Hallo, Taxi!

Autor: Danny Chabaud


Lassen Sie mich ein ziemlich einzigartiges englisches Taxi vorstellen, das 1975 für LUCAS INDUSTRIES hergestellt wurde, dem bekannten britischen Anbieter von Autoelektrik für internationale Autohersteller.

Dieses Lucas-Taxi

ist Fans und Historikern des Londoner Stadtverkehrs gut bekannt, es nahm auch an mehreren Auto Shows der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre teil. Es sind ihm viele Artikel gewidmet worden und es findet regelmäßig Erwähnung in Büchern zum Thema. Zwei Prototypen wurden gebaut, sie dienten jahrelang als Testbett und als rollende Laboratorien für Lucas. Am Ende der Experimente aber blieb das Taxiprojekt liegen, es kam nicht zur Anwendung und geriet in Vergessenheit. Die jüngst erfolgte Auffindung eines dieser Fahrzeuge ist eine gute Gelegenheit, die ganze Geschichte zu erzählen.

Historie

Es war die Zeit des OPEC-Ölembargos 1973, als der britische Autoelektronik-Riese Lucas entschied, sich über sein bisheriges Betätigungsfeld hinaus mit neuen und exotischen alternativen Antriebssystemen zu beschäftigen. Beim Elektroantrieb konnte man auf Erfahrung und solides Ingenieurswissen aufbauen, hatte man doch schon für die Royal Mail Bedford-LKWs auf Elektrobetrieb umgerüstet.

Laut Geoffrey Harding, damals Leiter des Elektrofahrzeugprogramms bei Lucas, war die Entscheidung, das neue Elektroauto gerade als Taxi zu bauen, an seine Nutzung gebunden: „Für einen privaten PKW sind die Einsparungen nicht so wichtig wie die für ein Taxi, vor allem deshalb, weil es nicht so viele Kilometer im Jahr zurücklegt. Elektrofahrzeuge sind besonders rentabel, wenn sie viel gefahren werden“, sagte er in einem Interview im Jahr 1977.

Lucas plante, sich um die Lieferung des Antriebes, der Batterien und aller dazugehörigen Elemente zu kümmern, die Firma Ogle kontaktierte man bezüglich des Designs und der allgemeinen Konstruktion des Fahrzeugs und der Karosseriegestaltung. Ogle, ein renommiertes Unternehmen in Letchworth in Hertfordshire, gegründet 1954 von David Ogle, war bekannt für so populäre und unterschiedliche Fahrzeuge wie die Raleigh Chopper-Fahrräder, den Bond Bug, Reliant Scimitar und Reliant Robin, aber auch den Aston Martin Sotheby Spezial.

Obwohl die Urheberschaft im Allgemeinen dem Projektmanager Peter Warner zugeschrieben wird, war es wohl John Bicht, ein junger amerikanischer Ingenieur-Designer, der erst seit kurzem bei Ogle tätig war, der nicht nur einen, ja sogar zwei Prototypen des neuen Taxis schuf.

Im Herbst 1975 bemühte sich Lucas, von der entsprechenden britischen Behörde eine Taxilizenz zu erhalten. Denn man plante, das Fahrzeug unter „realen“ Bedingungen zu erproben: Es sollte in London unter alltäglichen Bedingungen ausgiebig gefahren werden und die Arbeit eines regulären Taxis machen. Denn nur wenn man im Anschluss an diese Tests mit den Ergebnissen voll zufrieden wäre und überzeugt sei, dass das Taxi die Anforderungen des Berufs erfüllt und sich als wirtschaftliche Lösung für diese Branche herausstellt, wollte man eine Serienproduktion ins Auge fassen.

Zuvor musste aber erst einmal die Kabine vervollständigt und für den Einsatz in London gestaltet werden, Lucas perfektionierte inzwischen das Innenleben des Fahrzeuges.

Während der Arbeit am ersten Prototyp holte man sich Rat und Anregungen aus der Berufswelt: Taxifahrer konnten sich zur Praktikabilität äußern, sie lieferten konstruktive Vorschläge und ihre Kritik wurde beachtet.

Mit der Herstellung des „Unterbaues“ aus dünnem Blech betraute man Arch Motors in Huntingdon. Diese Firma war unter anderem für ihre Renn- oder Sportwagenchassis, z.B. für den Lotus bzw. Caterham 7 bekannt.

So gab es zahlreiche Änderungen während dieser Phase, vor allem am Innenraum wurde lange gefeilt: Das Fahrersitzkissen wurde weicher und bequemer, Veränderungen im Fahrerbereich schafften mehr Platz für die Beine des Fahrers und erleichterten damit das Einsteigen. Bedienungselemente wanderten von der Lenksäule in ein – nun besser entspiegeltes – Armaturenbrett. Die gläserne Trennwand hinter dem Fahrer – ursprünglich war geplant, einfach ein Loch zur Kommunikation zwischen Passagier und Fahrer hinein zu schneiden – bestand nun aus dreiteiligen Schiebeelementen. Die Platzierung des Taxameters rechts am Armaturenbrett wurde nun so gewählt, dass die Passagiere die anlaufenden Kosten stets gut im Auge behalten konnten. Polster und Türverkleidungen wurden mit orange-braunem Vinyl überzogen, einem Material, das auch bei intensivstem Gebrauch haltbar und gut zu reinigen war und der Dachhimmel letztlich – bespannt mit weißem Kunststoff – sollte dem Innenraum ein helles und luftiges Flair geben.

