die italienischen Teams haben einen Heimvorteil hinsichtlich der Streckenkenntnis und ebenso der Versorgung. „Die Strecke war mit Ersatzteillagern geradezu gepflastert“, sagt Rudolf Caracciola im Rückblick, „wir dagegen mussten sparen.“ Rennleiter Alfred Neubauer kann lediglich vier Depots entlang der Strecke aufbieten, um die als Privatteam auftretende Mannschaft Caracciola/Sebastian zu unterstützen.
Das Fahrzeug
Offiziell heißt der Rennsportwagen zu diesem Zeitpunkt noch „SSK Modell 1931“. Die Bezeichnung SSKL („Super-Sport-Kurz-Leicht“) trägt das Fahrzeug erst ab 1932. Es wird als viertes und letztes Modell der legendären S-Reihe in nur vier Exemplaren ausschließlich für den Renneinsatz gebaut. Mit großem Aufwand gelingt es dem Team um Entwicklungsvorstand Dr. Hans Nibel, den nicht mehr ganz modernen Rennwagen wettbewerbsfähig zu halten. Mit einem dünnwandigeren Rahmen und zahlreichen Bohrungen wird das Leergewicht um 125 Kilogramm auf 1.352 Kilogramm gesenkt. Auch der Sechszylindermotor mit 7.069 Kubikzentimetern ist gründlich überarbeitet. Mit zugeschaltetem Roots-Kompressor leistet er 221 kW (300 PS). Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 235 km/h.
Der Rennverlauf
Am 12. April 1931 um 15:12 Uhr gehen Caracciola/Sebastian auf die Strecke. Die Straßen sind eng, führen über Pässe, erst gegen Ende des Rennens kann Caracciola über viele Kilometer hinweg mit Vollgas fahren. Es ist eine große Leistung für den eher schmächtigen Rennfahrer, den schweren Mercedes-Benz schnell und scheinbar mühelos zu bewegen. Er selbst sagt: „Sechzehn Stunden lang saß ich am Lenkrad, sechzehn Stunden lang donnerten wir längs und quer durch Italien, tasteten uns am Strahlenbündel der Scheinwerfer durch die Nacht, fuhren hinein in das blendende Licht des Frühlingsmorgens, … sechzehn Stunden lang hatte ich im Riesenfeld von mehreren hundert Wagen keine Ahnung, wie ich lag.“ Zur Rückkehr nach Brescia sagt Caracciola: „Im Ziel ist Alfred Neubauer völlig aus dem Häuschen, führte einen völlig verrückten Tanz auf. Was war hier eigentlich los? Ich begriff es zuerst nicht, noch nicht, aber langsam dämmerte es mir: Ich hatte die tausend Meilen gewonnen.“ Hinter ihm folgen 31 Fahrzeuge italienischer Herkunft, bevor es mit einem Graham-Paige auf Platz 32 weitergeht.
Schwieriges Jahr 1931
Der Zusammenbruch der Börse in New York im Oktober 1929 hat dramatische Folgen für die Weltwirtschaft, auch die Automobilindustrie. In Deutschland fällt die Fahrzeugproduktion von 139.869 Fahrzeugen im Jahr 1929 auf 88.435 Fahrzeuge im Jahr danach und auf 64.377 Einheiten 1931. Der Umsatz der damaligen Daimler-Benz AG sinkt ebenfalls um rund die Hälfte auf 68,8 Millionen RM. Der Vorstand handelt: Mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage stoppt er 1930 die Entwicklung des neuen „Rennwagens Modell 1931“. Trotz der gewonnenen Europa-Bergmeisterschaft 1930 erhält Werksfahrer Caracciola die Kündigung. Rennleiter Alfred Neubauer gelingt es jedoch, mit ihm eine Vereinbarung zu treffen, die eine Werksunterstützung in geringem Umfang und die Bereitstellung eines SSKL vorsieht. Caracciola verpflichtet sich im Gegenzug, „im Sportjahr 1931 bei Rennen und sportlichen Veranstaltungen ausschließlich für Daimler-Benz tätig zu sein“. Das Programm 1931 fällt kleiner aus als geplant, führt aber dennoch bei elf Starts zu elf Siegen sowie zur Verteidigung des Titels „Europa-Bergmeister“.
Rudolf Caracciola
Der Werksfahrer von Mercedes-Benz ist der Star der ersten Silberpfeil-Epoche in den 1930er-Jahren. 1935, 1937 und 1938 wird er Grand-Prix-Europameister. Dieser Titel ist vom sportlichen Rang her vergleichbar mit der seit 1950 bestehenden Formel-1-Weltmeisterschaft. Außerdem wird er drei Mal Europa-Bergmeister auf Mercedes-Benz. Caracciola wird am 30. Januar 1901 in Remagen geboren und stirbt am 28. September 1959 im Alter von nur 58 Jahren.