Supersportwagen vor 120 Jahren: Mercedes-Simplex 40 PS

Autor: Redaktion


Die neue Konstruktion dominiert die „Woche von Nizza“ des Jahres 1902

Kein Automobil ist schneller und erfolgreicher: Während der Motorsportveranstaltung „Woche von Nizza“ vom 4. bis 11. April 1902 zeigt sich der Mercedes-Simplex 40 PS der Konkurrenz weit überlegen. Beim Bergrennen Nizza–La Turbie belegt der Rennwagen die ersten drei Plätze. Der Engländer E. T. Stead fährt mit 55,2 km/h im Durchschnitt einen neuen Streckenrekord, ihm folgen Albert „Georges“ Lemaître und Wilhelm Werner auf den Plätzen 2 und 3. Ein weiterer Triumph: Beim Meilenrennen stellt Henri Degrais für die Meile bei stehendem Start mit 83,2 km/h einen neuen Weltrekord auf.

Die Zahlen dokumentieren, auf welchem Niveau sich Höchstleistung vor 120 Jahren definiert: Die genannten Geschwindigkeiten sind epochale Werte – auch vor dem Hintergrund, dass sie auf öffentlichen und unbefestigten Straßen erzielt werden. E. T. Stead und seine Kollegen sind Virtuosen am Volant des Mercedes-Simplex Rennwagens mit Vierzylindermotor – damals die beste Konstruktion.

Luxuswagen in der Frühzeit des Automobils

Die Côte d’Azur ist kurz nach der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert der perfekte Ort, um den neuen Mercedes-Simplex 40 PS der Öffentlichkeit zu präsentieren. Hier treffen sich die Schönen, Reichen und Mächtigen der Welt im milden Klima, um dem teils grimmigen Winter anderer Orte zu entgehen. Mitten in dieser vermögenden Gesellschaft: der Kaufmann Emil Jellinek. Schon seit mehreren Jahren verkauft er in Nizza erfolgreich die Fahrzeuge der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG). Seinen Impulsen nach Bad Cannstatt ist der 1901 präsentierte Mercedes 35 PS zu verdanken – inklusive Markenname. Schon dieses erste Fahrzeug mit dem klangvollen Namen ist ein großer Wurf hinsichtlich Leistung und Fahrverhalten, es gilt als erstes modernes Automobil überhaupt. Die Verbesserungen hin zum Mercedes-Simplex 40 PS hat Jellinek ebenfalls angestoßen. Er verbindet perfekt Technikbegeisterung mit Geschäftssinn und positioniert die herausragenden Produkte der DMG und die Marke Mercedes unter anderem bei der „Woche von Nizza“ erfolgreich im internationalen Markt. Das sind wichtige Wurzeln für die Entwicklung von Mercedes-Benz, dem ältesten Luxusautomobilhersteller der Welt.

Bei der Weiterentwicklung für das Modelljahr 1902 setzen die Konstrukteure um Wilhelm Maybach auf eine Reihe von Detailverbesserungen, die auch einer leichteren Bedienung zugutekommen. Das spiegelt sich im Namen der neuen Modelle wider: Sie heißen „Mercedes-Simplex“, wobei der Namenszusatz auf die vereinfachte Bedienbarkeit hinweist. Zugleich wird die Modellpalette ausgeweitet: Drei Modelle bringt die DMG 1902 heraus, die Mercedes-Simplex 20 PS (4.084 Kubikzentimeter Hubraum), 28 PS (5.322 Kubikzentimeter Hubraum) und 40 PS (6.785 Kubikzentimeter Hubraum). Damals wird im Modellangebot noch nicht unterschieden zwischen Alltag und Sport: Mit vergleichsweise wenigen Modifikationen entsteht beispielsweise aus einem offenen „Tonneau“-Viersitzer ein zweisitziger Rennwagen, der dann in den sportlichen Wettstreit mit den Fahrzeugen anderer vermögender Kunden geschickt wird.

Mit Leistung und Leichtbau technische Grenzen verschieben

Die Modifikationen gegenüber dem Mercedes 35 PS sind umfangreich: Der Motor des 40 PS ist in Bohrung und Hub vergrößert. Das erste Fahrzeug hat einen Hubraum von 6.562 Kubikzentimetern, der dann noch einmal auf 6.785 Kubikzentimeter gesteigert wird (35 PS: 5.918 Kubikzentimeter Hubraum). Die beiden unten liegenden Nockenwellen sind vollständig gekapselt. Für eine effiziente Kühlung des unten vollständig verkleideten Motors ist das Schwungrad zugleich als Lüfterrad ausgebildet und verstärkt mit seiner Sogwirkung den durch den Kühler strömenden Fahrtwind. Die Bremsleistung ist angepasst: Zusätzliche Bandbremsen wirken auf die Antriebswellen der Kettenräder und erreichen durch gezielte einzelne Betätigung für rechts und links zugleich die Effektivität von Differenzialsperren. Die vier Bremsen haben Wasserkühlung, die aus einem Vorratstank beim Verzögern auf die Reibflächen tropft. Der Radstand ist gegenüber dem Vorgängermodell von 2.245 Millimetern auf 2.450 Millimeter verlängert.

Bemerkenswert ist auch das reduzierte Gesamtgewicht des Mercedes-Simplex 40 PS von 943 Kilogramm. Zum Vergleich: Im Jahr 1900 wiegt der Phönix 23 PS Rennwagen noch 1.400 Kilogramm, und der Mercedes 35 PS bringt 1901 noch 1.112 Kilogramm auf die Waage. Allein der Motor wiegt 46 Kilogramm weniger (40 PS: 185 Kilogramm; 35 PS: 231 Kilogramm).

 

Sporterfolge machen die Marke weltweit bekannt

Nach den Erfolgen bei der „Woche von Nizza“ siegt der Mercedes-Simplex 40 PS auch in anderen Wettbewerben. So gewinnt Wilhelm Werner das Semmering-Rennen im September 1902 vor dem Vorjahressieger Dr. Richard Ritter von Stern. Schnell ist das Topmodell der DMG auch bei Rekordfahrten auf öffentlichen Straßen, deren Oberflächen seinerzeit alles andere als ideal sind: Der amerikanische Milliardär William K. Vanderbilt jr. unternimmt im Mai 1902 auf der Straße von Ablis nach Chartres einen Rekordversuch mit seinem Mercedes-Simplex 40 PS und erreicht dabei eine Geschwindigkeit von 111,8 km/h. Beim Kilometerrennen von Ostende im Juli erreicht Baron Pierre de Caters mit dem Mercedes-Simplex 40 PS sogar 120,8 km/h.

Der Mercedes-Simplex bringt das Automobil mit Verbrennungsmotor im damaligen Wettstreit der Antriebstechnologien an die Spitze. Leidenschaft für Innovation, visionäre Kraft und technischer Gestaltungswille prägen die „Ära Mercédès“, wie der Umbruch bezeichnet wird. Eine Parallele zu heute: Im gegenwärtigen Umbruch der Automobilindustrie treibt Mercedes-Benz mit denselben Werten einmal mehr die Zukunft individueller Mobilität mit digitalisierten, vernetzten und elektrisch angetriebenen Fahrzeugen voran.

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