Das Lucas-Taxi wurde vom 15. bis 25. Oktober 1975 auf der London Motor Show in Earls Court ausgestellt. Am Ogle-Stand fand man einen Prototyp, das zweite Fahrzeug kurvte während der Show permanent auf den umliegenden Straßen, um das Interesse der Besucher zu wecken, alles sah nach einem großen Erfolg aus.

In einem Artikel des „New Scientist“ vom Oktober 1975 liest man, dass das neue Lucas-Taxi voraussichtlich mehr als 5.000 Pfund kosten wird. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem neue Taxis, in diesem Fall der Austin FX4, rund 3.000 Pfund kosteten. Und bereits dieser Preis wurde von den Taxifahrern als exorbitant hoch angesehen.

Obwohl Lucas glaubhaft zu machen versuchte, dass die Betriebs- und Wartungskosten von Elektro-Taxis niedriger wären, als die von Dieselfahrzeugen, machten sich die Taxifahrer doch große Sorgen: Sie fürchteten, dass sie für Ladestationen und für den voraussichtlichen Kauf eines Akkus, aber auch für den Austausch noch kräftig extra zu zahlen hätten.

Dieser Preisunterschied war ein ernstes Handicap und ließ schnell die Pläne sterben, eine Serienproduktion von Lucas-Elektrotaxis zu starten. Zuletzt erhoffte man sich, dass die Regierung entscheiden könnte, dass sich der leise und saubere Betrieb von Elektrofahrzeugen lohnt und ein Ankauf dieser Fahrzeuge durch einen Steuervorteil zu unterstützen wäre. Ökologische Bedenken aber lagen damals noch in weiter Ferne und es kam zu keiner staatliche Hilfe für die Anschaffung dieser neuen Taxis. Dem New Scientist ist im Jahr 1979 zu entnehmen, dass „… praktisch alle Entwicklungen neuer Elektrofahrzeuge in Großbritannien von Privatunternehmen durchgeführt werden und die Unterstützung der britischen Regierung für die Entwicklung und Kommerzialisierung von Elektrofahrzeugen sich 1978 auf rund 2,25 Millionen Pfund Sterling beläuft – aber ausschließlich für gewerbliche Klein-LKWs und Transporter!“

Laut Geoffrey Harding war Lucas auch nie wirklich daran interessiert gewesen, diese Elektroautos selber zu bauen. Sie planten vielmehr, diese Fahrzeuge in erster Linie als Prüfstand für ihre Produkte und Geräte zu verwenden. Eine Fertigungsstraße selber bauen, war nie gedacht. Es wäre nur attraktiv gewesen, die Herstellung der Taxis einem Subunternehmer anzuvertrauen.Es überrascht daher nicht, dass Lucas bis in die 1980er-Jahre nur noch weitere Bedford CFs auf Elektrobetrieb umbaute und bereits 1979 das Elektro-Taxi-Projekt aufgab.

Technische Aspekte

Die Ingenieure von Lucas und Ogle stellten sich ein Fahrzeug mit unabhängiger Radaufhängung vor, relativ kompakt und mit Frontantrieb ausgestattet. Am Rahmen ist eine Leichtgewicht-Monocoque-Karosserie auf sechs Gummi-Puffern montiert, mit vier Türen aus mit Stahlblech verstärkter Glasfaser. Die gleiche Anzahl von Passagieren wie im Austin FX4-Taxi sollte befördert werden, aber es gab mehr Stauraum für das Gepäck.

Die Batterien, eine Einheit mit 36 Zellen mit 6 Volt, befanden sich in einem herausnehmbaren Rack unter dem Fahrzeug. Fixiert wurde das Ganze durch sechs leicht zugängliche Sicherungsschrauben, damit ein Wechsel leicht von statten gehen konnte. Es war aber auch die einfache Ladung von außen mittels Ladegerät über die Standardsteckdose möglich. Die Wahl fiel auf traditionelle Blei-Säure-Batterien, die Lucas-Ingenieure planten, deren Kapazität noch weiter zu steigern.

Der Lucas-CAV MT 305-Motor mit 216 Volt und 50 PS war vorne quer montiert. Besonderes Augenmerk legte man auf gute Absorption von Stößen und Vermeidung von Vibrationen, was durch einen komplexen Antrieb mittels moderner Morse Hi-Vo-Ketten gelang. Ein Controller regelt den zum Motor übertragenen Strom, ermöglichte maximal 100 km/h und eine Reichweite von ca. 160 km.

Die komplette Einheit des Antriebsstranges des Fahrzeugs bestehend aus dem Motor, Kettenlaufwerk, Differential, Ölwanne, Bremsen und Vorderrädern war auf einer „Wiege“ montiert, die vom Rest des Fahrzeuges leicht abgenommen werden konnte.

Das Taxi verfügte über einen hervorragenden Wenderadius, hier sollte es schließlich den für ihre Wendigkeit gerühmten Londoner Taxis in nichts nachstehen. Dies bedeutete, dass die Universalgelenke in der Antriebswelle ungewöhnlich weit beweglich sein mussten und eine lange Zahnstange eingesetzt wurde. Hier kamen auch zusammengesetzte Gummibälge zum Einsatz, von denen John Bicht heute zu erzählen weiß, dass damals die erste Anwendung des Superklebers Loctite 401 im Automobilbau erfolgte.

Die meisten Standardkomponenten stammten von Lucas und seinen Tochtergesellschaften. Unter anderem gab es auch ein regeneratives Bremssystem, welches bereits damals den Zweck erfüllte, den Bremsenverschleiß gering zu halten und die kinetische Energie wieder zurück in die Batterien einzuspeisen.

Der elektronische Taxameter von Lucas-Kienzle war am Armaturenbrett angebracht und eine zusätzliche Anzeige sollte auf der Zwischenwand platziert für den Fahrgast lesbar montiert sein. Eine im Kofferraum befindliche Hilfsbatterie versorgte all die peripheren Elemente und wurde mittels Hochleistungskonverter von den Traktionsbatterien aufgeladen. Ersetzen bzw. Laden der Hauptbatterien genügte, die Hilfsbatterie musste nicht extra geladen werden.

Aus Platzgründen griff man auch auf eine simple aber effektive Lösung zum Bedienen der Türgriffe zurück und verwendete ein System von Bowden-Zügen mit Material, das bei Fahrradbremsen verwendet wird. Interessant auch die Idee des – wegen der Raumersparnis – starren Fahrersitzes: Um aber Fahrern unterschiedlicher Körpergröße dennoch das Steuern des Taxis zu ermöglichen, waren die Pedale verstellbar. Nicht zuletzt besaß das Lucas-Taxi auch eine Webasto-Benzinheizung, welche – auch im Stand – für behagliche Wärme sorgte.

Was geschah mit den beiden Prototypen?

Die meisten Photos in Publikationen zeigen den ersten Prototyp registriert als LTM 50P. Der zweite, weniger publizierte, erhielt die Registrierung NVS 756P. Die beiden Exemplare bekamen während ihrer jahrelangen Testphasen mehrere unterschiedliche Lackierungen, was die Identifikation heute oft erschwert.

Lucas war und ist kein Autohersteller und hatte daher keinen bestimmten Standort in seinen Werken, um die beiden Prototypen adäquat aufzubewahren. Man vertraute daher die beiden Taxis Museen an. Ein Sprecher von Lucas meinte damals dazu: „Es ist schon seltsam, dass ein Auto aus der Zukunft in einem Museum steht.“

Der orangefarbene LTM 50P wurde in die Sammlung der London Cab Company aufgenommen. Als dieses Londoner Museum 1990 seine Pforten schloss, gelangte LTM 50P wieder zurück in die Hände von Lucas Industries, wurde aber sträflich vernachlässigt, im Freien abgestellt und letztlich durch ein Feuer vernichtet.

Der Weg des zweiten Prototyps, NVS 756P, verlief beschaulicher: 1979 fand es Platz im National Motor Museum in Beaulieu, 1987 landet es im British Motor Museum in Gaydon. Aus diesem Museum wurde es – mit dem Lucas’ Segen – an einen potentiellen Restaurator verkauft, der sich zwar für Ogle-Fahrzeuge interessierte, aber nicht erkannte, dass es sich hier um ein rares elektrisches Taxi handelte. Der Einbau eines Peugeot-Dieselmotors blieb NVS 756P zwar erspart, nicht jedoch aber ein umstürzender Baum, der die Konstruktion arg beschädigen sollte.

Im Januar 2019, in traurigem Zustand, entdeckte ein britischer Händler diesen „barn find“; er „exhumierte“ das Lucas-Taxi, erkannte seinen historischen Wert und machte sich auf die Suche nach einer guten Seele, die sich dem Projekt annehmen würde.

Und diese fand sich endlich in Frankreich, wo der einzige Überlebende nun einen sicheren Platz gefunden hat. Aus Kostengründen ist zunächst keine vollständige Restaurierung zur Fahrbereitschaft geplant. Aber erste Reparaturarbeiten an der Rahmen- und Grundstruktur wurden bereits gestartet.

Das kurzfristige Ziel ist es, NVS 756P wieder auf Messen und Ausstellungen präsentieren zu können, um einem interessierten Publikum dieses wichtige Stück Elektromobilitäts-Geschichte zeigen zu können.

 

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